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Plenarprotokoll 16/91 - Deutscher Bundestag

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Thomas Rachel<br />

<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – <strong>16</strong>. Wahlperiode – <strong>91</strong>. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2007 <strong>91</strong>47<br />

(A) dungen am Lebensende. Deshalb sollten die Verbind- Patient in einer Patientenverfügung ausdrücklich und (C)<br />

lichkeit und Stellung der Patientenverfügung gestärkt klar medizinische Maßnahmen abgelehnt hat.<br />

werden, indem sie gesetzlich geregelt wird.<br />

Auch das grundlegende Papier der Evangelischen<br />

Aber kann man alles Denkbare in einer solchen Verfügung<br />

festlegen? Befürworter einer unbeschränkten Patientenverfügung<br />

führen meistens an, es könne nicht<br />

sein, dass jemand gegen seinen Willen einer medizinischen<br />

Maßnahme unterzogen wird. Das ist richtig. Aber<br />

gilt dieser Satz auch für die Patientenverfügung? Müssten<br />

wir den Satz nicht anders formulieren: Niemand darf<br />

gegen seinen früheren Willen behandelt werden? Damit<br />

sind wir mitten im Problem. Es geht um eine Entschei-<br />

Kirche in Deutschland geht genau diesen Weg, indem es<br />

besagt, dass wir zum Besten des Patienten handeln müssen,<br />

was einschließt, dass man seine Sicht und seinen<br />

Willen soweit wie möglich achtet. In diesen schwierigen<br />

Fällen darf das Unterlassen einer lebenserhaltenden<br />

Maßnahme aber nicht auf einen mutmaßlichen Willen,<br />

sondern nur auf eine konkrete Patientenverfügung gestützt<br />

werden. Außerdem sollte das Vormundschaftsgericht<br />

auf jeden Fall einbezogen werden.<br />

dung für die Zukunft.<br />

(Joachim Stünker [SPD]: Das arme Gericht!)<br />

Es ist möglich, dass sich das Empfinden und die Maßstäbe,<br />

an denen Freud und Leid gemessen werden, und<br />

auch die Wertvorstellungen des Patienten in der Zwischenzeit<br />

grundlegend ändern. Dies zeigen auch die Erfahrungen<br />

von Ärzten, wenn sie interveniert haben.<br />

Manche Patienten sind froh gewesen, dass ihre Patientenverfügung<br />

nicht befolgt wurde.<br />

Eine Basisversorgung sollte in allen Fällen durchgeführt<br />

werden. Dazu zählt beispielsweise das Stillen des<br />

Gefühls von Durst und Hunger. Eine Magensonde wird<br />

jedoch oft als ein Eingriff in die eigene körperliche Integrität<br />

wahrgenommen. Der Patient muss deshalb die<br />

Möglichkeit haben, im Wege der Patientenverfügung auf<br />

eine künstliche Ernährung verzichten zu können.<br />

Ein Leben, das mit erheblichen Einschränkungen ver- Nach christlicher Überzeugung gilt, dass Gott allen<br />

bunden ist, schätzen gesunde Menschen vielfach gerin- Dingen ihre Zeit bestimmt. Der Mensch steht letztlich<br />

ger ein als davon betroffene Menschen. Wir müssen den vor der Aufgabe, zu erkennen, wann was an der Zeit ist.<br />

Unterschied zwischen vorausverfügtem Willen und ak- Dazu kann eben die Erkenntnis gehören, dass auch dem<br />

tuellem Willen beachten. Je gravierender die Folgen ei- Sterben seine Zeit gesetzt ist, es also darauf ankommt,<br />

nes Behandlungsverzichts sind, desto mehr Vorsicht ist den Tod zuzulassen und seinem Kommen nichts mehr<br />

geboten. Wir müssen versuchen, Selbstbestimmung des entgegenzusetzen. Es gibt also keine Pflicht zur Leidens-<br />

Patienten und Fürsorge für ihn in einen schonenden Ausverlängerung um jeden Preis. Wir sollten uns also um<br />

gleich zu bringen.<br />

eine gesetzliche Absicherung der Patientenverfügung,<br />

(B) Der Lösungsweg, der maßgeblich von Wolfgang<br />

Bosbach initiiert wurde und der die Fälle unumkehrbar<br />

tödlicher Krankheitsverläufe oder irreversiblen Bewusstseinsverlustes<br />

umfasst, ist ein guter und gangbarer Weg.<br />

Denn gerade bei den unumkehrbar tödlichen Krankheits-<br />

den Ausbau der palliativmedizinischen Versorgung und<br />

der Hospizdienste kümmern und uns gemeinsam bemühen,<br />

die Bedürfnisse der Ältesten und Schwerstkranken<br />

wieder in die Mitte der Gesellschaft zu holen.<br />

Herzlichen Dank.<br />

(D)<br />

verläufen ist die Trennlinie klar: Es geht deutlich erkennbar<br />

um das Sterbenlassen.<br />

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und<br />

der SPD)<br />

(Joachim Stünker [SPD]: Wer stellt das denn<br />

fest?)<br />

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:<br />

Das Wort hat nun die Kollegin Dr. Carola Reimann,<br />

SPD-Fraktion.<br />

Wenn von anderer Seite die unbegrenzte Möglichkeit<br />

zum Abbruch lebenserhaltender Behandlungen angestrebt<br />

wird, dann geht es dort um Lebensbeendigung von<br />

Erkrankten, die an dieser Erkrankung aber nicht sterben<br />

müssten. Genau hier liegt der entscheidende Unterschied.<br />

Aber auch für Situationen, in denen Betroffene ohne<br />

Bewusstsein sind und nach ärztlicher Überzeugung mit<br />

an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Bewusstsein<br />

niemals wiedererlangen werden, muss es<br />

möglich sein, in einer Patientenverfügung das Unterlassen<br />

einer Behandlung festzulegen.<br />

In einer aussichtslosen Situation, zum Beispiel im<br />

Fall eines langfristig stabilen Wachkomas, sollte der<br />

staatliche Lebensschutz hinter den erklärten Willen des<br />

Betroffenen zurücktreten, wenn dies in der Patientenverfügung<br />

ausdrücklich verlangt wurde. Meines Erachtens<br />

kann der Staat einen Patienten nicht zwingen, über<br />

Jahre in schwerstem Wachkoma zu bleiben, wenn der<br />

Dr. Carola Reimann (SPD):<br />

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und<br />

Kollegen! Der medizinisch-technische Fortschritt hat<br />

dazu geführt, dass Leben in einem wesentlich größeren<br />

Umfang als früher gerettet und auch verlängert werden<br />

kann.<br />

Wie so häufig hat eine im Grunde positive und erfreuliche<br />

Entwicklung auch eine Kehrseite. Heute haben<br />

viele Menschen Angst vor Schmerzen und vor Leiden<br />

am Lebensende. Die Vorstellung, nicht mehr äußerungsfähig<br />

zu sein und somit nicht selbst über medizinische<br />

Maßnahmen entscheiden zu können, ist für viele beängstigend.<br />

Genau hier setzt die Patientenverfügung an, über deren<br />

gesetzliche Verankerung wir heute debattieren und für die<br />

ich mich ausdrücklich ausspreche. Denn ich glaube nicht,<br />

dass der bloße Aufruf zu mehr Kommunikation, zu mehr

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