Copyright by Brigitta Helbig-Mischewski - Helbig-mischewski.de
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<strong>Brigitta</strong> <strong>Helbig</strong>-<strong>Mischewski</strong>: Ein Mantel aus Sternenstaub, Nor<strong>de</strong>rstedt 2005<br />
Unförmigen, grässlichen Klumpen! 4<br />
Die letzten Verse sind <strong>de</strong>r Beerdigung gewidmet. ‚Dazwischen’ spielt sich das<br />
existenzielle Drama <strong>de</strong>s Ichs, seine gesamte Biographie ab. Doch in Wirklichkeit ist es<br />
gar keine Biographie, <strong>de</strong>nn von <strong>de</strong>r Geburt bis zum Grab än<strong>de</strong>rt sich nichts: Dies ist<br />
auch <strong>de</strong>r Grund <strong>de</strong>r Verzweiflung. Die erste und die letzte Strophe fangen mit genau<br />
<strong>de</strong>rselben Klage an: das Ich sieht sich als das ‚Kind’ und die ‚Asche’ <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>, als<br />
vollständig im Körperlichen verhaftet, ganz ungeformte Materie. Je<strong>de</strong> Strophe beginnt<br />
mit zwei Ausrufesätzen (Selbst<strong>de</strong>finierungsversuchen), von <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r erste jeweils<br />
gleich bleibt und <strong>de</strong>r zweite nur leicht abgewan<strong>de</strong>lt wird: (1) Ich! Kind <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>! Ich!<br />
Staub <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>! / (2) Ich! Kind <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>! Ich! Das Geschöpf <strong>de</strong>s Augenblicks! / (3)<br />
Ich! Kind <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>! Ich! Der Begier<strong>de</strong> Kind! / (4) Ich! Kind <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>! Ich! Gespenst<br />
<strong>de</strong>r Wellen, / (5) Ich! Kind <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>! Ich! Staub <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>! 5 Die Variationen in <strong>de</strong>r<br />
Textmitte markieren keine Verän<strong>de</strong>rungen, sind nur Facetten <strong>de</strong>sselben Zustands – <strong>de</strong>s<br />
Nicht-Seins. Der Beginn <strong>de</strong>s Lebens ist <strong>de</strong>r Anfang <strong>de</strong>s Sterbens. 6<br />
Die Zeit, die<br />
dazwischen liegt, wird vollständig nivelliert: „Mit <strong>de</strong>m Leben begann mein Sterben!“ /<br />
„Schon ist das Grab zur Hälfte ausgehoben...“ 7 In ihr gibt es nichts als Begehren, Blut,<br />
Dunkelheit. In turpistisch-expressionistischer Ästhetik wird die Formen- und<br />
Konturlosigkeit <strong>de</strong>s Ichs, seine vollkommene Entgrenzung vorgeführt. Das „aus <strong>de</strong>n<br />
Wun<strong>de</strong>n geborene“ Ich sieht sich zunächst als „formlosen, grässlichen Klumpen“ am<br />
bluten<strong>de</strong>n Schoß seiner Mutter. Sowohl <strong>de</strong>r bluten<strong>de</strong> Schoß als auch <strong>de</strong>r Mund <strong>de</strong>r<br />
Mutter sind geöffnet. 8 Die Mutter spricht nicht, son<strong>de</strong>rn winselt. Auch sie ist ganz<br />
4 Polnisch: „Jam dzieckiem ziemi! jam prochem ziemi! / Krwawe mię matki zrodziło łono! / Ustami w<br />
jęku – dłońmi drżącemi / Tuliła bryłę w ranach zrodzoną – / Bezkształtną,ohydną bryłę!“<br />
5 Polnisch: (1) Jam dzieckiem ziemi! jam prochem ziemi! / (2) Jam dzieckiem ziemi! jam tworem chwili!<br />
/ (3) Jam dzieckiem ziemi! Jam żądzy dzieckiem! / (4) Jam dzieckiem ziemi! Jam marą falistą, / (5) Jam<br />
dzieckiem ziemi! jam prochem ziemi!<br />
6 Eine vergleichbare Vision <strong>de</strong>r Existenz zwischen ‚Grab’ und ‚Grab’ entwickelt Komornicka in <strong>de</strong>m<br />
1905 in „Chimera“ (B. 9, H. 27, 306 f.) publizierten Gedicht „Księżyca kryształowy...“.<br />
7 Polnisch: „Z życiem się moje wszczęło konanie! / Już dół mogilny na wpół wykopany…“<br />
8 Ritz (2001, 152) bringt das Bild <strong>de</strong>s aufgerissenen Körpers <strong>de</strong>s Mutterschoßes mit Lacans Leerstelle im<br />
Symbolischen in Verbindung.<br />
<strong>Copyright</strong> <strong>by</strong> <strong>Brigitta</strong> <strong>Helbig</strong>-<strong>Mischewski</strong><br />
<strong>Copyright</strong> <strong>by</strong> <strong>Brigitta</strong> <strong>Helbig</strong>-<strong>Mischewski</strong> 2005 / www.helbig-<strong>mischewski</strong>.eu