24.08.2013 Aufrufe

Plenarprotokoll 16/91 - Deutscher Bundestag

Plenarprotokoll 16/91 - Deutscher Bundestag

Plenarprotokoll 16/91 - Deutscher Bundestag

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Olaf Scholz<br />

<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – <strong>16</strong>. Wahlperiode – <strong>91</strong>. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2007 <strong>91</strong>37<br />

(A) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihre Rede- Eloquenz für die Galerie unter Beweis stellen zu müs- (C)<br />

zeit! – Heiterkeit)<br />

sen.<br />

– Ja, meine Redezeit. Schönen Dank. Es beruhigt mich,<br />

dass Sie das klarstellen.<br />

Präsident Dr. Norbert Lammert:<br />

Es liegen bisher auch keine Absichten einer anderen<br />

gesetzlichen Regelung vor, Herr Kollege Scholz.<br />

Olaf Scholz (SPD):<br />

Auch das beruhigt mich.<br />

(Heiterkeit)<br />

Noch ein kurzer Hinweis: Es wird gesagt, man müsse<br />

unterscheiden zwischen der Situation, in der jemand verfügt,<br />

so nicht sterben zu wollen, und der Situation, in der<br />

jemand verfügt, so nicht leben zu wollen. Das ist sprachlich<br />

schön, aber nicht das Gegensatzpaar, um das es in<br />

dieser Debatte geht.<br />

Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU):<br />

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!<br />

Diese Debatte ist eine Debatte der leisen Töne. Es ist ein<br />

außergewöhnliches Phänomen, dass die Ränge noch so<br />

voll sind, und das, obwohl bereits sehr viele Reden gehalten<br />

worden sind und trotz der fortgeschrittenen Zeit.<br />

Das zeigt, wie wichtig diese Debatte ist. Ich denke, die<br />

Besucher auf der Tribüne und sogar die Zuschauer am<br />

Fernseher können förmlich spüren, wie schwer man sich<br />

mit diesem Thema tut.<br />

Typischerweise gibt es in den Debatten im Deutschen<br />

<strong>Bundestag</strong> eine geborene kontradiktorische Schlachtordnung<br />

zwischen Regierung und Opposition. Es fallen Begriffe<br />

wie „richtig“ und „falsch“, „gut“ und „böse“,<br />

„schlecht“ und „dilettantisch“, es werden Zurufe gemacht,<br />

und es wird hart gefochten, manchmal auch unterhalb<br />

der Gürtellinie, weil man meint, seine besondere<br />

(Zuruf von der CDU/CSU: Er meint wohl<br />

Herrn Tauss!)<br />

Das ist heute anders. Die heutige Debatte ist – trotz<br />

gelegentlich vorkommender spaßiger Einwände, zu denen<br />

auch der Präsident immer wieder beizutragen vermag<br />

– so ernst, dass man keine Meinung, die hier vertreten<br />

wird, auch wenn sie nicht der eigenen entspricht,<br />

a priori für abwegig erklären würde. Das sollte man auch<br />

nicht tun, schon gar nicht mit dem Verdikt der Verfassungswidrigkeit.<br />

Denn vor diesem Hintergrund wären<br />

auch Regelungen im Erbrecht – etwa, dass der Erblasser<br />

aufgrund der Tatsache, dass es einen Pflichtteil gibt,<br />

nicht uneingeschränkt bestimmen kann, was mit dem<br />

Nachlass seines Vermögens geschieht – per se verfassungswidrig.<br />

Ich könnte also nicht einfach sagen – obwohl<br />

ich das gerne täte –: Mein gesamtes Vermögen vermache<br />

ich meinem Freund Volker Kauder.<br />

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)<br />

(Elke Ferner [SPD]: Richtig!)<br />

Denn in der Patientenverfügung verfügt man sowohl für<br />

den Fall, dass man bald stirbt, als auch für den Fall, dass<br />

man noch lange lebt – eventuell aber ohne Bewusstsein –,<br />

nur, so nicht am Leben erhalten werden zu wollen.<br />

Einen Teil des Vermögens – den ich ihnen natürlich auch<br />

nicht vorenthalten möchte – würden demnach als<br />

Pflichtteil meine Frau und meine Kinder bekommen. Sie<br />

sehen: Der Gesetzgeber hat de lege lata durchaus Grenzen<br />

für die Selbstbestimmung gesetzt.<br />

(B)<br />

Wenn man begreift, dass es sich dabei nicht um zwei<br />

unterschiedliche Zustände handelt, sondern dass das ein<br />

und derselbe Zustand ist und dass diese Unterscheidung<br />

künstlich herbeigeführt wird, um sich Gesetzgebungskompetenzen<br />

anzumaßen, die man sich besser nicht anmaßen<br />

sollte, dann kommt man zum Ergebnis, dass das<br />

Selbstbestimmungsrecht im Vordergrund stehen sollte.<br />

Wenn man sieht, dass jemand, der, aus welchen Gründen<br />

auch immer, selbstmordgeneigt ist, von einem Dach<br />

springen will, dann geht man nicht teilnahmslos vorbei<br />

und sagt sich, das ist nun einmal sein letzter Wille, und<br />

das ist Selbstbestimmung, sondern dann versucht man,<br />

ihn davon abzubringen, und es werden zum Beispiel<br />

Sprungtücher aufgespannt. All das geschieht, obwohl<br />

(D)<br />

Schönen Dank.<br />

dieser Mensch das vielleicht gar nicht will.<br />

(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei<br />

Abgeordneten der LINKEN und des BÜND-<br />

NISSES 90/DIE GRÜNEN)<br />

Zur Frage der Kongruenz bzw. Inkongruenz von aktuellem<br />

Willen und sogenanntem antizipierten bzw. vorweggenommenen<br />

Willen möchte ich noch eine andere<br />

Variante ansprechen. Wir haben eben von Herrn Zöller<br />

Präsident Dr. Norbert Lammert:<br />

Dr. Jürgen Gehb ist der nächste Redner für die CDU/<br />

CSU-Fraktion.<br />

gehört, dass Einzelbeispiele sicherlich nicht geeignet<br />

sind, ein gesamtes Konzept zu Fall zu bringen: Je nachdem,<br />

vor welchem Publikum und mit welcher Verve Sie<br />

etwas vorbringen, bekommen Sie vielleicht zunächst tosenden<br />

Beifall. Aber dann bringe ich ein anderes Beispiel,<br />

und es ist auch so.<br />

Doch längst nicht alle, die eine Patientenverfügung<br />

verfassen, sind in der Lage, die Begriffe zu verstehen.<br />

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-<br />

NEN]: Das ganze Recht geht vom natürlichen<br />

Willen aus!)<br />

Wir sind doch nicht alle Volljuristen. Nehmen wir an, ein<br />

Modellathlet, der für die Olympischen Spiele vorgesehen<br />

ist, schreibt: Wenn ich morgen einen Motorradunfall<br />

habe und das Bewusstsein verliere, möchte ich nicht,<br />

dass die Beatmung weitergeführt wird. – Würden Sie das<br />

machen wollen? Im „Spiegel“ von dieser Woche ist ein<br />

Streitgespräch zwischen Herrn Borasio, einem Palliativmediziner,<br />

und Herrn Hoppe zu lesen, in dem Herr<br />

Borasio gesagt hat: Zum bloßen Automaten, zum Vollstreckungsgehilfen<br />

von Patientenverfügungen möchte

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!