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kehrenden Väter erst nach Jahren kennen. Viele Paare hatten<br />

sich auseinander gelebt oder kamen mit den Veränderungen<br />

des Partners nicht zurecht. Mütter waren längst daran gewöhnt,<br />

alleine die Sorge für ihre Kinder tragen zu müssen. In der Folge<br />

stieg die Anzahl von Ehescheidungen enorm an. Besonders die<br />

Kinder litten unter dieser Situation. Verstärkt wurde ihr Leidensdruck<br />

häufig im Falle einer Wiederverheiratung, wenn der neue<br />

Partner die Kinder aus erster Ehe nicht akzeptierte oder die<br />

Weggabe in ein Heim oder eine Pflegefamilie zur Bedingung<br />

der Eheschließung machte. 34 Auch wenn viele Frauen und Paare<br />

die Situation mit enormem Kraftaufwand meisterten, gehörten<br />

vernachlässigte, bettelnde und kriminelle Kinder zu den wichtigen<br />

Themen der ersten Nachkriegsjahre.<br />

Überhaupt versuchten die<br />

Menschen in den Städten mit allen<br />

Mitteln, ihr Überleben zu sichern. Für<br />

viele stellten sich Diebstahl, Bettelei,<br />

Schwarzmarkt oder Prostitution<br />

als einziger Ausweg dar. Besonders<br />

verknüpft mit der Prostitution war<br />

die Problematik grassierender Geschlechtskrankheiten. 35<br />

Mit Blick auf die durch die Kriegsfolgen verwaisten, vernachlässigten<br />

und verarmten Kinder und Jugendlichen bestand bei<br />

den alliierten Behörden und deutschen Verwaltungen ein<br />

erheblicher Handlungsbedarf. 36 Zu reagieren war einerseits auf<br />

die Notlagen vieler Kinder und deren Eltern, sowie andererseits<br />

auf die Verwahrlosung der Nachkriegsjugend. Für Säuglinge<br />

und Kinder bis zur Schulentlassung konnten nach grober Wiederherrichtung<br />

und Ausstattung mit dem Nötigsten häufig die<br />

noch vorhandenen Heime genutzt werden. Dagegen wurde der<br />

Mangel an Unterbringungsmöglichkeiten für die wandernde<br />

und verwahrloste Jugend als besonders gravierend empfunden.<br />

Zu den ersten Nachkriegsmaßnahmen gehörten darum die provisorische<br />

Herrichtung von Auffanglagern und ähnlichen Einrichtungen<br />

zur Unterbringung der wandernden Jugendlichen,<br />

sowie Maßnahmen zur Bekämpfung der Jugendverwahrlosung,<br />

wozu man – so weit möglich – auf die alten Fürsorgeerziehungsheime<br />

zurück griff. Da die gesetzlichen Möglichkeiten<br />

häufig nicht ausreichten, junge Menschen gegen ihren Willen<br />

unterzubringen, setzte zudem seit 1946 die Suche nach neuen<br />

gesetzlichen Möglichkeiten zum zwanghaften Festhalten junger<br />

Menschen ein. Zur wichtigsten, auch von den Besatzungsmächten<br />

unterstützten, gesetzgeberischen Initiative wurde ein<br />

Arbeitserziehungsgesetz für arbeitsscheue junge Menschen bis<br />

zu 30 Jahren. 37 Auch wenn das Gesetz nie verabschiedet wurde,<br />

– die Umsetzung scheiterte zunächst an fehlenden geeigneten<br />

Einrichtungen und wurde im Zuge der mit der Währungsreform<br />

(1948) einsetzenden gesellschaftlichen Veränderungen auch<br />

weniger dringlich – spiegelt die Diskussion die Grundhaltung in<br />

der Jugendfürsorge der Nachkriegsperiode wider. Die Möglichkeit<br />

der ambulanten Betreuung spielte in dieser Zeit keine<br />

Rolle.<br />

Verwaiste, vernachlässigte,<br />

