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Personalunterbesetzung läßt eine gute Erziehungsarbeit einfach<br />

nicht zu, so dass wir zum jetzigen Zeitpunkt nur eine verbesserte<br />

›Bewahrungsanstalt‹ unterhalten«, die »praktisch von jeder Polizeistation<br />

wahrgenommen werden könnte.« 354 Die Situation wurde<br />

als so schwerwiegend erachtet, dass man Ende 1966 sogar die<br />

Schließung des Heims nicht mehr ausschloss. 355<br />

Ab 1967 verbesserte sich die personelle Situation dann allerdings.<br />

Mitte des Jahres konnten alle Planstellen mit Fachkräften<br />

besetzt werden. Die Neustrukturierung des Arbeits- und Beschäftigungsbereichs<br />

für die Mädchen zahlte sich aus. Der neue<br />

Arbeitsbereich umfasste eine Nähstube mit sechs festen Arbeitsplätzen,<br />

eine Wäscherei mit fünf Plätzen sowie eine Beschäftigungstherapiegruppe,<br />

in der die Mädchen täglich zwei bis drei<br />

Stunden mit Kleben und Schneiden von Teppichmustern für ein<br />

Unternehmen beschäftigt wurden. Auch die Auslastung gestaltete<br />

sich positiv, da Anfragen von auswärtigen Jugendämtern<br />

zunahmen, die jetzt die Hälfte bis zu Zweidrittel der Plätze<br />

belegten. 356<br />

Zu den kommenden Jahren bis 1970 ist nichts weiter überliefert,<br />

lediglich ein Vorstandsprotokoll informiert darüber, dass<br />

die Krise wohl doch nicht vollends überwunden werden konnte.<br />

»Erschwerend für die Arbeit«, heißt es in ihm, »waren neben dem<br />

sehr großen Wechsel von Mädchen (…) auch mehrfache Wechsel<br />

der Erzieherinnen und besonders die zahlreichen nächtlichen<br />

Belästigungen des Hauses meist durch Jugendliche – zum Teil auf<br />

kriminelle Weise. Letzteres bewirkte wohl auch die hohe Zahl von<br />

Entweichungen. Die zur Hilfe gerufene Polizei erschien meist so<br />

spät, daß sich der Verdacht einer planmäßigen Verhaltensweise<br />

aufdrängt, was bei der Rechtsunsicherheit der Polizeieinsätze und<br />

ihrer Anfeindungen in der Öffentlichkeit kein Wunder wäre.« 357<br />

Die für die Jahre 1971 bis 1976 überlieferten Heimaufsichtsberichte<br />

des Landesjugendamtes konstatierten dem Heim insgesamt<br />

dann zwar das Bemühen, nach neuen Wegen zu suchen,<br />

sie ließen aber auch keinen Zweifel daran, dass der »Veränderungswille<br />

noch durch weitere Anleitung gestützt und begleitet<br />

werden muss.« 358 Das Haupthaus müsse mittelfristig offener,<br />

das Progressivsystem immer wieder hinterfragt und endlich<br />

eine Regelung für die Arbeitsvergütung beim Einsatz im Heim<br />

gefunden werden. Erste Ansätze zur Selbstorganisation der<br />

Mädchen sollten weiter betrieben und die Freizeitgestaltung<br />

mehr auf das Leben nach der Heimentlassung ausgerichtet<br />

werden. 359 Wünschenswert, hieß es zudem, sei es, die bislang<br />

stundenweise beschäftigte Psychologin voll anzustellen, der<br />

Heimleiterin eine Stellvertreterin zur Seite zu stellen und die<br />

Kontakte zu den Eltern der Mädchen zu intensivieren. 360 Wirklich<br />

geklärt waren die Probleme auch am Ende der Periode<br />

nicht. In der weiterhin geschlossenen Aufnahmegruppe erhielten<br />

die 12 jungen Frauen keinen Ausgang und wurden lediglich<br />

mit hausinternen Arbeiten beschäftigt, und auch die Arbeitsentlohnung<br />

der im Haupthaus beschäftigten Mädchen blieb<br />

ungeklärt. Konzeptionell bekannte man sich im Heim zu dieser<br />

