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Plenarprotokoll 16/91 - Deutscher Bundestag

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Dr. Marlies Volkmer<br />

<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – <strong>16</strong>. Wahlperiode – <strong>91</strong>. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2007 <strong>91</strong>55<br />

(A) Der Respekt vor der Patientenautonomie und die ge- Sicherheit sagen, dass der Patient in der eingetretenen (C)<br />

setzliche Regelung der Verbindlichkeit von Patienten- Krankheitssituation, in einer Situation, in der er nicht<br />

verfügungen sind nach meiner Überzeugung wesentliche mehr bei Bewusstsein ist, genauso entscheiden würde,<br />

Voraussetzungen, damit das Verbot der aktiven Sterbe- wie er es Jahre zuvor verfügt hat? Ist es tatsächlich noch<br />

hilfe auch in Zukunft in Deutschland eine breite gesell- sein aktueller Wille, den er im Voraus verfügt hat? Man<br />

schaftliche Akzeptanz findet.<br />

muss sich das einmal praktisch vorstellen: Allein die<br />

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/<br />

CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/<br />

DIE GRÜNEN)<br />

persönliche Lebenssituation kann sich zwischen Niederlegung<br />

der Patientenverfügung und Auftreten einer<br />

Krankheit verändert haben.<br />

Nehmen Sie folgenden Fall als Beispiel – vorhin<br />

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:<br />

Nun erteile ich das Wort der Kollegin Daniela Raab,<br />

CDU/CSU-Fraktion.<br />

wurde gesagt, wir sollten keine Beispielsfälle anführen;<br />

aber wir brauchen solche Beispiele, um es plausibel zu<br />

machen –: Ein junger Mann verfasst eine Patientenverfügung,<br />

in der sinngemäß steht, eine Querschnittslähmung<br />

Daniela Raab (CDU/CSU):<br />

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!<br />

Wer wünscht sich nicht für sein späteres Ableben, sanft<br />

einzuschlafen? Leider sieht die Realität in den meisten<br />

sei für ihn das Allerschlimmste, was ihm passieren<br />

könne.<br />

(Joachim Stünker [SPD]: Das ist keine Patientenverfügung!)<br />

(B)<br />

Fällen anders aus. Gerade der medizinische Fortschritt<br />

hat dazu geführt, dass nicht nur das Leben, sondern auch<br />

das Leiden verlängert werden kann. Deshalb stellt sich<br />

für immer mehr Menschen die Frage: Wie kann ich mich<br />

und meine Angehörigen darauf vorbereiten, und wie<br />

kann ich meinen Willen bzw. den meiner Angehörigen<br />

durchsetzen oder durchsetzen lassen, wenn ich selbst<br />

bzw. meine Angehörigen dazu nicht mehr in der Lage<br />

sind? Obwohl sich aus der bisherigen Rechtslage eine<br />

Verbindlichkeit von Patientenverfügungen ableiten lässt<br />

und obwohl wir eine gute Rechtsprechung haben, stellen<br />

immer mehr Menschen fest, dass trotz Vorliegens einer<br />

eindeutigen Patientenverfügung diese oft unterschiedlich<br />

interpretiert wird. Deswegen sehe ich genauso wie viele<br />

meiner Kollegen – darin sind wir uns einig – gesetzgeberischen<br />

Handlungsbedarf.<br />

Was wollen wir? Wir wollen in der Tat eine gesetzliche<br />

Regelung der Patientenverfügung, um gerade<br />

Rechts- und Verhaltensunsicherheiten in einer Situation<br />

– Ich sagte „sinngemäß“; ich möchte hier jetzt keine Patientenverfügung<br />

ausformulieren. – Er schreibt hinein –<br />

sinngemäß –: Wenn ihm etwas passiert, er bewusstlos ist<br />

