Copyright by Brigitta Helbig-Mischewski - Helbig-mischewski.de
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<strong>Brigitta</strong> <strong>Helbig</strong>-<strong>Mischewski</strong>: Ein Mantel aus Sternenstaub, Nor<strong>de</strong>rstedt 2005<br />
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dieselbe Komornicka, die Wacław Nałkowski 161 1895 als „einen <strong>de</strong>r fortschrittlichsten<br />
Evolutionstypen“ bezeichnete. Ihr handschriftliches Werk ist das Produkt einer<br />
gewaltigen existenziellen Anstrengung, die darauf hinzielt, die eigene Biographie zu<br />
reinterpretieren, sich als ‚Mann’ und ‚Mystiker’ zu konstituieren, einen Lebensmythos<br />
zu kreieren, <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Situation <strong>de</strong>r Isolierung und Entwürdigung vor Selbstzerstörung<br />
rettet und wahrscheinlich hilft, ein schweres psychisches Lei<strong>de</strong>n zu zähmen. „Xięga“<br />
legitimiert Własts als ‚parasitär’ stigmatisierte Existenz, autorisiert <strong>de</strong>n Enteigneten<br />
und Entmündigten. Wenn es ihm nicht Autorität verleiht, so rettet es zumin<strong>de</strong>st seine<br />
Wür<strong>de</strong>. Es entschädigt ihn für das von ihm erlittene und bereinigt das von ihm (in<br />
seinem Empfin<strong>de</strong>n) verübte Unrecht.<br />
Die von Włast erschaffene Lebenslegen<strong>de</strong> hat das narrative Muster einer<br />
Wandlungsgeschichte, wie es sie in allen Religionen und Mythologien gibt – in <strong>de</strong>r<br />
biblischen Tradition z.B. als Verwandlung <strong>de</strong>s Jakob in Israel, <strong>de</strong>s Saulus in Paulus,<br />
und in <strong>de</strong>r polnischen Literaturgeschichte <strong>de</strong>s Gustaws in Konrad 162 gut bekannt. Viele<br />
dieser Wandlungsgeschichten gehen mit einer Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Namens einher, um die<br />
Dimension <strong>de</strong>r vollzogenen Metamorphose auch nach außen sichtbar zu machen – <strong>de</strong>r<br />
Fall Komornicka ist insofern noch radikaler, als hier auch das Geschlecht ‚gewechselt’<br />
wird. Den Brennpunkt dieser Lebenslegen<strong>de</strong> bil<strong>de</strong>t die Schuld und das Verlangen, von<br />
ihrer Last befreit zu wer<strong>de</strong>n. Diesem Ziel dient zum einen die rückwärtsgewandte<br />
Überhöhung <strong>de</strong>r Kindheit, <strong>de</strong>ren Vorzüge in <strong>de</strong>r Vergangenheit nicht wahrgenommen<br />
wur<strong>de</strong>n (Nostalgie), und zum an<strong>de</strong>ren <strong>de</strong>r Entwurf einer jenseitigen Welt ohne<br />
moralische Zweifel und Konflikte sowie <strong>de</strong>r Vision von Freisprechung bzw.<br />
Wie<strong>de</strong>rgutmachung <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>n (Utopie). In zahlreichen Gedichten beschwört Włast<br />
161 Nałkowski/Komornicka/Jellenta 1985, 49.<br />
162 In „Dziady“ (Ahnenfeier) von Mickiewicz. Anscheinend ließ sich Komornicka von <strong>de</strong>r „Ahnenfeier“<br />
inspirieren, sowohl was ihre ‚Wie<strong>de</strong>rgeburt’ als Włast als auch die Relevanz <strong>de</strong>s Ahnenmotivs in ihrem<br />
Leben und Schreiben anbelangt. In allen Schaffensphasen hat sich die Dichterin explizit und implizit,<br />
sowohl in ihrer Ästhetik, z.B. in <strong>de</strong>n metrischen Strukturen ihrer Lyrik, als auch in ihrer Weltsicht, auf die<br />
Romantiker Mickiewicz, Słowacki, Krasicki und Norwid berufen.<br />
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<strong>Copyright</strong> <strong>by</strong> <strong>Brigitta</strong> <strong>Helbig</strong>-<strong>Mischewski</strong> 2005 / www.helbig-<strong>mischewski</strong>.eu