Copyright by Brigitta Helbig-Mischewski - Helbig-mischewski.de
Copyright by Brigitta Helbig-Mischewski - Helbig-mischewski.de
Copyright by Brigitta Helbig-Mischewski - Helbig-mischewski.de
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
280<br />
<strong>Brigitta</strong> <strong>Helbig</strong>-<strong>Mischewski</strong>: Ein Mantel aus Sternenstaub, Nor<strong>de</strong>rstedt 2005<br />
Wissens’ trauert man <strong>de</strong>m Rest <strong>de</strong>r alten I<strong>de</strong>ntität nach. Dieser Rest wird im realen<br />
Leben Komornickas eine herausragen<strong>de</strong> Rolle spielen. 43<br />
Das Gedicht en<strong>de</strong>t mit einem <strong>de</strong>m Zeitgeist <strong>de</strong>r Deka<strong>de</strong>nz entsprechen<strong>de</strong>n Bild <strong>de</strong>r<br />
absoluten Zerstörung. Denn <strong>de</strong>r Wahn und die Verwandlung <strong>de</strong>s ‚verdammten’ Engels<br />
haben einen <strong>de</strong>struktiven Charakter, <strong>de</strong>r Racheakt und die „schreckliche Liebe“ (151)<br />
vermögen we<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Engel selbst noch die Menschheit zu heilen. Eine Erlösung sieht<br />
<strong>de</strong>r Rasen<strong>de</strong> ausschließlich im Tod, im Nirwana, im Nichts, und so strebt er einem<br />
Selbstmord zu und berauscht sich an <strong>de</strong>r im Jungen Polen populären Phantasie, die<br />
Menschheit an <strong>de</strong>n Haaren mit in <strong>de</strong>n Tod zu reißen.<br />
Es erscheint produktiv, dieses Gedicht mit <strong>de</strong>m feministischen Schlüssel zu lesen. 44<br />
Mittels teuflischer Metaphorik flechten, so Brinkler-Gabler (1978), weibliche<br />
Lyrikerinnen im 19. Jahrhun<strong>de</strong>rt die verdrängte Lei<strong>de</strong>nschaftlichkeit, Sinnlichkeit und<br />
– meines Erachtens – auch Geltungsbedürfnisse in ihre Texte ein. Die Verwandlung<br />
<strong>de</strong>s Engels (im 19. Jh. das populärste Bild für Hausfrau und Mutter) in einen rasen<strong>de</strong>n<br />
Dämon könnte metaphorisch für die Bestrebungen eines weiblichen Ichs stehen, seine<br />
althergebrachte, vom Masochismus bestimmte Seinsweise aufzugeben und sich zu<br />
einer überragen<strong>de</strong>n, gott- bzw. teufelsgleichen Machtposition aufzuschwingen, das<br />
Korsett <strong>de</strong>r Weiblichkeit abzuwerfen und einen ‚Mantel’ <strong>de</strong>s Genusses und <strong>de</strong>r Macht<br />
anzuziehen. 45 Die Phantasie ist vom Impetus <strong>de</strong>r Rache getragen und läuft, ähnlich<br />
wie in „Andronice“, auf ein <strong>de</strong>struktives Telos zu. Letztendlich gelingt es nicht (dies<br />
ist sicherlich auch poetologisch bedingt), einen positiven existenziellen Entwurf zu<br />
43 Als Inszenierung <strong>de</strong>r Melancholie sehe ich auch die <strong>de</strong>n ersten Gedichtabschnitt abschließen<strong>de</strong><br />
Begegnung <strong>de</strong>s Engels mit einem lei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n, weiblichen Wesen mit <strong>de</strong>m „Herz einer Taube“ (150),<br />
welches er – in seiner Vision – mitten im Kampf aufsucht und zärtlich küsst. Es scheint die<br />
Personifizierung eines Bereichs <strong>de</strong>r Persönlichkeit <strong>de</strong>s Engels zu sein – seines ‚weiblichen’ Anteils, <strong>de</strong>r<br />
nicht ohne Schmerz verabschie<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n kann.<br />
44 Eine ‚universelle’ Lektüre ist ebenfalls möglich.<br />
45 Vgl. dazu Brinkler-Gabler 1978, 55: „Der Dämon vereinigt alles, was eine Frau, solange sie eine Dame<br />
war, sich nicht einzugestehen wagte: erotisches Verlangen, Sinnlichkeit, Lei<strong>de</strong>nschaft.“<br />
<strong>Copyright</strong> <strong>by</strong> <strong>Brigitta</strong> <strong>Helbig</strong>-<strong>Mischewski</strong><br />
<strong>Copyright</strong> <strong>by</strong> <strong>Brigitta</strong> <strong>Helbig</strong>-<strong>Mischewski</strong> 2005 / www.helbig-<strong>mischewski</strong>.eu