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5. Zusammenfassung, Bewertung und Konsequenzen<br />

5.1 Ziel und Anlage der Untersuchung<br />

Der im Februar 2009 gegründete »Arbeitskreis zur Aufarbeitung<br />

der Heimerziehung im Land Bremen« (AK) stellte sich drei Aufgaben.<br />

Erstens sollten ehemalige Heimkinder eine Gelegenheit bekommen,<br />

über ihre Erfahrungen mit Jugendhilfe und Heimerziehung<br />

in bremischen und von bremischen Ämtern und Behörden<br />

belegten auswärtigen Heimen zu berichten. Dies war mit dem<br />

Wunsch verbunden, den ehemaligen Heimkindern das Angebot<br />

der Unterstützung bei der Aufarbeitung ihrer oft leidvollen<br />

Erfahrungen zu machen.<br />

Als zweite Aufgabe sah der AK die historische Aufarbeitung der<br />

bremischen Heimerziehung, ihrer institutionellen Entwicklungen<br />

und pädagogischen Praktiken. Dazu zählten auch die institutionellen<br />

Voraussetzungen und administrativen Praktiken<br />

von bremischen Ämtern und Behörden in der Vorbereitung und<br />

Durchführung von Heimeinweisungen und Heimaufsicht.<br />

Drittens ergab sich daraus die Aufgabe, sich selbstreflexiv der<br />

eigenen Geschichte zu stellen. Aus ihr sollte für die Gegenwart<br />

gelernt und die Öffentlichkeit über dieses Kapitel der bremischen<br />

Kinder- und Jugendhilfepolitik informiert werden.<br />

5.2 Wichtigste Ergebnisse<br />

5.2.1 Allgemeine Grundlagen<br />

Lange Traditionslinien im Denken über Hilfsbedürftigkeit, Gefährdung<br />

und Verwahrlosung bestimmten wesentliche Strukturen<br />

und Denkfiguren der Heimerziehung in der Nachkriegszeit und<br />

den nachfolgenden Jahrzehnten.<br />

Entscheidenden strukturellen Einfluss gewann die schon jahrhundertealte<br />

Trennung in Waisen- und Armenkinderversorgung<br />

einerseits und der Umgang mit Jugendlichen, die der<br />

Gesellschaft als gefährdet und verwahrlost galten, andererseits.<br />

Die Differenzierung zwischen Waisenhäusern und Kinderheimen<br />

auf der einen Seite und Rettungshäusern, Arbeitserziehungsanstalten<br />

und – im 20. Jahrhundert – Zwangserziehungsbeziehungsweise<br />

Fürsorgeerziehungsanstalten blieb auch in den<br />

Nachkriegsjahrzehnten weiter bestehen.<br />

Eine zweite Traditionslinie bezog sich auf die Geschlechtertrennung.<br />

Mit ihr verbunden war die unterschiedliche Betrachtung<br />

weiblicher und männlicher Gefährdungserscheinungen. Bei<br />

den Frauen und Mädchen waren dies vor allem sanktionierte<br />

gesellschaftliche Verstöße gegen die Sexualmoral und gegen<br />

Familiennormen und bei den Jungen und Männern insbesondere<br />

Verstöße gegen Eigentums- und andere staatspolitische<br />

Ordnungsnormen. Damit waren wiederum unterschiedliche<br />

Erziehungsziele und -praktiken verbunden. Für die Mädchen<br />

bedeutete dies die Vorbereitung auf Ehe, Mutterschaft und dienende<br />

Tätigkeiten. Für Jungen war es die Einübung von Gehorsam,<br />

Unterordnung und Anpassung.<br />

Ein dritter, in der Weimarer Republik angelegter und im Nationalsozialismus<br />

pervertierter, Traditionsstrang bildete das ›Sichten<br />

und Sieben‹ von Kindern und Jugendlichen. Sie wurden in Kategorien<br />

wie gutwillig und böswillig, erziehbar, schwer erziehbar<br />

und nicht mehr erziehbar, nach psychiatrisch-klinischen Kriterien<br />

besserungsfähig oder familienfähig und heimerziehungsbedürftig<br />

vorsortiert. Auch dieser Strang überdauerte, in jeweils<br />

modernerer Form von Differenzierung, die Nachkriegsjahrzehnte.<br />

Den verschiedenen Strängen entsprachen auch die rechtliche<br />

Ausgestaltung und der in den Lehrbüchern evangelischer,<br />

katholischer und bürgerlicher Provenienz niedergelegte Kanon<br />

von Erziehungsnormen für Heimkinder. Die Gesetzgebung für<br />

den Waisenstrang orientierte sich, letztlich bis zum Inkrafttreten<br />

des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (1990/1991), an Prinzipien<br />

der Armenversorgung und des Kinderschutzes und wurde<br />

erst seit den 1960er Jahren allmählich mit dem Gedanken des<br />

Kindeswohls verbunden. Das Recht im Fürsorgeerziehungsstrang<br />

blieb an seine Herkunft aus dem Strafrecht gebunden<br />

und zähmte diesen Charakter nur durch Rechtsstaatlichkeit<br />

gewährende Verfahrensregelungen.<br />

Die Erziehungsnormen für Kinder und Jugendliche orientierten<br />

sich bis in die 1960er Jahre an obrigkeitsstaatlichen Normen<br />

der Unterwerfung unter Autoritäten, das heißt, an Gehorsamsund<br />

Ordnungstugenden. In konfessionellen Heimen herrschte<br />

in der Erziehungspraxis zusätzlich, rigider als in den zeitgenössischen<br />

theologischen Reflexionen, noch lange ein autoritäres<br />

Gottesbild. Einem »liebenden Gott« wurde erst in den späteren<br />

1960er Jahren nach und nach Platz in der konfessionellen Heimerziehung<br />

eingeräumt.<br />

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