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Plenarprotokoll 16/91 - Deutscher Bundestag

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9276 <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – <strong>16</strong>. Wahlperiode – <strong>91</strong>. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2007<br />

(A) eine Verfügung, wenn der Arzt den klaren Willen des Pahigkeit beraubt werden können, ihren Willen gegenüber (C)<br />

tienten mehr als eine Kann-Bestimmung betrachtet? den Ärzten klar zu äußern. Das betrifft beispielsweise<br />

Oder wenn die Verwandtschaft über ein Vormund- Wachkomapatienten oder psychisch Erkrankte.<br />

schaftsgericht den Willen des Patienten leicht aushebeln<br />

kann?<br />

Der Umgang mit Patientenverfügungen ist ein sensibles<br />

Thema. Wir sollten gemeinsam sorgsam damit umgehen.<br />

Bei der Frage, wie verbindlich eine Patientenverfügung<br />

sein soll, gibt es meiner Ansicht nach einen Regelungsbedarf.<br />

Hier ist der Gesetzgeber gefordert. Es geht<br />

nicht darum, dass sich Politiker „in jede Sterbesituation“<br />

einmischen wollen, wie mancher Verbandsvertreter wettert<br />

– nein, es geht darum, einen rechtlichen Rahmen zu<br />

setzen, der einen selbstbestimmten und würdevollen<br />

Umgang der Betroffenen mit ihrem eigenen Schicksal<br />

ermöglicht. Das schafft nicht nur für die Patienten Klarheit,<br />

sondern auch für Ärztinnen und Ärzte. Auch diese<br />

brauchen Rechtssicherheit.<br />

Zu achten ist meiner Ansicht nach auch auf gewisse<br />

zeitliche Nähe. Heutzutage werden schon in jungen Jahren<br />

Patientenverfügungen verfasst, die festlegen, was<br />

möglicherweise erst ab jenseits des 50. Lebensjahres<br />

eintritt. Eine Notwendigkeit, vorsorgliche Patientenverfügungen<br />

beispielsweise alle zehn Jahre zu erneuern,<br />

schützt Menschen, die ihre Meinung im Laufe des Lebens<br />

ändern, vor unbeabsichtigten Folgen.<br />

Die Einschränkung der Patientenverfügung auf irreversible<br />

Leiden, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit<br />

zum Tode führen, ist unlogisch und unakzeptabel.<br />

Die Maßstäbe dessen, was irreversibel ist,<br />

können sich schon morgen ändern, dann ist auch die Patientenverfügung<br />

hinfällig. Die Einschränkung übersieht<br />

darüber hinaus, dass Menschen auch aus anderen<br />

Gründen als unheilbar tödlichen Krankheiten ihrer Fä-<br />

Otto Fricke (FDP): Alles hat seine Zeit. Reden hat<br />

seine Zeit, Schweigen hat seine Zeit. Debattieren hat<br />

seine Zeit, Beschließen hat seine Zeit. Lieben hat seine<br />

Zeit, Geliebt werden hat seine Zeit. Verantwortung übernehmen<br />

hat seine Zeit, Loslassen hat seine Zeit. Geborenwerden<br />

hat seine Zeit, und Sterben hat seine Zeit.<br />

Man sollte hier allerdings nicht zu viel vom Gesetzgeber<br />

erwarten. Krankheit und Sterben sind sehr individuelle<br />

Vorgänge. Auch gesetzlich geregelte Patientenverfügungen<br />

werden nicht alle Wechselfälle des Lebens<br />

voraussehen und erfassen können. Gerade auf diesem so<br />

sensiblen Feld menschlichen Lebens brauchen wir einen<br />

humanen Umgang mit Kranken und Sterbenden. Dazu<br />

gehört, deren Wille zu respektieren. Und wenn ich mir<br />

hier eine persönliche Bemerkung erlauben darf: Ich zum<br />

Beispiel will nicht bis an mein Lebensende an Apparaten<br />

dahinvegetieren.<br />

Die Lebenserwartung von uns Menschen ist in den<br />

letzten Jahrzehnten drastisch gestiegen – dennoch ist sie<br />

