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Wegen der dort vorgestellten Gruppen von Kindern durch die<br />
Jugendhilfe sowie nach Regelmäßigkeiten in ihrem Schicksal<br />
nach dem Ende der öffentlichen Erziehung. Es handelt sich<br />
dabei um einen generalisierenden, von den individuellen<br />
Besonderheiten abstrahierenden Blick.<br />
1. Kinder kurz nach der Geburt<br />
Für Kinder, die nie oder nur ganz kurz in der Obhut ihrer Mütter<br />
oder Eltern waren, wurde, weil sie ›familienlos‹ waren, nach der<br />
Erstunterbringung zumeist in einem Säuglingsheim eine Pflegefamilie<br />
oder ein traditionelles, für längere Unterbringungen<br />
vorgesehenes Waisenhaus gesucht. Für einige von ihnen wurde<br />
der erste Ort dann auch zu ihrem Hauptlebensort, meistens<br />
aber blieb er Übergangsstation. Kinder, die in einer Pflegefamilie<br />
untergebracht wurden, mussten diese gegebenenfalls nach<br />
kürzerer oder längerer Zeit wieder verlassen, weil die Pflegeeltern<br />
nicht mehr mit ihnen fertig wurden. Bei anderen fühlte<br />
sich das erste Heim überfordert, wieder andere mussten ihr erstes<br />
Heim nach Beendigung der Schulpflicht oder schon vorher<br />
aus disziplinarischen Gründen verlassen. In der Regel folgte<br />
dann entweder ein spezialisiertes Heim oder sie verbrachten<br />
die letzten Abschnitte ihrer Jugend in einem Lehrlingswohnheim,<br />
einem Jugendwohnheim oder man vermittelte sie ›in<br />
Arbeit‹. Fast immer erfolgte ihre Entlassung aus der öffentlichen<br />
Erziehung erst mit Beginn der Volljährigkeit.<br />
Die spätere Entwicklung dieser Kinder verlief sehr unterschiedlich.<br />
Ein gemeinsames Problem ist jedoch die oft verzweifelte<br />
und zumeist vergebliche Suche nach ihrer Herkunft beziehungsweise<br />
der Gründe ihrer Abgabe durch die Mütter. Den<br />
langjährigen, schließlich auch aus der Pflegefamilie ›abgeschobenen‹<br />
Kindern in dieser Gruppe blieb die Erfahrung, ein nicht<br />
geliebtes und ausgestoßenes Kind gewesen zu sein, oft jahrzehntelang<br />
als Trauma ihrer Kindheit in Erinnerung. Langjährige<br />
Heimkinder klagten über ihre freudlose Kindheit und<br />
Jugend. Zu charakteristischen Merkmalen vieler Lebenswege<br />
dieser Gruppe wurden Vereinsamung, gescheiterte Beziehungen,<br />
eine depressive Grundhaltung sowie häufig eine schwierige<br />
oder missglückte berufliche Integration. Einigen dieser<br />
ehemaligen Heim- und Pflegekinder gelang es aber auch, sich<br />
mittelfristig von ihren Kindheitserfahrungen zu lösen, sie aktiv<br />
zu verarbeiten und hierüber neuen Mut für ein selbstgestaltetes<br />
Leben zu finden.<br />
2. Kinder im Vorschul- oder jungen Schulalter<br />
Für die Kinder, die wegen Vernachlässigung und schlechter Versorgung,<br />
zumeist im Vorschulalter oder im jungen Schulalter,<br />
aus ihren Familien genommen wurden, bedeutete diese Herausnahme<br />
– ähnlich wie für jene, die von ihren (Stief-)Familien<br />
ausgestoßen oder wegen einer erzieherischen Überforderung<br />
abgegeben wurden – zunächst eine Befreiung aus einer für sie<br />
unerträglichen Situation. Man nahm sie heraus, um ihnen bessere<br />
Lebensbedingungen zu schaffen, ihnen eine nachholende<br />