und ihm eine Querschnittslähmung droht, dann möchte<br />

er auf gar keinen Fall weiter behandelt werden. Mittlerweile<br />

sind nach dieser Verfügung zehn Jahre vergangen,<br />

der junge Mann ist Familienvater geworden und hat sich<br />

mit dem Gedanken an seine Patientenverfügung nicht<br />

weiter beschäftigt; auch das soll vorkommen, auch das<br />

ist zutiefst menschlich. Er wird jetzt Opfer eines schweren<br />

Autounfalls, fällt in die Bewusstlosigkeit und kommt<br />

ins Krankenhaus.<br />

Die Patientenverfügung liegt auf dem Tisch. Was tun<br />

wir nun? Wollen wir ernsthaft ihm und – das bitte ich<br />

nicht zu vergessen – seinen Angehörigen sowie den Ärzten<br />

nun zumuten, die Geräte abzuschalten?<br />

(Joachim Stünker [SPD]: Das ist nicht die<br />

Frage!)<br />

(D)<br />

zu beseitigen, die an sich schon zu sensibel und zu<br />

schwierig ist, um sie noch mit zusätzlichen Unsicherheiten<br />

zu belasten. Deshalb sieht der Bosbach-Entwurf, zu<br />

dem ich mich eindeutig bekenne, eine einfache äußerliche<br />

Form, die Schriftform, vor. Wir wollen keine notarielle<br />

Beurkundung. Wir wollen keine Pflichtberatung<br />

im Vorfeld. Wir können diese nur empfehlen. Natürlich<br />

Ich sage Nein. Für uns gilt immer noch die Unterscheidung<br />

– das haben wir auch im Entwurf klar niedergelegt<br />

–: Lassen wir einen Sterbenden sterben, oder beenden<br />

wir das Leben eines noch Lebensfähigen, dessen<br />

Gesundung nicht ausgeschlossen ist? Deswegen plädiere<br />

ich für eine klare Reichweitenbeschränkung.<br />

würde sie Sinn machen. Wir wollen sie aber nicht ge- Ich habe allergrößten Respekt, Herr Stünker und<br />

setzlich vorschreiben. Unser Petitum ist klar: möglichst auch Kollege Bosbach, vor dem Vorhaben, überhaupt<br />

niedrige Hürden für die Patientenverfügung.<br />

eine gesetzliche Regelung zu treffen; denn Sie haben<br />

Wir wollen – wir haben darüber lange diskutiert und<br />

waren uns nicht immer ganz einig – kein Verfallsdatum<br />

für eine Patientenverfügung. Sie wird niedergelegt und<br />

gilt, solange sie nicht – in welcher Form auch immer –<br />

widerrufen wurde.<br />

sich hier – wie auch viele Kollegen – mit einem äußerst<br />

sensiblen Thema befasst, um das man sich gerne drücken<br />

möchte. Ich plädiere wirklich dafür, dass wir uns<br />

intern schon darüber auseinandersetzen, was wir wollen<br />

und was nicht, was unsere Grundüberzeugungen<br />

sind und was nicht, ohne dass jemand in die eine oder<br />

Wir wollen zudem eine in ihrer Reichweite be- andere Ecke gestellt wird. Ich persönlich kann Sie nur<br />

schränkte Patientenverfügung; dazu wurde schon vieles bitten, unseren Weg – wenn ich das so sagen darf – mit-<br />

gesagt. Es ist juristisch argumentiert worden. Aber man zugehen und damit für Selbstbestimmung und Lebens-<br />

muss hier auch zutiefst menschlich argumentieren. Ich schutz zu entscheiden.<br />

stelle die Frage, die mich bewegt – Herr Stünker, ich<br />

habe mich mit Ihrem Entwurf sehr intensiv auseinander-<br />

Vielen Dank.<br />

gesetzt und habe gut zugehört, weil ich mich noch im- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgemer<br />

überzeugen lasse; aber bisher hat Ihre Argumentaordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/<br />

tion nicht gegriffen –: Können wir immer mit absoluter DIE GRÜNEN)

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