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Erzieherin ein Ausflug in die Welt draußen erlaubt wurde. In den<br />
Großanstalten und den Erziehungsheimen nahm die abgeschottete<br />
Heimwelt den Charakter einer »totalen Institution« an. 113<br />
Schlafräume<br />
Auch die räumliche Unterbringung der Kinder und Jugendlichen<br />
variierte zwischen den Heimtypen und wandelte sich mit der Zeit.<br />
Jüngere Kinder, Schülerinnen und Schüler schliefen zumindest<br />
bis Mitte der 1960er Jahre in Mehrbett-Räumen, die nur zum<br />
Schlafen betreten werden durften. In den kleineren Kinderheimen<br />
teilten sich oft sechs bis acht Kinder ein Zimmer. Im Pförtnerhaus<br />
des Heims am Fuchsberg waren es sechs bis acht Schüler<br />
oder – getrennt von ihnen – Schülerinnen. Auch im Kinderwohnheim<br />
Metzerstraße handelte es sich noch bis Mitte der 1960er<br />
Jahre um Achterzimmer. In diesen Heimen hatten es allerdings<br />
auch die Erzieherinnen nicht viel besser. Ihr Nachtquartier war<br />
das Sofa im Wohnzimmer der jeweiligen Gruppe.<br />
In den klassischen Waisenhäusern konnten es noch sehr viel<br />
mehr Kinder sein, die sich einen Raum teilen mussten. So schliefen<br />
im St. Petri Waisenhaus in den Jahren nach 1945 noch 25<br />
Kinder in einem Raum. Auch in Alten Eichen schliefen die Kinder,<br />
bis zu einem Umbau Anfang der 1970er Jahre, bei dem dann<br />
Viererzimmer geschaffen wurden, in großen Schlafräumen. In<br />
solchen Heimen gab es zumeist Etagenbetten, zwei oder drei<br />
übereinander, die in Blöcken über den Raum verteilt waren,<br />
und die Räume enthielten wenig mehr als die Betten, ein paar<br />
Stühle und einige Spinte oder Fächer.<br />
Zu prägenden Leidenserfahrungen wurden vielen Ehemaligen<br />
dann auch die mangelnden Rückzugsmöglichkeiten in einen<br />
geschützten Privatraum, die Aufhebung der Intimsphäre, die<br />
Störung durch andere Kinder und die kontrollierende Aufsicht<br />
durch die Nachtwachen. Die Angst vor einem nächtlichen Übergriff<br />
durch ein anderes Kind und die Angst, beklaut zu werden,<br />
konnten dazu kommen. Insbesondere für die vielen Bettnässer<br />
war das Schlafen in den Gemeinschaftsräumen mit täglich wiederkehrenden<br />
Schamgefühlen verbunden. Wenn eine Person,<br />
wie einer der Gesprächspartner, nicht nur vorübergehend in<br />
Anstalten und Heimen lebte, sondern, verbunden mit Heimwechseln,<br />
von einer Gemeinschaftsunterbringung zur anderen<br />
gereicht wurde, jahrelang in einem Achterzimmer und noch als<br />
20-Jähriger in einem Vierbettzimmer lebte, konnte es zu prägenden<br />
Gefühlen der Entpersonalisierung kommen (G16, JA Bremen,<br />
1954 – 77).<br />
Was den Aspekt der Schlafräume angeht, hatten es die gefährdeten<br />
und verwahrlosten Mädchen und Jungen manchmal besser.<br />
Zum Progressivsystem solcher Häuser gehörte, dass die Kinder<br />
und Jugendlichen nach den ersten Wochen in der geschlossenen<br />
Abteilung mit Gemeinschaftsunterbringung und panzerverglasten<br />
Fenstern (so im Isenbergheim und im Ellener Hof, aber<br />
auch in diversen auswärtigen Erziehungsheimen) in Zweier-<br />
oder Dreierzimmer in den offenen Häusern oder Abteilungen<br />
wechselten. Im Dorotheenheim waren sogar Zweibettzimmer<br />
die Regel und Einzelzimmer vorgesehen, die aber zur Bestrafung<br />
und Isolierung ›renitenter‹ Mädchen dienten.<br />
Zunächst aber war der Aufenthalt in der geschlossenen Abteilung<br />
zu überstehen. In solchen Gruppen ging es nicht nur in<br />
Bezug auf erzieherische Maßnahmen und Sanktionen hart zu,<br />
sie blieben den meisten Jugendlichen auch als insgesamt<br />
furchtbare Lebensorte in Erinnerung. Über seine Unterbringung<br />
in der geschlossenen Abteilung des Ellener Hofs berichtete<br />
ein Gesprächspartner:<br />
»Wir wären alle erstickt«<br />
»Die ganze ›Geschlossene‹ war eine muffige Bude. Die Fenster<br />
bestanden aus Glasbausteinen, die nur mit kleiner Lüftungsklappe<br />
versehen waren. Wir schliefen in Achterzimmern in<br />
Doppelbetten, nur links und rechts Bettenreihen. In der Mitte<br />
stand ein ›Pisseimer‹, der morgens von einem von uns heruntergetragen<br />
werden musste. Nachts wurden wir in unsere Zimmer<br />
eingeschlossen. Rauchen war im geschlossenen Haus streng<br />
verboten, worum wir uns natürlich nicht gekümmert haben.<br />
Wir bliesen den Rauch einfach durch die Lüftungsklappe.<br />
Wenn da mal ein Feuer ausgebrochen wäre, wären wir wegen<br />
der geschlossenen Tür erstickt.« (G14, JA Bremerhaven,<br />
Mitte der 1960er Jahre)<br />
Zum Aspekt der räumlichen Unterbringung darf nicht verkannt<br />
werden, dass es positive Ausnahmen gab, die mit der zeitlichen<br />
Entfernung vom Nachkriegselend häufiger wurden. In den bremischen<br />
Lehrlingswohnheimen waren von vornherein nur Zweibettzimmer<br />
vorgesehen. In anderen stadtbremischen Heimen<br />
legte man Wert auf eine familiennahe Betreuung, was sich im<br />
Wohn- und Schlafarrangement ausdrückte. Gelegentlich gab<br />
es, so im KWH Schönebeck, sogar bereits Einzelzimmer für die<br />
älteren Kinder, die sie sich selbst ausgestalten durften und in<br />
anderen Kinderwohnheimen für die Jugendlichen oft auch<br />
bereits Einzelzimmer.<br />
Was sich über die Schlafquartiere der Kinder und Jugendlichen<br />
berichten lässt, hat im Wesentlichen ein Pendant in den Waschund<br />
Duschgelegenheiten. Die Erfahrungen der ehemaligen<br />
Heimkinder mit diesen waren teilweise noch schrecklicher. In<br />
den Waisenhäusern und Anstalten standen ihnen, parallel zu<br />
den Schlafräumen, zumeist nur große Waschräume und Gemeinschaftsduschen<br />
zur Verfügung, in denen sie sich unter den<br />
Augen auch von Erziehern entkleiden mussten. In den Nachkriegsjahren<br />
gab es in den Kinderheimen zudem vielfach den<br />
Brauch des Schrubbens der Kinder nacheinander in einem<br />
Waschbottich. Verschiedene Kinder und Jugendlichen berichten<br />
in diesem Zusammenhang von sie beschämenden Blicken<br />
und Berührungen durch Erzieherinnen und Erzieher (siehe<br />
hierzu den Abschnitt 3.2.11).<br />
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