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Plenarprotokoll 16/91 - Deutscher Bundestag

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<strong>91</strong>42 <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – <strong>16</strong>. Wahlperiode – <strong>91</strong>. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2007<br />

Dr. Hans Georg Faust<br />

(A) derlaufende Anweisungen aus der Patientenverfügung<br />

umgesetzt werden müssen.<br />

(Beifall bei der FDP)<br />

(C)<br />

(Joachim Stünker [SPD]: Was ist „objektiv un- Detlef Parr (FDP):<br />

vernünftig“?)<br />

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!<br />

Der <strong>Bundestag</strong> hat es sich nicht leicht gemacht. Über<br />

Jahre haben wir in Enquete-Kommissionen, in denen ich<br />

für die FDP mitarbeiten durfte, über Möglichkeiten und<br />

Grenzen der Autonomie am Lebensende nachgedacht.<br />

Wir müssen bald den Mut zur Entscheidung haben.<br />

Die Probleme liegen doch nicht auf der Intensivstation,<br />

wo die Menschen, wie man so häufig sagt, „an<br />

Schläuchen hängen“. Dieses Wortbild ist die Sicht des<br />

Außenstehenden, es ist nicht die Sicht des Patienten auf<br />

der Intensivstation. Ich habe in über 30 Jahren intensivmedizinischer<br />

Erfahrung in den seltensten Fällen Probleme<br />

gehabt, die sich mit den jetzt angedachten Neuregelungen<br />

zur Patientenverfügung hätten besser lösen<br />

lassen. Nein, meine Damen und Herren – Herr Röspel hat<br />

es angesprochen –, es geht darum, dass in deutschen Pflegeheimen<br />

bei nicht vom Tode bedrohten Patienten mit<br />

oder ohne Demenz zur Erleichterung der Nahrungsaufnahme<br />

Magensonden – sogenannte PEG-Sonden – in<br />

großem Umfang gelegt werden und damit eine Lebensentwicklung<br />

über Jahre hinweg vorprogrammiert wird, in<br />

die dann alle anderen Maßnahmen zur Lebensverlängerung<br />

zwangsläufig einmünden. Hier liegt aus meiner<br />

Sicht das Problem, und hierüber sollten wir uns Gedanken<br />

machen.<br />

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten<br />

der SPD)<br />

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:<br />

Nächster Redner ist der Kollege Detlef Parr, FDP-<br />

Fraktion.<br />

Mitmenschlichkeit ist gefragt, Vertrauen und Respekt<br />

vor dem Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen. So<br />

viel bei der geltenden Rechtslage möglich ist, so wenig<br />

Rechtssicherheit ist für alle Beteiligten gegeben, im<br />

Krankenhaus, aber mehr noch bei der ambulanten und<br />

stationären Pflege. Das müssen wir ändern, zum Beispiel<br />

durch mehr Beratung und Schulung von Ärztinnen und<br />

Ärzten, Heimleitung und Pflegekräften sowie durch<br />

mehr Wissensvermittlung über Palliativmedizin und<br />

Hospizbetreuung.<br />

(Beifall bei der FDP sowie des Abg.<br />

Dr. Wolfgang Wodarg [SPD])<br />

(B)<br />

Nach meiner Auffassung soll der in einer Patientenverfügung<br />

geäußerte Wille eines Patienten wie bisher<br />

grundsätzlich verbindlich bleiben. Dennoch entstehen<br />

Behandlungssituationen, die wichtige Fragen zu dem in<br />

der Patientenverfügung genannten Willen offenlassen.<br />

Hier ist es sehr hilfreich, wenn von dem Patienten eine<br />

Vorsorgevollmacht ausgestellt wurde und man die darin<br />

genannte Vertrauensperson zurate ziehen kann. Im Übrigen<br />

ist es selbstverständlich, dass die Angehörigen, die<br />

Unsere Diskussion ist eingebettet in eine immer<br />

sprachloser werdende Gesellschaft. Manche Eltern und<br />

Kinder finden über Gespräche nicht nahe genug zueinander.<br />

Manche reden viel, aber zu wenig miteinander.<br />

Dabei werden gerade die Probleme des Alters verdrängt<br />

und die Unausweichlichkeit des Sterbens ausgeblendet.<br />

Das beste gegenseitige Verständnis und die höchste Entscheidungssicherheit<br />

bringen aber Gespräch und Beratung<br />

mit dem Ziel einer umfassenden Vorsorge, zum einen<br />

in der Familie, zum anderen auch mit dem<br />

(D)<br />

man als Arzt immer umfassend informiert und einbe- Geistlichen oder aber auf eigene Initiative auch mit dem<br />

zieht, zur Interpretation des Willens beitragen. Am Ende Arzt. Durch unsere hochtechnisierte Medizin werden wir<br />

steht dann nach meiner Erfahrung in den allermeisten immer mehr Zeit für Kommunikation brauchen und auch<br />

Fällen eine für alle Beteiligten mit ruhigem Gewissen zu die Bereitschaft – nicht nur des Arztes –, uns diesen ele-<br />

tragende Entscheidung über Behandlung oder Behandmentaren Fragen zu stellen. Eine Patientenverfügung<br />

lungsabbruch, die der Sorge um das Wohl des Patienten muss also mehr sein als das Ausfüllen eines Formulares<br />

Rechnung trägt und seinem mutmaßlichen Willen ent- im stillen Kämmerlein.<br />

spricht. Dem steht nicht entgegen, dass wir als Parlament<br />

für auch in Zukunft auftretende Konfliktfälle die Rolle<br />

des Vormundschaftsgerichtes weiter präzisieren und<br />

klarstellen.<br />

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten<br />

der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/<br />

DIE GRÜNEN)<br />

Das Wohl des Patienten und sein Wille sind in der Regel<br />

keine Gegensätze. Das Bild vom Arzt als Verfechter<br />

einer seelenlosen Apparatemedizin, der um jeden Preis<br />

menschliches Leben verlängern will, und das Bild vom<br />

Juristen, der ihm mit Vorschriften und Gesetzen bewaffnet<br />

in den Arm fallen muss: Beide sind falsch. Noch haben<br />

Patienten, Ärzte und Angehörige eine Vertrauensbeziehung,<br />

in der die bisherige Patientenverfügung und<br />

weitere behutsame gesetzliche Regelungen entschei-<br />

Sie sollte im Ergebnis eine Übereinkunft sich nahestehender<br />

Menschen sein, die einander ohne Wenn und<br />

Aber vertrauen und sich aufeinander verlassen können.<br />

Diese Verlässlichkeit muss auch der Staat garantieren.<br />

Dabei ist es eine Illusion, einen Ausgleich zwischen dem<br />

Grundrecht auf Selbstbestimmung und dem Grundrecht<br />

auf Lebensschutz finden zu können. Wer einer Reichweitenbegrenzung<br />

das Wort redet, sorgt eben für diese<br />

Verlässlichkeit nicht.<br />

dende Hilfen für Lebensentscheidungen sein können.<br />

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD<br />

und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)<br />

Wir leben in einer freien Gesellschaft. Wir müssen<br />

den Vorrang der Selbstbestimmung respektieren. Ich<br />

stimme dem Präsidenten der Bundesärztekammer, Professor<br />

Hoppe, ausdrücklich zu: Eine Lebensverlängerung<br />

um jeden Preis ist abzulehnen. Natürlich wollen wir

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