24.08.2013 Aufrufe

Plenarprotokoll 16/91 - Deutscher Bundestag

Plenarprotokoll 16/91 - Deutscher Bundestag

Plenarprotokoll 16/91 - Deutscher Bundestag

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

<strong>91</strong>36 <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – <strong>16</strong>. Wahlperiode – <strong>91</strong>. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2007<br />

(A) Präsident Dr. Norbert Lammert:<br />

Sicht Sophismus, eine solche Unterscheidung vorzuneh- (C)<br />

Das Wort erhält nun der Kollege Olaf Scholz für die men, um sich als Gesetzgeber das Recht zu verschaffen,<br />

SPD-Fraktion.<br />

in dem Fall, in dem der Mensch ganz hilflos und be-<br />

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)<br />

wusstlos ist, über ihn zu verfügen, obwohl er genau das<br />

mit seiner Patientenverfügung ausschließen wollte.<br />

Olaf Scholz (SPD):<br />

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Millionen<br />

Menschen – auf die hohe Zahl ist schon hingewiesen<br />

worden – haben eine Patientenverfügung unterschrieben.<br />

Sie haben sich sorgfältig Gedanken darüber gemacht,<br />

was mit ihnen geschehen soll, wenn sie nicht mehr einwilligungsfähig<br />

sind. Wir diskutieren hier heute darüber,<br />

ob diese vielen Patientenverfügungen gelten sollen oder<br />

nicht. Darum geht es in dieser Debatte, wenn wir über<br />

Reichweitenbeschränkungen sprechen. Deshalb sollten<br />

wir dieses Thema so ernst nehmen, wie es die Sache gebietet.<br />

Ich kann mich damit nicht abfinden – und bin mir übrigens<br />

sicher, dass viele andere das auch nicht tun werden<br />

und dass sie, falls der <strong>Bundestag</strong> ihnen mit seiner Weisheit<br />

nicht hilft, das Bundesverfassungsgericht um Hilfe<br />

bitten werden.<br />

(Joachim Stünker [SPD]: Ganz richtig!)<br />

Da wiederum bin ich mir sicher, dass manche der hier<br />

zur Beratung stehenden Gesetzesvorschläge mit unserer<br />

Verfassung nicht vereinbar sind und deshalb vor Gericht<br />

keinen Bestand haben würden.<br />

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der FDP,<br />

der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE<br />

GRÜNEN)<br />

Gestatten Sie mir, ganz kurz auf Aspekte einzugehen,<br />

die in dieser Debatte eine Rolle spielen. Einer hat damit<br />

zu tun, dass wir etwas aus meiner Sicht Unverantwortliches<br />

tun: Wir unterscheiden zwischen dem antizipierten<br />

Willen und dem aktuellen Willen. Das klingt zwar zunächst<br />

einmal vernünftig, ist aber so selbstverständlich<br />

nicht. Sehr oft in unserem täglichen Leben – etwa wenn<br />

wir etwas unterschreiben – drücken wir unseren Willen<br />

aus und sind auch völlig damit einverstanden, dass wir<br />

hinterher daran gebunden sind. Insofern ist es aus meiner<br />

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der FDP,<br />

der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE<br />

GRÜNEN)<br />

Eine solche Debatte wird bei uns Abgeordneten des<br />

Als ein Argument werden die Schwierigkeiten bei der<br />

Feststellung des Willens genannt. Rechtssoziologen sagen<br />

uns, dass der Interpret, der Bevollmächtige, das Gericht<br />

oder wer auch immer sich damit beschäftigt, sich<br />

selbst als Person bei der Auslegung einbringt. Das wissen<br />

wir. Sogar wenn uns etwas ganz klar erscheint, spielt<br />

die Auslegung bei der Ermittlung des Sachverhalts eine<br />

Rolle. Trotzdem trauen wir uns das zu und halten es für<br />

möglich. Das müssen wir auch. Denn wenn wir uns nicht<br />

vorstellen könnten, dass wir uns auf die Auslegung eines<br />

<strong>Bundestag</strong>es genauso verlaufen wie bei jedem anderen Willens verständigen können, dann könnten wir gar<br />

Menschen: Wir schließen von uns auf andere. Das ist bei nicht vernünftig zusammenleben. Deshalb ist es notwen-<br />

einer so wichtigen Angelegenheit mehr als angemessen. dig, dass wir so eine Entscheidung akzeptieren.<br />

Deshalb will ich nicht verheimlichen, dass ich selbst<br />

eine Patientenverfügung unterschrieben habe und dass<br />

ich in dieser Patientenverfügung Festlegungen getroffen<br />

habe, die nach der möglichen Umsetzung einiger Gesetzesvorschläge,<br />

die heute anberaten werden, nicht mehr<br />

wirksam sein würden. Insofern können Sie sich vorstellen,<br />

dass sich mit mir viele Hunderttausende – vielleicht<br />

auch Millionen – Menschen Sorgen machen, dass etwas,<br />

was sie sich gut überlegt haben, nicht mehr gelten soll,<br />

Der Verweis darauf, dass man sich bei der Auslegung<br />

irren kann, rechtfertigt eine Ablehnung dennoch nicht;<br />

denn das ist eigentlich nur ein Hinweis darauf, dass wir<br />

uns unglaublich viel Mühe geben müssen. Selbstverständlich,<br />

wenn ein 20 Jahre alter Patientenwille vorliegt,<br />

dann muss sich derjenige, der darüber zu entscheiden<br />

hat, große Mühe geben, um herauszufinden, ob das<br />

wirklich noch der aktuelle Wille ist.<br />

(B) weil andere, insbesondere der Deutsche <strong>Bundestag</strong>, es<br />

besser wissen wollen.<br />

(Zurufe von der CDU/CSU: So, so! – Aha! –<br />

So ist das also! – Aber wie?)<br />

(D)<br />

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der FDP,<br />

der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE<br />

GRÜNEN)<br />

– Das ist ganz einfach. Man kann zum Beispiel fragen,<br />

ob der Patient seinen Willen mündlich oder auf irgendeine<br />

andere Weise widerrufen hat. Niemand in diesem<br />

Haus hat einen Zweifel daran, dass das möglich ist.<br />

Daher sollte man das nicht zum Anlass für die Gesetzgebung<br />

nehmen.<br />

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und der<br />

FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS-<br />

SES 90/DIE GRÜNEN)<br />

Das gilt aus meiner Sicht – das will ich ausdrücklich<br />

sagen – auch im Hinblick darauf, dass wir eine auf sorgfältige<br />

Weise getroffene Entscheidung akzeptieren müssen.<br />

Es hat also auch dann zu gelten, wenn ein Mensch<br />

nicht mehr einwilligungs- und geschäftsfähig ist, er aber<br />

noch eine Willensäußerung von sich geben kann, die<br />

deutlich macht, was er will. Auch daran gibt es keinen<br />

Zweifel. Das gilt in der Rechtsprechung, und das gilt insgesamt.<br />

(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei<br />

Abgeordneten der LINKEN und des BÜND-<br />

NISSES 90/DIE GRÜNEN)<br />

Meine Zeit ist kurz. Gestatten Sie mir deshalb nur<br />

noch eine Bemerkung.<br />

(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Na, na, Herr<br />

Kollege! Nicht übertreiben! – Renate Künast

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!