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<strong>Brigitta</strong> <strong>Helbig</strong>-<strong>Mischewski</strong>: Ein Mantel aus Sternenstaub, Nor<strong>de</strong>rstedt 2005<br />
313<br />
Autorität <strong>de</strong>r Eltern. Der Vater, das Haupt <strong>de</strong>r Familie, sei inzwischen zu ihrer ‚Faust’<br />
mutiert: Er setze sich nicht auf Grund seiner moralischen Wür<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn durch<br />
Gewaltanwendung durch. Die Verwandtschaftsban<strong>de</strong> zerfielen, die <strong>de</strong>moralisierte<br />
Sippe pervertiere zur Brutstätte <strong>de</strong>s Egoismus, <strong>de</strong>s Hasses, <strong>de</strong>r Brutalität, <strong>de</strong>r<br />
Primitivität. Die I<strong>de</strong>e falsch verstan<strong>de</strong>ner Gleichheit lasse Väter zu Rivalen ihrer<br />
Söhne wer<strong>de</strong>n – insbeson<strong>de</strong>re in <strong>de</strong>r „Unzucht“. Die Demoralisierung mache auch vor<br />
<strong>de</strong>n Müttern nicht Halt. Ihre beinahe „priesterliche Wür<strong>de</strong>“ als Matronen und<br />
„Königinnen <strong>de</strong>s häuslichen Feuers“ wer<strong>de</strong> entweiht. Entwe<strong>de</strong>r erfüllten sie rein<br />
praktische Funktionen im Haus, o<strong>de</strong>r aber sie benei<strong>de</strong>ten ihre Töchter um das Flirten<br />
und versuchten sich ebenfalls in dieser Disziplin. Insgesamt drehe sich das Leben aller<br />
Familienmitglie<strong>de</strong>r nur um <strong>de</strong>n Genuss. Dies sei „Marasmus, Schan<strong>de</strong>, Entartung“ und<br />
„Denaturalisierung“. 146 (262)<br />
Dieser sehr emotionale Text scheint etwas anzusprechen, was für Komornickas<br />
Biographie von großer Be<strong>de</strong>utung ist. In ihrer Jugendzeit hat sie sich vehement<br />
geweigert, die Autorität <strong>de</strong>s Vaters anzuerkennen und sich in ihren literarischen<br />
Texten vor 1900 entschie<strong>de</strong>n gera<strong>de</strong> für die Demokratisierung <strong>de</strong>r Familie eingesetzt,<br />
u.a. aus <strong>de</strong>r feministischen Perspektive. Die Geschwister warfen ihr die Verachtung<br />
<strong>de</strong>r Familie, die Zerstörung <strong>de</strong>r Familienban<strong>de</strong> und nicht zuletzt die Herbeiführung <strong>de</strong>s<br />
verfrühten To<strong>de</strong>s <strong>de</strong>s Vaters vor. Da sie so früh und so entschie<strong>de</strong>n gegen die Familie<br />
rebellierte und mit Schuldgefühlen wegen ihrer Zerrüttung zu kämpfen hatte, wird<br />
Komornicka möglicherweise mit <strong>de</strong>r Zeit von großer Melancholie ergriffen, von einer<br />
Sehnsucht nach <strong>de</strong>m so schnell unwie<strong>de</strong>rbringlich Verlorenen. 147 Diese Sehnsucht –<br />
146 In diesem Zusammenhang wer<strong>de</strong>n auch Schwangerschaftsabbrüche genannt.<br />
147<br />
Sehr melancholische Gedichte been<strong>de</strong>n Komornickas Schaffen aus <strong>de</strong>r Zeit vor ihrer<br />
Geschlechtsumwandlung, vor allem aus <strong>de</strong>m „Cykl bez tytułu“ („Chimera“ 1905, B. 9, H. 27). Zentral ist<br />
hier das Motiv <strong>de</strong>s Abschieds und <strong>de</strong>r wehmütigen Erinnerung an das Vergangene, insbeson<strong>de</strong>re an das<br />
Zuhause. Dieser Abschied kann auf zwei Ebenen gelesen wer<strong>de</strong>n: zum einen als Sehnsucht nach <strong>de</strong>r<br />
unwie<strong>de</strong>rbringlichen Kindheit und Jugendzeit an <strong>de</strong>r Schwelle zu einer neuen Lebensstation, zum an<strong>de</strong>ren<br />
als ein von Orientierungslosigkeit, Schmerz und Nostalgie geprägter Zwischenzustand auf <strong>de</strong>m Weg zur<br />
mystischen Einweihung (das Haus bzw. die Hütte wären in diesem Fall als Metaphern <strong>de</strong>r Seele zu lesen).<br />
<strong>Copyright</strong> <strong>by</strong> <strong>Brigitta</strong> <strong>Helbig</strong>-<strong>Mischewski</strong><br />
<strong>Copyright</strong> <strong>by</strong> <strong>Brigitta</strong> <strong>Helbig</strong>-<strong>Mischewski</strong> 2005 / www.helbig-<strong>mischewski</strong>.eu