Plenarprotokoll 16/91 - Deutscher Bundestag
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Detlef Parr<br />
<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – <strong>16</strong>. Wahlperiode – <strong>91</strong>. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2007 <strong>91</strong>43<br />
(A) kein Gesetz, das bei den Ärzten einen Automatismus in „Wir tun doch nur das Beste für euch, wenn wir euch (C)<br />
Gang setzt, jeder Verfügung uneingeschränkt Folge leis- umbringen“, ist nicht von der Hand zu weisen.<br />
ten zu müssen. Ein Konsilium, in dem vor einer Entscheidung<br />
über den Verzicht auf lebenserhaltende Maß-<br />
(Unruhe)<br />
nahmen Angehörige und Pflegekräfte bei Nichtvorliegen<br />
einer Patientenverfügung gehört werden, ist die richtige<br />
Grundlage für einen Dialog, der unverzichtbar ist.<br />
– Das ist ein hartes Wort, ich weiß. Ich sage es auch gar<br />
nicht gern.<br />
Ich bin nun einmal sehr tief in der Behindertenbewegung<br />
verwurzelt. Es ist kein Zufall, dass der Verband,<br />
dessen Gründungspräsident ich war, schon in seinem<br />
Namen die Worte „Selbstbestimmung und Würde“ trägt.<br />
Ich halte diese Begriffe sehr hoch. Selbstbestimmung<br />
aber so hehr darzustellen, als wäre sie ein unumstößliches<br />
Faktum, vor allen Dingen so, als würde sie wirklich<br />
jeden Tag praktiziert, ist mit dem realen Leben doch<br />
nicht vereinbar. Wir erleben jeden Tag etwas anderes.<br />
Ich wünschte mir, dass ich keine Patientenverfügung<br />
brauchte. Ich wünschte mir, wenn ich nicht mehr selber<br />
entscheiden kann, Menschen um mich zu haben, die<br />
nach bestem Wissen und Gewissen für meine Belange<br />
eintreten. Wenn dies aber nicht möglich ist und keine<br />
Vertrauensperson meine Wünsche vertreten kann, soll<br />
mein erklärter Wille auf eindeutiger, rechtssicherer<br />
Grundlage nicht nur ernst genommen, sondern auch umgesetzt<br />
werden. Ich möchte nicht zum Spielball ideologischer,<br />
religiöser oder moralischer Wertvorstellungen anderer<br />
werden.<br />
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.<br />
Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr halte ich<br />
es in diesem Punkte mit einem Satz unserer ehemaligen<br />
Kollegin Margot von Renesse, die in der 14. Wahlperiode<br />
Vorsitzende der Enquete-Kommission „Recht<br />
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten<br />
der SPD, der LINKEN und des BÜNDNIS-<br />
SES 90/DIE GRÜNEN)<br />
und Ethik der modernen Medizin“ war. Mit Frau von<br />
Renesse stimmte ich in vielen Punkten nicht überein.<br />
Aber: Sie sagte immer wieder, insbesondere in den Pausen:<br />
Das Arzt/Patient-Verhältnis lässt sich nicht ver-<br />
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:<br />
Nun hat der Kollege Dr. Ilja Seifert, Fraktion<br />
Die Linke, das Wort.<br />
rechtlichen; es beruht am Ende auf Vertrauen oder auf<br />
Nichtvertrauen; wenn wir es nicht zustande bringen,<br />
dass zwischen Ärztin/Arzt und Patientin/Patient ein Vertrauensverhältnis<br />
besteht, dann nützen alle rechtlichen<br />
(Beifall bei der LINKEN)<br />
Zusagen nichts, weil das Verhältnis zwischen beiden<br />
Parteien eben nicht gleichberechtigt ist. Das kann es<br />
(B) Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE):<br />
