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für einen revolutionären Umsturz der Gesellschaft bilden zu<br />

können. Aber nicht nur die Fürsorgeerziehungsheime gerieten<br />

zunehmend in den Fokus. Die Kritik nahm verstärkt auch die<br />

Säuglingsheime in den Blick, die durch Hospitalismus schon in<br />

den ersten Lebensjahren eines Kindes irreparable Schädigungen<br />

produzierten. Die konzeptionelle Praxis der obligatorischen,<br />

nur dem Alter eines Kindes geschuldeten Heimwechsel<br />

und die räumliche wie soziale Isolation von Kindern in den Kinderheimen<br />

wurde ebenfalls angegriffen.<br />

Unterstützung fand die wachsende Kritik der Praxis der Heimerziehung<br />

seit den frühen 1970er Jahren zunächst im liberalen<br />

Bürgertum und allmählich auch bei reformorientierten Kräften<br />

der Politik. Eine Heimerziehung, die Kinder und Jugendliche von<br />

allem ausschloss, ihnen Bildungschancen<br />

nahm und sie in ihrer Persönlichkeitsentwicklung<br />

behinderte,<br />

passte nicht mehr in die Gesellschaft.<br />

In Bremen nahm die Reform, nach ersten<br />

Vorläufern, ab 1975 konkretere<br />

Formen an. Bis diese systematisch<br />

vollzogen war, dauerte es jedoch noch<br />

einige Jahre. Bereits in das erste Jahrzehnt<br />

nach 1975 fielen diverse Heimschließungen, denen bis<br />

1985 weitere – überwiegend Schließungen kommunaler Einrichtungen<br />

– folgten. Gleichzeitig wurden in den späteren 1970er<br />

und den frühen 1980er Jahren verschiedene innovative Formen<br />

der Betreuung von Jugendlichen außerhalb einer Anstalt<br />

gegründet, zu denen in Bremen vor allem sozialpädagogische<br />

Jugendwohngemeinschaften zählten. Die noch bestehenden<br />

Heime öffneten sich in einem kontinuierlichen Prozess neuen<br />

Konzepten, neuen pädagogischen Programmen und neuen<br />

Organisationsformen. Sie entwickelten sich dabei von ausschließlichen<br />

Heimen zu pädagogisch und strukturell differenzierten<br />

Jugendhilfeeinrichtungen.<br />

Heimschließungen<br />

Mit großem öffentlichen Aufsehen kam es im Mai 1978 zu einer<br />

ersten Heimschließung. Das Isenbergheim, das inzwischen<br />

einzige Erziehungsheim für Mädchen in Bremen, war in die Kritik<br />

vor allem politisch linker Bewegungen geraten. Die Mädchen<br />

im Heim revoltierten und die Bremer Presse schlug sich<br />

auf ihre Seite. Nach verschiedenen, oben dargestellten konzeptionellen<br />

Rettungsversuchen wandten sich schließlich auch die<br />

Bremer Politik und das Landesjugendamt vom Heim ab. 423<br />

Nicht viel geringer war die Aufmerksamkeit im Falle des Mutter-<br />

und Kindheims der Arbeiterwohlfahrt. Der bereits<br />

erwähnte Skandal betraf allerdings nicht das Mädchenheim,<br />

sondern die Krippe im Haus. Mit in den Strudel waren aber auch<br />

die Mütter- und die Mädchenabteilung geraten. Der Träger gab<br />

diese 1983 ganz auf, richtete aber als Ersatz für die Mädchenabteilung<br />

1985 eine »Wohngemeinschaft für Mädchen und junge<br />

Frauen aus der Türkei« mit sechs Plätzen ein.<br />

Die kommunalen Kinder- und Jugendwohnheime in Bremen<br />

schlossen aus sehr viel komplexeren Gründen. Ihnen wurden<br />

keine Skandale zum Verhängnis, sondern veränderte fach- und<br />

finanzpolitische Entwicklungen und Vorgaben. Spätestens seit<br />

1974 – wie schon im Kapitel 4.3 beschrieben – bestanden ernsthafte<br />

Versuche, endlich die Personalsituation zu verbessern.<br />

Zudem sollten die Gruppengrößen reduziert, das Heimleben<br />

stärker demokratisiert und den Jugendlichen sowohl in den<br />

Kinderwohnheimen als auch in den Jungen- und Mädchenwohnheimen<br />

mehr Raum für Verselbständigung und autonomes<br />

Jugendleben eingeräumt werden. Um dies zu ermöglichen,<br />

wurden die Heime in heilpädagogische<br />

Heime umgewandelt. Man<br />

Die Kritik an einer<br />

stellte Sozialpädagogen für den<br />

Heimerziehung, die Kinder Gruppendienst ein, etablierte einen<br />

neuen Personalschlüssel von vier<br />

von allem ausschloss und sie in<br />

Erziehungskräften je Gruppe, verbesserte<br />

allgemein die Arbeitsbedingun-<br />

ihrer Entwicklung behinderte,<br />

gen und errichtete Verselbständigungsgruppen<br />

und Einzelzimmer für<br />

wurde immer lauter.<br />

die Ältesten. Das alles kostete viel. Um<br />

das neue Konzept für die Kinderwohnheime zu finanzieren,<br />

beschlossen Jugendressort und Jugendamt zunächst die Schließung<br />

des renovierungsbedürftigen Fichtenhofs zugunsten der<br />

Umgestaltung der KWH Marcusallee und Metzerstraße. Sie<br />

wurde zum August 1975 vollzogen. Für die verbliebenen Heime<br />

zahlte sich dies anfänglich aus, aber auch ihr Ende wurde letztlich<br />

schon 1978 begründet, da sich die Erwartungen an die<br />

Umstrukturierung nicht erfüllten. Trotz der vier Planstellen je<br />

Gruppe konnten weder die Heime voll belegt, noch Überstunden<br />

der Mitarbeiterschaft verhindert werden. Beklagt wurde<br />

auch, dass die »Schwerfälligkeit der Verwaltungsabläufe und der<br />

Beschaffungsordnung« innovative Entwicklungen hemmten,<br />

und es noch nicht gelungen sei, die Demokratie- und Autonomieansprüche<br />

der Heime mit behördlichen Strukturen in Übereinstimmung<br />

zu bringen. 424 Das Jugendamt trug zudem in dieser<br />

Zeit auch grundsätzlichere Bedenken vor: Braucht die Stadt<br />

überhaupt, angesichts des Angebots an Heimplätzen innerhalb<br />

und außerhalb Bremens, noch eigene Heime Sind behördliche<br />

Strukturen möglicherweise eine grundlegende Barriere für die<br />

Entwicklung neuer Strategien Sind Kinderwohnheime in der<br />

tradierten Form überhaupt noch eine Antwort auf Problemlagen<br />

von Familien, Kindern und Jugendlichen Bedarf es nicht<br />

eher des Ausbaus ambulanter Hilfen und der Anwerbung von<br />

mehr geeigneten Pflegefamilien und der Schaffung neuer<br />

Betreuungsformen für Jugendliche, zum Beispiel in Wohngemeinschaften<br />

425 Als der Bremer Jugendsenator Scherf 1982 in<br />

einem umfangreichen »Bericht über Erziehungshilfen« unter<br />

dem Druck erheblicher Haushaltsdefizite die Einsparung von 15<br />

Mio. DM aus dem Heimetat ankündigte, 426 war das Schicksal der<br />

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