Copyright by Brigitta Helbig-Mischewski - Helbig-mischewski.de
Copyright by Brigitta Helbig-Mischewski - Helbig-mischewski.de
Copyright by Brigitta Helbig-Mischewski - Helbig-mischewski.de
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
<strong>Brigitta</strong> <strong>Helbig</strong>-<strong>Mischewski</strong>: Ein Mantel aus Sternenstaub, Nor<strong>de</strong>rstedt 2005<br />
337<br />
wür<strong>de</strong>. „Włast ist bereit, die Nabelschnur zu durchtrennen, er braucht aber<br />
Unterstützung“, kommentiert Filipiak (2000, 130). Die letzte Strophe ist eine<br />
emotionale Apostrophe an die unbekannte Geliebte, die es schafft, <strong>de</strong>r Mutter, <strong>de</strong>r<br />
„unerbittlichen Wächterin meiner Tugend“ einen „Kampf <strong>de</strong>r Göttinnen um mein<br />
Herz“ anzusagen. Diesen „offenen Kampf mit <strong>de</strong>r eigenen Mutter“ vergleicht das<br />
lyrische Ich mit einer Wie<strong>de</strong>rgeburt, die, so kann interpretiert wer<strong>de</strong>n, Erwachsensein<br />
und Autonomie be<strong>de</strong>uten wür<strong>de</strong>.<br />
Das hier entworfene Bild einer heterosexuellen Beziehung (<strong>de</strong>r Sohn und seine<br />
Erlöserin) kann aber auch an<strong>de</strong>rs gelesen wer<strong>de</strong>n. Wenn man vom ‚Sohn’ als Maske<br />
eines weiblichen Ichs ausgeht, dann ließe sich das Gedicht als vergebliche Suche einer<br />
Tochter nach einer weiblichen I<strong>de</strong>ntität und Authentizität jenseits <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r Mutter<br />
symbolisierten Muster lesen. Je<strong>de</strong> weibliche I<strong>de</strong>ntität wür<strong>de</strong> nämlich in Gefahr<br />
geraten, zum Abbild <strong>de</strong>r Mutter zu wer<strong>de</strong>n und die stark polarisierten Frauenbil<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />
abendländischen Kultur, die diese repräsentiert, zu reproduzieren. Die junge<br />
Komornicka hat sowohl gegen <strong>de</strong>n realen als auch gegen <strong>de</strong>n symbolischen Vater<br />
rebelliert. Eine Ablösung von <strong>de</strong>r Mutter fand jedoch niemals statt und scheint<br />
innerhalb <strong>de</strong>r „Xięga“ ebenso wenig zu gelingen. 32<br />
Auch in ihrer Korrespon<strong>de</strong>nz<br />
i<strong>de</strong>alisiert, überhöht und mythologisiert Komornicka die Mutter grenzenlos – mit<br />
zärtlichsten Worten und in romantischer Manier. Sie legt <strong>de</strong>tailliert über ihr eigenes<br />
Leben Rechenschaft ab und lädt sich alle Probleme <strong>de</strong>r Mutter auf. In Własts Briefen<br />
bricht sich dann auch die Kehrseite dieser I<strong>de</strong>alisierung <strong>de</strong>n Bahn – die Mutter und<br />
die Familie insgesamt wer<strong>de</strong>n, was angesichts <strong>de</strong>r Vergeblichkeit aller Bitten um<br />
Befreiung auch nachvollziehbar ist, dämonisiert. 33<br />
Gleichzeitig aber erfährt die<br />
Glorifizierung noch eine weitere Steigerung. Bei<strong>de</strong> Eltern wer<strong>de</strong>n von Włast zu einem<br />
Königspaar erhoben, er selbst ernennt sich zum Königssohn.<br />
32 „Maria hat ihren Vater getötet, aber Piotr hat niemals seine Mutter umgebracht“ – meint metaphorisch<br />
Filipiak (2000, 129).<br />
33 Nach Kępiński (1992) entspricht diese Polarisierung einer allgemeinen Ten<strong>de</strong>nz <strong>de</strong>r Wahrnehmung <strong>de</strong>r<br />
familiären Umgebung durch Schizophrenie-Lei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>.<br />
<strong>Copyright</strong> <strong>by</strong> <strong>Brigitta</strong> <strong>Helbig</strong>-<strong>Mischewski</strong><br />
<strong>Copyright</strong> <strong>by</strong> <strong>Brigitta</strong> <strong>Helbig</strong>-<strong>Mischewski</strong> 2005 / www.helbig-<strong>mischewski</strong>.eu