Copyright by Brigitta Helbig-Mischewski - Helbig-mischewski.de
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<strong>Brigitta</strong> <strong>Helbig</strong>-<strong>Mischewski</strong>: Ein Mantel aus Sternenstaub, Nor<strong>de</strong>rstedt 2005<br />
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Schizophrene (wenn auch ihnen nicht vorbehalten). 50 Kępiński spricht auch von <strong>de</strong>m<br />
häufig zu beobachten<strong>de</strong>n Phänomen, dass sich Schizophrene als Medium eines<br />
an<strong>de</strong>ren Menschen begreifen, <strong>de</strong>r in sie ‚eingeht’. Dies nehme ich ernst, ohne jedoch<br />
die psychische Krankheit essentialisieren zu wollen – dies ist nach Szasz, Laing,<br />
Cooper und Foucault we<strong>de</strong>r möglich noch gerechtfertigt. Anstatt mit <strong>de</strong>m Begriff <strong>de</strong>r<br />
‚Krankheit’ zu operieren, spreche ich lieber von ‚Lei<strong>de</strong>n’, um die Arbeit mit <strong>de</strong>r<br />
Opposition ‚Normalität-Pathologie’ zu vermei<strong>de</strong>n. Wie seit <strong>de</strong>r antipsychiatrischen<br />
Forschung bekannt, ist die Grenze zwischen diesen bei<strong>de</strong>n Polen durchaus fließend<br />
und ohnehin ‚nur’ eine gesellschaftliche Übereinkunft. In diesem Zusammenhang<br />
schließe ich mich Kępiński (1992) an, <strong>de</strong>r sein berühmt gewor<strong>de</strong>nes, 1972<br />
entstan<strong>de</strong>nes Buch „Schizofrenia“, <strong>de</strong>nen gewidmet hat, „die mehr fühlen und an<strong>de</strong>rs<br />
verstehen, und daher mehr lei<strong>de</strong>n, und die wir oft ‚Schizophrene’ nennen.“ 51<br />
Bis zu ihrem Lebensen<strong>de</strong> bleibt Komornicka in <strong>de</strong>r Situation <strong>de</strong>r Entmündigten<br />
gefangen. Sie hat <strong>de</strong>n in so vielen Texten anvisierten und von einigen an<strong>de</strong>ren<br />
Künstlern und Künstlerinnen <strong>de</strong>s Jungen Polen ‚vorgelebten’ Selbstmord nicht<br />
begangen, 52 son<strong>de</strong>rn sich zunehmend <strong>de</strong>r Mystik zugewandt. Nach <strong>de</strong>r Rückkehr nach<br />
Grabów bil<strong>de</strong>n sich die Wahni<strong>de</strong>en weitgehend zurück: Piotr verwan<strong>de</strong>lt sie quasi in<br />
Kunst. Sowohl mit seinen undogmatischen, aus allen Weltreligionen schöpfen<strong>de</strong>n<br />
spirituellen Bemühungen als auch mit seiner kuriosen, prophetischen „Xięga“ leistet<br />
er eine gewaltige therapeutische Arbeit an sich selbst, schafft Zusammenhänge in<br />
seiner Biographie, konstruiert die trostspen<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Lebenslegen<strong>de</strong> eines Bekehrten,<br />
50 Vgl. Kępiński (1992, 157 f.): „Die Unsicherheit bezüglich <strong>de</strong>r eigenen I<strong>de</strong>ntität manifestiert sich<br />
bisweilen sehr dramatisch in <strong>de</strong>r Schizophrenie. Der Kranke hat gera<strong>de</strong>zu <strong>de</strong>n Eindruck, dass sein<br />
Geschlecht einer Verän<strong>de</strong>rung unterliegt, zum Beispiel: Ein Mann ist davon überzeugt, dass ihm ein<br />
Busen wächst, dass seine Genitalien kleiner wer<strong>de</strong>n und weibliche Merkmale annehmen, dass sich seine<br />
Stimme verän<strong>de</strong>rt, sein Bartwuchs schwin<strong>de</strong>t u.ä. Und die Frau: dass ihr ein Penis wächst, sich ihre<br />
Gesichtszüge verän<strong>de</strong>rn, sich die Brüste zurückbil<strong>de</strong>n u.ä.“<br />
51 Polnisch: „Tym, którzy więcej czują i inaczej rozumieją i dlatego bardziej cierpią, a których często<br />
nazywamy schizofrenikami.“<br />
52 Man kann in Komornickas Fall aber von einem ‚symbolischen’ Selbstmord an ihrem weiblichen, stark<br />
verletzten und traumatisierten Geschlecht sprechen. (Vgl. Czabanowska-Wróbel 2000, Kralkowska-<br />
Gątkowska 2002)<br />
<strong>Copyright</strong> <strong>by</strong> <strong>Brigitta</strong> <strong>Helbig</strong>-<strong>Mischewski</strong><br />
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