endlich, und auch das Sterben hat stets seine Zeit. Doch<br />

wie erkennen wir für uns, für unsere Angehörigen, für<br />

unsere Patienten, wann es an der Zeit ist, zu sterben, den<br />

Tod zu erwarten und ihm nichts mehr entgegenzusetzen?<br />

Der vorsorglich dokumentierte Wille des Betroffenen, in<br />

Form einer Patientenverfügung, ist dabei sehr hilfreich.<br />

Deswegen ist mir dieses Thema wichtig, und ich mache<br />

mich seit langem für eine möglichst klare und möglichst<br />

verlässliche, gesetzliche Regelung stark. Doch sollte dieser<br />

hinterlegte Wille, der in einer Situation erklärt<br />

wurde, die der Betroffene mit all seinen Umständen<br />

noch gar nicht kannte, die einzige und alleinige Ent-<br />

Natürlich kann es passieren – und es passiert sicher<br />

scheidungsgrundlage sein?<br />

(B)<br />

jeden Tag –, dass Kranke sich schon aufgegeben haben<br />

und das Weiterleben für sinnlos halten. Dabei bestünde<br />

ärztlicherseits durchaus noch die Chance zu einer Verbesserung<br />

ihrer Lage. In diesem Punkt halte ich – bevor<br />

eine Patientenverfügung verfasst wird – die ausführliche<br />

Beratung durch den behandelnden Arzt oder den Arzt<br />

des Vertrauens für wichtig. Damit diese Beratung nicht<br />

an finanziellen Problemen scheitert, ist es unter Umständen<br />

überlegenswert, diese über die Krankenkassen abrechenbar<br />

zu gestalten.<br />

Ergänzend zur Patientenverfügung sollte weiterhin<br />

die Möglichkeit zu einer Vorsorgevollmacht bestehen.<br />

Diese sollte aber nicht so gestaltet sein, dass der in der<br />

Patientenverfügung niedergelegte Wille des Patienten<br />

letztlich ausgehebelt werden kann.<br />

Es ist nicht an mir, mich heute zu offenbaren. Ich<br />

habe mich längst positioniert: Welcher Position ich zuneige,<br />

können Sie aus dem Rubrum eines Antrages ersehen,<br />

der ihnen vorliegt. Das mindert die Überraschung<br />

und räumt mir doch gleichsam ein Privileg ein: Ich habe<br />

Ihnen heute nicht zu erklären, was ich denke, sondern,<br />

warum ich es denke. Das will ich tun.<br />

Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich werbe in dieser<br />

Debatte für die Selbstbestimmung des Menschen und<br />

rede nicht gegen sie. Ich werbe für sie als Abgeordneter,<br />

als Familienvater, als Liberaler und – ich sage das bewusst<br />

– als Christ. Doch ich werbe auch dafür, dass wir<br />

Selbstbestimmung nicht reduzieren auf das, was ein<br />

Mensch in einem Moment will, und nicht schon darin sehen,<br />

was ein Mensch in einem Moment einmal schriftlich<br />

niedergelegt hat.<br />

(D)<br />

Die Frage, um die es heute geht, ist zu schwierig, als<br />

dass sie einfache Rechnungen erlaubte. Die einfachste<br />

Rechnung ist diese: Je weiter Patientenverfügungen zugelassen<br />

werden und je unbedingter sie Beachtung finden,<br />

umso mehr ist dem Selbstbestimmungsrecht Genüge<br />

getan. In diesem Freiheitsverständnis liegt ein<br />

Fehlschluss.<br />

Meine Überzeugung ist: Es ist gerade das Selbstbestimmungsrecht,<br />

das dazu mahnt, sorgsam mit Verfügungen<br />

umzugehen, ihre Reichweite bedacht zu begrenzen<br />

und ihre Verbindlichkeit verständig zu deuten. Das mag<br />

paradox erscheinen: Da redet einer für eine Begrenzung<br />

der äußeren Selbstbestimmung im Namen der inneren<br />

Selbstbestimmung. Da spricht einer für Grenzen im Namen<br />

der Freiheit. Da wirbt einer für eine Haltung, die

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