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Plenarprotokoll 16/91 - Deutscher Bundestag

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Rolf Stöckel<br />

<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – <strong>16</strong>. Wahlperiode – <strong>91</strong>. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2007 <strong>91</strong>57<br />

(A) zumal an deren Eigenverantwortung sonst doch so gern mehr als 200 gängige Muster. Frau Ministerin Zypries (C)<br />

und oft in diesem Hause appelliert wird.<br />

hat zuvor geschildert, wie schwer sie sich selber getan<br />

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.<br />

hat, aus den vielen Bausteinen des Bundesjustizministeriums<br />

eine Patientenverfügung auszuwählen. Der Arzt<br />

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der FDP kann häufig auch nicht feststellen, ob die Unterschrift<br />

und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) echt ist und ob der Unterzeichner bei der Unterschrift<br />

einwilligungsfähig war. Eine Patientenverfügung mit<br />

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:<br />

Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege<br />

Markus Grübel, CDU/CSU-Fraktion.<br />

unbeschränkter Reichweite wäre so auch eine scharfe<br />

Waffe, die ein Mensch gegen sich selber oder die ein anderer<br />

gegen ihn richten könnte.<br />

(Zuruf von der SPD: Nein, eben nicht!)<br />

(B)<br />

Markus Grübel (CDU/CSU):<br />

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!<br />

Als letzter Redner kann ich feststellen: Es ist gut, dass<br />

wir heute diese ausführliche Orientierungsdebatte geführt<br />

haben. Wir haben jahrelang in verschiedenen Kommissionen<br />

beraten. Es wäre gut, wenn wir nun eine Regelung<br />

schaffen würden. Der heutige § 1904 BGB hat<br />

die schwierigsten Fragen eigentlich ausgeklammert. Er<br />

regelt im Grunde die harmloseren Fragen. Wenn eine<br />

ärztliche Untersuchung oder Heilbehandlung eingeleitet<br />

wird, die der Heilung dient und die mit Risiken verbunden<br />

ist, dann braucht man die vormundschaftsgerichtliche<br />

Genehmigung. Aber die viel schwierigere Frage,<br />

was geschieht, wenn die Behandlung abgebrochen oder<br />

erst gar nicht aufgenommen wird, ist in § 1904 nicht geregelt.<br />

Diese Lücke hat der Gesetzgeber beim ersten Betreuungsrechtsänderungsgesetz<br />

durchaus gesehen, aber<br />

er hat sie offengelassen. Wenn der <strong>Bundestag</strong> bewusst<br />

keine Regelung beschließt, dann kommen wir an die<br />

Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung. Dann muss<br />

der <strong>Bundestag</strong> handeln, und wir können uns nicht auf die<br />

Rechtsprechung verlassen.<br />

Wie ich bereits sagte, tut sich der Arzt schwer, die Urheberschaft<br />

der Patientenverfügung und die Einwilligungsfähigkeit<br />

zur Zeit der Abfassung sicher zu klären. Mehrere<br />

Untersuchungen zeigen uns auch, dass junge und<br />

dass gesunde Menschen eine andere Einstellung als<br />

Kranke, Behinderte und Pflegebedürftige haben. Kranke<br />

Menschen haben einen viel größeren Lebenswillen, als<br />

sie in gesunden Tagen meinen. Das können wir bei der<br />

Bewertung des vorausverfügten Willens nicht unberücksichtigt<br />

lassen. Die Unterschiede bei aktuellem und vorausverfügtem<br />

Willen haben Folgen für die Fragen der<br />

Reichweite und der Verbindlichkeit einer Patientenverfügung.<br />

Die Diskussion in den vergangenen Monaten hat mir<br />

aber auch gezeigt: Viele Menschen haben Sorgen vor einer<br />

Übertherapie im Krankenhaus. Darum darf ich daran<br />

erinnern, dass Voraussetzung für die Fragen der Patientenverfügung<br />

ist, dass der Arzt eine Behandlung überhaupt<br />

anbietet. Wo eine kurative, also heilende Behandlung<br />

nicht mehr angezeigt ist, darf sich die Frage nach<br />

einer Patientenverfügung überhaupt nicht mehr stellen.<br />

(D)<br />

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und<br />

(Beifall des Abg. René Röspel [SPD])<br />

der FDP)<br />

Hier ändert sich das Therapieziel hin zur palliativen<br />

Versorgung. Dies wäre ein wichtiges Feld für die Ausund<br />

Fortbildung der Ärzte.<br />

Ich halte die aktuelle Rechtsprechung in Teilen auch<br />

für widersprüchlich. Keiner von uns weiß, wie sich die<br />

Rechtsprechung in Zukunft entwickelt. Auch darum<br />

brauchen wir eine gesetzliche Regelung, die die Reichweite,<br />

die Verbindlichkeit und das Verfahren regelt.<br />

Heute haben alle Redner nur vom Zivilrecht gesprochen.<br />

Das Zivilrecht liefert die Rechtfertigung für die<br />

Behandlung oder Nichtbehandlung und schlägt so auch<br />

auf das Strafrecht durch. Eine Änderung des Strafrechts<br />

würde den Anschein erwecken, wir würden tragende<br />

Grundsätze insbesondere beim Verbot des Tötens auf<br />

Verlangen aufweichen. Darum ist es gut, dass keiner das<br />

Strafrecht ändern will.<br />

Um welche Fragen geht es heute ganz besonders? Es<br />

geht entscheidend um die Frage, ob der aktuelle und<br />

der vorausverfügte Wille gleich sind. Das ist nach meiner<br />

Meinung nicht der Fall. Gefragt wäre ein ausführliches<br />

Gespräch zwischen Arzt und Patient. Im Fall der Patientenverfügung<br />

hat der Arzt ein Blatt Papier auf dem<br />

Tisch mit einer Unterschrift. Der Arzt kann nicht nachfragen,<br />

der Patient kann seine Erklärungen nicht interpretieren,<br />

und er kann Missverständnisse nicht aufklären.<br />

Der Arzt weiß regelmäßig auch nicht, woher der Patient<br />

die Patientenverfügung hat. Es gibt in Deutschland<br />

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)<br />

Im Grenzfall kann eine Patientenverfügung aber eine Ergänzung<br />

sein und dem Arzt die Entscheidung erleichtern.<br />

Ich habe schließlich die Sorge, dass die Gesellschaft<br />

Druck auf Patienten, insbesondere auf ältere Menschen,<br />

ausübt oder dass ältere, kranke und behinderte<br />

Menschen nur den Eindruck haben, sie fielen der Gesellschaft<br />

oder ihrer Familie zur Last und könnten diese Last<br />

durch eine weitreichende Patientenverfügung nehmen.<br />

Selbstbestimmung ist wichtig; wichtig ist aber auch<br />

der Schutz des Lebens. Beides sind gleichwertige Verfassungsgüter.<br />

Die Verfassung verlangt von uns einen<br />

schonenden Ausgleich zwischen Selbstbestimmung und<br />

Lebensschutz. Dieser Ausgleich ist nach meiner Meinung<br />

im Gruppenantrag, den der Kollege Bosbach vorgestellt<br />

hat, am besten gelungen. Dieser Antrag bildet<br />

auch am ehesten die heutige Rechtsprechung ab.<br />

Wer die Selbstbestimmung absolut setzt, landet aus<br />

meiner Sicht früher oder später bei der aktiven Sterbehilfe,<br />

weil es hier keine denktechnische Grenze gibt. Die

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