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Copyright by Brigitta Helbig-Mischewski - Helbig-mischewski.de

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<strong>Brigitta</strong> <strong>Helbig</strong>-<strong>Mischewski</strong>: Ein Mantel aus Sternenstaub, Nor<strong>de</strong>rstedt 2005<br />

341<br />

Auf eindrucksvolle, grotesk-ludistische und ästhetisch nicht so angreifbare 42 Art und<br />

Weise erzählt ein Sohn im Gedicht „Strzyż“ (Die Schur, 154) von seiner<br />

verhängnisvollen Abhängigkeit von einer als allmächtige Herrscherin und Hexe 43<br />

wahrgenommenen Mutter, die ihn (im Traum) einer Prozedur <strong>de</strong>s Haareschnei<strong>de</strong>ns<br />

unterzieht. Der Junge kniet dabei. Das Ritual <strong>de</strong>r Schur kann in <strong>de</strong>r abendländischen<br />

Kultur Einweihung und Kastration be<strong>de</strong>uten. 44 In seinen eigenen Augen sieht <strong>de</strong>r<br />

Junge nach <strong>de</strong>r Schur wie eine Gurke (Symbol <strong>de</strong>s <strong>de</strong>gradierten Phallus) aus und<br />

bedauert <strong>de</strong>n Verlust seiner Haare. Sie scheinen einen animalischen, wil<strong>de</strong>n,<br />

‚männlichen’ 45<br />

Anteil seiner Persönlichkeit zu symbolisieren – <strong>de</strong>r Junge selbst<br />

bezeichnet sie als ein halb menschliches, halb tierisches ‚Wun<strong>de</strong>r’, Flaum bzw.<br />

Fe<strong>de</strong>rkleid (pióra, pierze), vergleicht sie aber auch mit <strong>de</strong>m Fell von wil<strong>de</strong>n Tieren. 46<br />

An<strong>de</strong>rerseits können sie auch – wie Ritz (1999, 159) hervorhebt – als ein „homonymes<br />

Zeichen <strong>de</strong>s Phallischen und <strong>de</strong>r dichterischen Kreation“ stehen. Doch die Mutter<br />

bagatellisiert das Problem und versichert <strong>de</strong>m Jungen, dass ihm die Haare schon<br />

wie<strong>de</strong>r wachsen wer<strong>de</strong>n: „und vielleicht auch Bart und Schnurrbart“. Dies klingt nach<br />

Ironie, <strong>de</strong>nn die Mutter tut alles, damit <strong>de</strong>r Sohn kein erwachsener Mann wer<strong>de</strong>n kann.<br />

Der glatzköpfige Junge vergleicht sich nun mit einem Brahmanen – es scheint ein<br />

Versuch einer positiven Semantisierung <strong>de</strong>r Kastration zu sein. Gleichzeitig<br />

bezeichnet er sich jedoch grotesk als einen „Verurteilten höheren Gra<strong>de</strong>s“ (skazaniec<br />

42 Gedichte, die sich wie „Strzyż“ bzw. „Dziwny sen“ (bei<strong>de</strong>s Initiationstexte) als Träume ausweisen,<br />

scheinen sowohl was ihre formalen Eigenschaften als auch was die entworfenen Bil<strong>de</strong>r betrifft, in<br />

ästhetischer Hinsicht anspruchsvoller zu sein – vermutlich durch einen konsequenteren Einbruch <strong>de</strong>s<br />

Absur<strong>de</strong>n.<br />

43 Aus <strong>de</strong>n abgeschnittenen Haaren <strong>de</strong>s Sohnes will die Mutter ‚Besen’ für die Töchter anfertigen:<br />

entwe<strong>de</strong>r, um diese auch in Hexen zu verwan<strong>de</strong>ln, o<strong>de</strong>r um sie zu bestrafen, also auch über sie Macht<br />

auszuüben.<br />

44 Das Phantasma einer die geistige und sexuelle I<strong>de</strong>ntität <strong>de</strong>s Mannes beschnei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Frau ist eine <strong>de</strong>r<br />

Weiblichkeitsimaginierungen <strong>de</strong>s Patriarchats. Bil<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r kastrieren<strong>de</strong>n Frau in <strong>de</strong>r polnischen<br />

Zwischenkriegsliteratur sind u.a. bei Bruno Schulz zu fin<strong>de</strong>n.<br />

45 Sie wer<strong>de</strong>n mit Männlichkeitsattributen wie Bart und Schnurrbart in Verbindung gebracht, quasi als<br />

Vorstufe zu diesen.<br />

46 „To ptasio-ludzkie dziwo“ (dieses vogelartig-menschliche Wun<strong>de</strong>r), „die Borste einer Wildkatze und<br />

eines Elchs“ (szczeć z żbika i łosia).<br />

<strong>Copyright</strong> <strong>by</strong> <strong>Brigitta</strong> <strong>Helbig</strong>-<strong>Mischewski</strong><br />

<strong>Copyright</strong> <strong>by</strong> <strong>Brigitta</strong> <strong>Helbig</strong>-<strong>Mischewski</strong> 2005 / www.helbig-<strong>mischewski</strong>.eu

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