Zeit zwar zu einer Erziehung zur Selbständigkeit, über die<br />

Schritte dahin, ebenso wie darüber, zu welchem Zeitpunkt<br />

einem Mädchen der Wechsel von der Aufnahmegruppe in die<br />

Betreuungsgruppe und von dieser in das Sonnenhaus zugestanden<br />

wurde, ob ein Mädchen nach Entweichung aus dem<br />

Wohnheim in das Übergangsheim zurück musste und wie viel<br />

Ausgang einem Mädchen gewährt wurde, entschied weiterhin<br />

die Heimleitung nach persönlicher Einschätzung. 361 Noch allerdings<br />

vertraute man im Landesjugendamt auf die Innovationsbereitschaft<br />

des Heims. Dies änderte sich – wie noch ausgeführt<br />

wird – erst 1977.<br />

Auch im Dorotheenheim, seit 1962 unter direkter Leitung der<br />

Vereinigten Anstalten Friedehorst, nahmen Klagen über die<br />

unbefriedigende Personalsituation einen breiten Raum ein. 362<br />

Diese Situation wurde mit den erheblichen Entweichungsquoten<br />

und der Notwendigkeit, sich von den schwierigsten Mädchen<br />

durch Verlegung in zumeist auswärtige Heime zu trennen,<br />

in Verbindung gebracht. Verbesserungen zeigten sich hingegen<br />

bei der Beschulung. Ab etwa 1960 gab es wieder einen regulären<br />

Berufsschulunterricht. Aus der Sicht des Heims verlief das<br />

Heimleben scheinbar, von den Personalproblemen in den frühen<br />

1960er Jahren abgesehen, allgemein in den vorgesehenen<br />

Bahnen unspektakulär und unaufgeregt, zumal auch keine<br />

Belegungsschwierigkeiten existierten. 363<br />

Zu den Personalproblemen trugen die vielen Urlaubs- und<br />

Krankheitstage der insgesamt elf Mitarbeiterinnen sowie die<br />

Tendenz der freien Mitarbeiterinnen zur »Durchhaltung der Freizeit«<br />

erheblich bei. 364 Neue Probleme taten sich seit Mitte der<br />

1960er Jahre auf: Die öffentlichen Schulen verlangten immer<br />

häufiger vom Heim die Beurlaubung schwieriger Mädchen.<br />

Zudem ließen sich die Mädchen kaum noch für Freizeitangebote<br />

motivieren (»sie wissen zu wenig mit sich anzufangen, und der<br />

Durchschnitt würde gern jeden Abend vor dem Fernseher sitzen«)<br />

und auch die Beschäftigung der schulentlassenen Mädchen<br />

funktionierte nicht zufriedenstellend: »Es ist schwierig, diese<br />

Altersgruppe für alle vorkommenden Arbeiten zu interessieren. Die<br />

meisten Mädchen träumen davon, nie wieder Hausarbeit o.ä.<br />

machen zu müssen.« 365<br />

Zum Ende des Jahrzehnts verschärften sich die Beschulungsprobleme<br />

noch einmal. Einige der einweisenden Ämter gingen,<br />

»um überhaupt bei uns einen Platz zu bekommen«, bereits dazu<br />

über, »schon vor der Einweisung eine Schulbeurlaubung zu erwirken.«<br />

366 Auch die Mädchen, die trotz allem die öffentliche<br />

Schule besuchen durften, bereiteten Probleme: »Auf dem Schulweg<br />

versuchen es die älteren Mädchen, Dinge weiterzubetreiben,<br />

die sie sich auch Zuhause geleistet haben, d.h. Rauchen an den<br />

Straßenecken oder Einkehr in Imbißstuben und Wirtschaften mit<br />

männlichen Schulkameraden.« Ähnlich negativ fielen die schulentlassenen<br />

Mädchen auf, die »stundenlang draußen herumbummeln«,<br />

sich »vor und in ›Jugendlokalen‹« aufhalten und nach<br />

Feierabend »möglichst auf den Betten liegend, am liebsten Schlager<br />

hören und in Illustrierten herumblättern«. 367<br />

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