auch überhaupt nicht sein, weil der Patient gar nicht das<br />
Wissen des Arztes hat.<br />
(D)<br />
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!<br />
Meine Damen und Herren! Die Debatte hier wird<br />
so geführt, dass man manchmal das Gefühl hat, als ob<br />
die freie Selbstbestimmung von staatlicher Bevormundung<br />
bedroht sei. Ich sehe diesen Konflikt eigentlich<br />
nicht. Wir haben die Situation in diesem Lande, dass<br />
Zehntausende von Menschen gegen ihren Willen in Pflegeheimen<br />
mit Magensonden und ähnlichen „pflegeer-<br />
Ich bin ein sehr großer Verfechter des Informed Consent;<br />
das ist gar keine Frage. Ob aber ein Patient wirklich<br />
kluge Entscheidungen fällen kann, hängt von vielem ab,<br />
unter anderem von der Vorbildung, aber auch davon, wie<br />
viele Schmerzen – sie beeinträchtigen unter Umständen<br />
die Wahrnehmung und die Entscheidungsfähigkeit –<br />
eine Krankheit bereitet.<br />
leichternden Maßnahmen“ versorgt werden. Was sie<br />
nicht wollen, was sie nicht brauchen und was auch nicht<br />
gut ist. Wir tun hier so, als ob eine Patientenverfügung,<br />
mit der jemand entscheidet, dass er nicht an Schläuchen<br />
oder Drähten liegen will, am Lebensende die Rechtssicherheit<br />
schaffen würde, die man brauchte. Ich glaube<br />
dieses Märchen nicht. Je länger ich der Diskussion hier<br />
Vielleicht brauchen wir weniger Patientenverfügungen<br />
als vielmehr eine gesetzliche Regelung des Arzt/Patient-Verhältnisses,<br />
durch die der Arzt nicht als jemand<br />
Paternalistisches, nicht als ein allwissender Gott in Weiß<br />
dargestellt wird, aber auch nicht als ein Bösewicht, gegen<br />
den man nur mit seinem Rechtsanwalt ankommt.<br />
zuhöre, desto eher tendiere ich dazu, lieber keine Rege- Ich hatte im vergangenen Monat das zweifelhafte Verlung<br />
zu treffen als eine schlechte. Ich bin also einer von gnügen, eine Weile im Krankenhaus zu sein. In den<br />
denjenigen, die noch nicht entschieden haben, wie sie 14 Tagen, die ich dort war, wurde mir von Ärzten oder<br />
am Ende abstimmen werden, wenn hier entsprechende auch vom Pflegepersonal ungefähr 17-mal gesagt: Die-<br />
Anträge vorliegen.<br />
ses und jenes müssen wir aus rechtlichen Gründen so<br />
und so machen. Ich weiß nicht, wie viele Papiere ich unterschreiben<br />
musste, um diesem oder jenem zuzustimmen.<br />
Ich möchte ausdrücklich hinzufügen, dass ich Herrn<br />
Kollegen Montag sehr dankbar dafür bin, dass er die geschichtliche<br />
Dimension eingebracht hat. Ich kann es mir<br />
jetzt sparen, das zu wiederholen. Wir leben nun einmal<br />
mit der Geschichte der Euthanasie. Wir können nicht so<br />
tun, als ob es sie nicht gäbe. So schlimm es ist und so<br />
heftig alle beteuern, dass es nie wieder so sein wird, wissen<br />
wir doch: Die Gefahr, dass so etwas wiederkommt<br />
und eines Tages wieder welche kommen und sagen:<br />
Es ist ja schon jetzt fast so, dass die Ärztin ihrerseits<br />
oder der Arzt seinerseits mit dem Rechtsanwalt drohen<br />
muss und dass der Patient seinerseits mit seinem Rechtsanwalt<br />
drohen muss, bevor entschieden werden kann, ob<br />
eine Spritze gegeben werden darf oder nicht. Liebe Kolleginnen<br />
und Kollegen, lassen Sie uns lieber das