Entwicklung zu ermöglichen oder Ruhe in ihr Leben zu bringen.<br />
In der Mehrheit der Fälle erfüllte die Jugendhilfe dieses Versprechen<br />
nicht. Der vernachlässigenden Familie folgte ein am<br />
einzelnen Kind wenig interessiertes, vernachlässigendes Heim.<br />
Die Drangsalierung der Kinder in ihren Familien setzte sich<br />
durch rigide Erziehungspraktiken im Heim fort. Der Erfahrung,<br />
ausgestoßen und nicht mehr erwünscht zu sein, folgte die<br />
erneute Ausstoßung. Manche Kinder dieser Gruppe erwiesen<br />
sich schon am ersten Unterbringungsort als zu schwierig. Sie<br />
wurden entsprechend ausgesondert und in ein weiteres,<br />
zumeist auswärtiges Heim oder in eine andere Pflegefamilie<br />
verlegt. Für einige wirkten sich ›Umplatzierungen‹ positiv aus,<br />
viele protestierten aber auch, zeigten sich am neuen Lebensort<br />
erst recht ›verbockt‹, widerspenstig und ›erziehungsschwierig‹.<br />
Weitere Verlegungen konnten die Folge sein, der hierarchischen<br />
Struktur der Heimerziehung folgend dann in ein strengeres<br />
Heim. So endete die ›Karriere‹ gegebenenfalls in einem<br />
geschlossenen Erziehungsheim oder die Jugendhilfe entlastete<br />
sich durch die Vermittlung in eine Arbeitsstelle.<br />
Oftmals setzten sich die frühen Leidenserfahrungen der Kinder<br />
mit der Einweisung in Heime oder Pflegefamilien fort. Einige<br />
von ihnen zerbrachen daran. Ihr Leben begleiteten häufig<br />
Ängste, Alpträume, psychosomatische Erkrankungen, Therapien,<br />
unstete und niedrig qualifizierte Jobs, lange Zeiten der<br />
Arbeitslosigkeit, der Empfang staatlicher Transferleistungen,<br />
Frühverrentung, zerbrochene Ehen sowie der Kontaktverlust zu<br />
den eigenen Kindern.<br />
3. Ältere Kinder und Jugendliche<br />
Ältere Kinder und Jugendliche wurden – nach krisenhafter Entwicklung<br />
in ihrer Familie oder an einem anderen Erziehungsort<br />
– fast immer umgehend in ein Erziehungsheim eingewiesen.<br />
Für diejenigen, die es gelernt hatten, sich anzupassen oder<br />
Anpassung als Kalkül gewählt hatten, konnte es bei dem einen<br />
Erziehungsheim bleiben, mehrheitlich versuchten die Jugendlichen<br />
aber, sich dem Zwang, dem militärischen Drill, der Schikane<br />
und der Demütigung durch Flucht zu entziehen. Einige<br />
verbrachten als ›vogelfreie‹ Jugendliche Wochen und Monate<br />
auf der Straße und lernten dabei, wie man auf der Straße überleben<br />
kann, zumeist aber wurden sie schon bald wieder aufgegriffen,<br />
dem Heim erneut zugeführt und von dort schließlich in<br />
ein noch strengeres, noch isolierteres, geschlossenes Heim verlegt.<br />
Wut auf den Zwang, das Eingesperrtsein und die Ausbeutung<br />
ihrer Arbeitskraft empfanden alle, die in Erziehungsheimen<br />
untergebracht waren. Das spätere Leben dieser Gruppe von<br />
jungen Menschen verlief aber ebenfalls uneinheitlich. Jugendliche,<br />
die in ihren Kindheitsjahren noch eine Zeitlang Zuwendung<br />
erhalten hatten, konnten die Zeit besser überstehen, als<br />
jene, für die dies nicht galt. Wer nach nur einem Heimaufenthalt<br />
entlassen wurde, konnte diese Zeit als singuläre schmerz-<br />
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