Plenarprotokoll 16/91 - Deutscher Bundestag
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9302 <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – <strong>16</strong>. Wahlperiode – <strong>91</strong>. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. März 2007<br />
(A) mit Behinderung. Hier verschärfen sich die Probleme berechtigten des SGB IX …, die in dieser Form bis- (C)<br />
der Pflege und Betreuung überproportional, weil ältere lang für kein Sozialgesetz besteht. Diese<br />
Menschen mit Behinderung oftmals keine Angehörigen Internetseite ist somit Teil eines Prozesses der „ler-<br />
mehr haben, die für sie da sind und große Teile der nenden Gesetzgebung“.<br />
Pflege und Betreuung leisten könnten.<br />
Was für ein schöner Traum. Die Realität sieht leider<br />
anders aus: Der letzte Bericht über die Situation behinderter<br />
Menschen auf www.sgb-IX-umsetzen.de datiert<br />
aus dem Jahr 2004. Anhörungen und Werkstattgespräche<br />
wurden ebenfalls nur bis 2004 dokumentiert, gleiches<br />
gilt für Stellungnahmen. Die letzten Reden und Pressemitteilungen<br />
sind aus dem Jahr 2005. Und auch die Rubrik<br />
„Politische Diskussion“ endet 2005.<br />
Nicht nur deshalb ist in der Sozialpolitik die Eingliederungshilfe<br />
für die Kommunen das größte Sorgenkind.<br />
Die Kosten der Eingliederungshilfe für Menschen mit<br />
Behinderung sind in den letzten 15 Jahren kontinuierlich<br />
angestiegen. Nach Informationen des Deutschen Städteund<br />
Gemeindebundes stiegen die Leistungen für behinderte<br />
Menschen zwischen 19<strong>91</strong> und 2005 jährlich um<br />
8,5 Prozent von vier Milliarden Euro auf 11,8 Milliarden<br />
Euro an. Bald 50 Prozent aller kommunalen Sozialhilfeleistungen<br />
werden heute für behinderte Menschen aufgewendet.<br />
Es steht zu befürchten, dass angesichts der schwierigen<br />
Haushaltslage der Kommunen in Deutschland das<br />
Hilfesystem für Menschen mit Behinderung in der derzeitigen<br />
Form nicht mehr lange zu finanzieren ist. Je<br />
stärker aber die Kommunen gezwungenermaßen auf die<br />
Kostenbremse treten müssen, desto mehr wird die Behindertenpolitik<br />
zum finanziellen Verschiebebahnhof.<br />
Der im vergangenen Jahr gerade noch abgewendete Vorstoß,<br />
das Bruttoprinzip in der Eingliederungshilfe abzuschaffen,<br />
zeigt, in welche Richtung falsche Reformvorschläge<br />
gehen können.<br />
Vertreter der Bundesregierung haben in diesem Jahr<br />
bereits mehrfach außerhalb des Parlamentes angekündigt,<br />
dass noch in diesem Jahr die Bundesregierung die<br />
Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe in Angriff<br />
nehmen will. Das begrüße ich. Ich bin allerdings gespannt,<br />
wohin diese Weiterentwicklung führen soll,<br />
wenn der Bund bereits im Vorfeld ausschließt, selbst<br />
mehr Verantwortung zu übernehmen.<br />
Erst gestern hat mir Staatssekretär Thönnes auf meine<br />
Frage zur Stagnation in der Frühförderung mitgeteilt, die<br />
Bundesregierung sehe keine Veranlassung zu gesetzgeberischen<br />
Korrekturen am SGB IX. Apropos SGB IX:<br />
2001 wurde mit diesem Gesetzeswerk ein Meilenstein<br />
für die Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen<br />
gesetzt. Bewusst wurden vom Gesetzgeber viele<br />
Regelungen offen formuliert, um den Sozialhilfeträgern<br />
Spielräume bei der Umsetzung und der Anpassung an<br />
funktionierende Strukturen zu gewähren.<br />