bettelnde und kriminelle Kinder<br />

und Jugendliche waren ein<br />

wichtiges Nachkriegsthema.<br />

Getragen vom Marshallplan (1947) und der Währungsreform<br />

(1948) begann die deutsche Wirtschaft ab 1948 wieder zu<br />

erstarken, was sich aber zunächst nur geringfügig auf die allgemeine<br />

Lage der Bevölkerung auswirkte. 38 Die Politik war<br />

zunächst primär auf Wirtschaftswachstum ausgerichtet, von<br />

dem man sich dann sekundär die Lösung des Nachkriegselends<br />

erhoffte. Von einigen Maßnahmen gegen die Jugendarbeitslosigkeit<br />

abgesehen, blieben die Leistungen für soziale und<br />

jugendfürsorgerische Zwecke auf das Notwendigste begrenzt.<br />

Die Politik setzte auf Sparprogramme. Öffentliche Erziehungseinrichtungen<br />

für Kinder sollten auf die dringlichsten Notfälle<br />

beschränkt bleiben, da die Familie der Nachkriegsfamilienpolitik<br />

als einzig stabiler Hort und<br />

Keimzelle der Gesellschaft erschien.<br />

Der herrschenden Familienideologie<br />

entsprechend griffen viele<br />

Kinderheime auf Familienleitbilder<br />

zurück, ohne allerdings auch nur<br />

annähernd über die Ressourcen für<br />

Familienorientierung zu verfügen.<br />

Die Jugendheime sollten sich soweit wie möglich über Strukturen<br />

der Selbstversorgung tragen, zumindest waren die Pflegesätze<br />

– auf Kosten des Erziehungspersonals und der Kinder – so<br />

gering wie möglich zu halten. 39 Als Sparprogramm galten auch<br />

Pflegefamilien, sodass Heime und Anstalten dazu verpflichtet<br />

wurden, sich möglichst rasch wieder von Kindern und Jugendlichen<br />

zugunsten ihrer Unterbringung in Pflegefamilien, Haushaltsstellen<br />

oder ländlichen Arbeitsstätten zu trennen.<br />

Nach dem Einsetzen des so genannten Wirtschaftwunders ab<br />

der zweiten Hälfte der 1950er Jahre veränderte sich für den<br />

Bereich der öffentliche Erziehung nur wenig. Politik und Bevölkerung<br />

hatten Besseres zu tun, als sich um die Nöte von Kindern<br />

und Jugendlichen zu kümmern und wegen des Zuzugs<br />

qualifizierter Fachkräfte aus der DDR war auch das Interesse an<br />

der Arbeitskraft von Fürsorgezöglingen gering. In den Heimen<br />

wurden die männlichen Jugendlichen deshalb weiterhin nur in<br />

tradierten, auf dem Arbeitsmarkt kaum noch nachgefragten<br />

Berufen ausgebildet und die weiblichen Jugendlichen auf<br />

Haushalt und Mutterschaft hin orientiert.<br />

An eine Modernisierung der Heimerziehung war in diesen Jahren<br />

noch nicht zu denken. Trotz eines von den Freien Trägern stets<br />

geforderten Bedarfs an Heimneubauten, kam es nur zu geringen<br />

staatlichen Zuwendungen. Lediglich die Arbeits- und Lohnsituation<br />

der Beschäftigten wurde nach und nach verbessert,<br />

da die schlechten Arbeitsbedingungen zu einem chronischen<br />

Personalmangel geführt hatten. Die Politik ging grundlegende<br />

Strukturreformen in den Heimen nicht an, obwohl die Probleme<br />

(personelle, materielle sowie räumliche Ausstattung,<br />

veraltete pädagogische Konzepte) bekannt waren. Die Adenauerära<br />

wird mit Blick auf die Heimerziehung entsprechend als<br />

»Dornröschenschlaf« charakterisiert. 40<br />

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