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In einer Nacht- und Nebelaktion aus der Pflegefamilie<br />

ins Dorotheenheim<br />

Nachdem ihre Mutter neu geheiratet, und sie nicht mehr in<br />

die Pläne der neuen Familie passte, gab man sie in das Kinderwohnheim<br />

Metzerstraße. Von dort wurde sie in eine Pflegefamilie<br />

vermittelt. »Eigentlich kam ich mit meiner Pflegemutter,<br />

bei der ich seit meinem achten Lebensjahr lebte, ganz<br />

gut zurecht, erst in der Pubertät gab es häufiger mal Streit. Sie<br />

hatte immer Angst, dass ich mich mit Jungen einlasse, obwohl<br />

ich von denen noch gar nichts wissen wollte. Es war ihr Problem.<br />

Sie löste es damit, dass sie in Bremen beim Fürsorger<br />

anrief. Der kam dann, ohne dass man mich vorgewarnt oder<br />

mir irgendwas erklärt hatte, eines Tages vorgefahren, lud mich<br />

in einer Nacht- und Nebel-Aktion in sein Auto ein und brachte<br />

mich ins Dorotheenheim.« (G 21, JA Bremen, 1963)<br />

Der ›Schande‹ wegen in ein Heim für ›gefallene<br />

Mädchen‹<br />

Der Mutter war das Sorgerecht für ihr unehelich geborenes<br />

Mädchen, der Vater war Besatzungssoldat, entzogen worden.<br />

Das Kind kam bereits mit wenigen Monaten in das Säuglingsheim<br />

Speckenbüttel. Von dort nahm eine Pflegefamilie sie<br />

auf. »Mit 16 wurde ich dann schwanger. In meiner Pflegefamilie<br />

hatte ich jetzt schon 14 Jahre gelebt. Die meiste Zeit hab ich<br />

gedacht, dass sie meine Eltern sind, obwohl ich bei ihnen viel<br />

auszuhalten hatte. Als junges schwangeres Mädchen wurde<br />

ich meinen Pflegeeltern dann zu viel. Sie schoben mich wegen<br />

›der Schande‹, dass der Vater meines Kindes Ausländer war<br />

und ›weil der Apfel eben nicht weit vom Stamm fällt‹, einfach<br />

ab. Das Jugendamt hat sie bestärkt. Der Fürsorger kam und<br />

eröffnete mir: ›So, jetzt kommst Du in ein Heim für gefallene<br />

Mädchen.‹ Mit dem Begriff konnte ich gar nichts anfangen,<br />

ich war doch gar nicht hingefallen. Ins Heim zu müssen, war<br />

an sich allerdings nicht so bedrohlich, ich hatte ja schon oft<br />

gedacht, lieber ins Heim als in dieser schrecklichen Familie.«<br />

(G 41, JA Bremerhaven, 1966)<br />

Der Vormund wollte das nicht<br />

Der Junge kam schon mit wenigen Wochen, da die Mutter<br />

Alkoholikerin war, nach einem Sorgerechtsentzug in den<br />

Fichtenhof. Eine Pflegefamilie nahm den inzwischen achtjährigen<br />

Jungen auf. »Leicht hatte ich es in meiner Pflegefamilie<br />

auf dem Land nicht. Irgendwann hatte ich mich aber eingewöhnt<br />

und auch meine Pflegeeltern hatten sich an mich<br />

gewöhnt. Wenn es nach ihnen und mir gegangen wäre, hätte<br />

ich hier meine Lehre machen können. Mein Vormund wollte<br />

das aber nicht, die Pflegeeltern waren ihm zu alt. Ich wurde mit<br />

einem Auto vom Bremer Jugendamt abgeholt, in ein Geschäft<br />

zum Einkleiden gefahren und dann in das Lehrlingswohnheim<br />

Stackkamp gebracht. Da hatte man schon alles für mich geregelt.«<br />

(G 23, JA Bremen, 1968)<br />

3.3.3 Unterbringung und Versorgung<br />

im Heim<br />

Erfahrungen mit der Unterbringung und der Versorgung in den<br />

Heimen nehmen in den Berichten der Ehemaligen einen breiten<br />

Raum ein. Sie sind, je nach Unterbringungszeit und Einrichtungstyp,<br />

so vielfältig, dass in diesem Abschnitt vor allem generalisierend<br />

berichtet wird.<br />

Die Heime, in die die Kinder und Jugendlichen eingewiesen<br />

wurden, unterschieden sich je nach Anlass der Unterbringung<br />

und dem Alter der Kinder erheblich voneinander. Neben Großanstalten<br />

für mehrere hundert Kinder und Jugendliche im ländlichen<br />

Bereich existierten, wenn auch selten, kleine Familienkinderheime<br />

in angemieteten oder vom Eigentümer bereit<br />

gestellten Wohnhäusern inmitten eines städtischen Wohnumfelds.<br />

Es gab jahrhundertealte Waisenhäuser im klassischen<br />

Waisenhausstil. Vielfach stieß man auf herrschaftliche, im Laufe<br />

der Zeit immer wieder durch Neubauten erweiterte Villen in<br />

einem parkähnlichen Gelände. Nicht selten waren die Heime<br />

Zweckbauten vom Ende des 19. oder dem Beginn des 20. Jahrhunderts,<br />

die schon durch ihre Architektur beängstigend auf<br />

Kinder wirken konnten.<br />

Insbesondere in den großen Einrichtungen und den Erziehungsanstalten<br />

gab es zumeist etwas, was man Binnendifferenzierung<br />

nannte. Wenn es sich nicht um reine Jungen- oder<br />

Mädchenheime handelte, existierten unterschiedliche Häuser,<br />

Abteilungen oder Gruppen für Mädchen und Jungen. In altersgemischten<br />

Heimen wurde nach Häusern oder Gruppen für verschiedene<br />

Altersgruppen getrennt, sodass gemeinsam in einem<br />

Heim untergebrachte Geschwisterkinder sich nur selten zu<br />

Gesicht bekamen und ein langjähriger Heimaufenthalt häufig<br />

mit verschiedenen Umzügen innerhalb des Heims verbunden<br />

war. In den halb- und ganz geschlossenen Anstalten waren die<br />

einzelnen Quartiere für die Jugendlichen, pädagogisch als<br />

»Progressivsystem« bezeichnet, hierarchisch angeordnet: Eine<br />

geschlossene Aufnahmegruppe, eine weitere geschlossene<br />

Abteilung für Renitente, halbgeschlossene Häuser mit Abmeldeverpflichtungen<br />

und am Ende der Kette standen dann offene<br />

Häuser. Zum Ende des Berichtszeitraums in den 1970er Jahren<br />

konnte auch noch ein außerhalb des Geländes liegendes<br />

Außenappartement dazukommen, das als Erprobungsraum für<br />

ein selbständiges Leben gedacht war.<br />

Gekocht wurde fast immer in eigenen Heimküchen. In Großanstalten<br />

waren es Großküchen, aus denen das Essen in Kübeln in<br />

die einzelnen Häuser transportiert wurde. Das Essen selbst fand<br />

in aller Regel in einem Speisesaal statt, der in kleinen Heimen<br />

auch noch als Schulraum genutzt werden konnte.<br />

Zumeist bildeten die Heime, unabhängig von ihrer Größe eine<br />

kleine Welt für sich, aus der den Kindern nur mit Zustimmung<br />

und häufig nur in der ganzen Gruppe und in Begleitung einer<br />

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