Schon bald erkannte man jedoch, dass sich die Umsetzung<br />
des SGB IX nicht so leicht und zügig entwickelte<br />
wie zunächst erhofft. Also wurde 2003 von der<br />
Bundesregierung eine Homepage mit dem programmatischen<br />
Namen www.sgb-IX-umsetzen.de online gestellt.<br />
Der damalige Behindertenbeauftragte Karl Hermann<br />
Haack erklärte den Zweck der Homepage so:<br />
Dadurch wird eine einzigartige, lebendige Informationsplattform<br />
für die Anwender und die Leistungs-<br />
Leider endete 2005 nicht nur das Projekt „SGB-IX-<br />
Umsetzen“, sondern auch die Politik der Bundesregierung<br />
für Menschen mit Behinderung. Die Bundesregierung<br />
verschließt die Augen vor den Umsetzungsproblemen<br />
des SGB IX genauso wie vor dem stetig<br />
wachsenden Kostendruck auf die Sozialhilfeträger. Beides<br />
erfolgt zulasten behinderter Menschen: Verunsicherungen<br />
und Zukunftsängste sind die Folge.<br />
(B)<br />
Die Bundesregierung sieht die Probleme der Eingliederungshilfe<br />
durchaus, sieht sich aber nicht in der Verantwortung,<br />
hier aktiv zu werden. Der Bund sieht allein<br />
die Länder in der Verantwortung. Dies hat die Bundesregierung<br />
auf Anfrage der FDP mehrfach bekräftigt.<br />
Man kann darüber streiten, ob der von der Linksfraktion<br />
vorgelegte Vorschlag für ein Nachteilsausgleichsgesetz<br />
die richtige Lösung ist. Manchen Aspekten kann ich<br />
nur widersprechen, so zum Beispiel der unverrückbaren<br />
Festlegung, dass unterschiedliche regionale Preisniveaus<br />
keine Auswirkung auf die Bedarfsfestsetzung haben sollen.<br />
Hier wünsche ich mir mehr Flexibilität und Gerechtigkeit.<br />
Der Antrag kann aber der Einstieg in eine<br />
Diskussion über die zukünftige Finanzierung von Teilhabeleistungen<br />
sein. Allerdings ist es dazu notwendig, dass<br />
die Regierungsfraktionen dieses Diskussionsangebot annehmen.<br />
Eine Anhörung im <strong>Bundestag</strong>sausschuss für<br />
Arbeit und Soziales sollte der erste Schritt in dieser Diskussion<br />
sein.<br />
(D)<br />
Die FDP hat sich seit jeher dafür eingesetzt, den Gesetzes-<br />
und Vorschriftendschungel zu lichten. Dies gilt in<br />
besonderem Maß für die ausufernde Gesetzeslage in der<br />
Behindertenpolitik. Es hilft niemandem, erst recht nicht<br />
den Hilfesuchenden, wenn nur schwer nachvollziehbar<br />
und nicht eindeutig ist, von wem welche Hilfestellungen<br />
zu erwarten sind. Das Ziel eines eigenen Leistungsgesetzes<br />
für behinderte Menschen muss deshalb sein, die bisher<br />
bestehenden Regelungen zusammenzufassen, zu vereinfachen<br />
und somit transparenter und effektiver zu<br />
machen.<br />
Auch eine im Umfang begrenzte Beteiligung des<br />
Bundes an den Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe<br />
von Menschen mit Behinderung muss diskutiert<br />
werden. Die Kommunen dürfen mit den Kosten der Eingliederungsleistungen<br />
nicht alleingelassen werden, solange<br />
sie nicht im Rahmen des föderalen Finanzausgleichs<br />
bessergestellt werden.<br />
Die FDP spricht sich für die Einführung eines Bürgergeldes<br />
aus. Das Bürgergeld bündelt eine Fülle von steuerfinanzierten<br />
Sozialleistungen, die von den verschiedensten<br />
Stellen ausbezahlt werden. Ziel ist es, sowohl<br />
diese Sozialleistungen wie Arbeitslosengeld II, Sozialhilfe<br />
– ohne Sozialhilfe in besonderen Lebenslagen –,<br />
Grundsicherung, Wohngeld und BAföG, als auch das