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Dieser Zustand änderte sich erst Ende der 1960er Jahre, als im<br />

Zuge der Protestbewegung der 68er die Situation in den Heimen<br />

in das Bewusstsein der Öffentlichkeit rückte. Den Hintergrund<br />

der Proteste bildete vor allem ein allgemeiner Wertewandel.<br />

Machten in der direkten Nachkriegszeit bis in die<br />

1960er Jahre hinein noch Autoritätsglaube, Ordnung und vor<br />

allem Einordnung in das Kollektiv und die Gesellschaft die Kerntugenden<br />

aus, verlagerten sich diese zugunsten der Betonung<br />

des Individuums und seiner Entfaltungsmöglichkeiten. Repressive<br />

Erziehungsmethoden, wie sie in den Heimen vorherrschten,<br />

waren unter diesen Gesichtspunkten unakzeptabel. Die<br />

politisierte Studentenschaft machte gemeinsam mit Jugendlichen<br />

aus den Heimen in den sogenannten Heimkampagnen<br />

auf die Lage in den Heimen aufmerksam. 41 Revolten in den Heimen,<br />

Fluchtwellen aus den Heimen, die Bildung von Selbsthilfe-Kollektiven<br />

und eine Flut von Publikationen stellten das<br />

System der Heimerziehung in Frage und stießen auf ein breites<br />

mediales Interesse. 42<br />

Die Studenten und Heiminsassen forderten unter anderem die<br />

Abschaffung repressiver Maßnahmen, mehr Mitbestimmung<br />

durch die Zöglinge, kleinere Gruppen, bessere Ausbildungsmöglichkeiten<br />

sowie Verbesserungen in der Qualifizierung des<br />

Personals. 43<br />

Angestoßen durch die Heimskandale und die öffentliche Diskussion<br />

über die geschilderten Zustände wurden Reformen des<br />

Heimsystems eingeleitet – wenn auch anfänglich noch sehr<br />

verhalten. Das alte Konzept des Großheims und die Rechtfertigung<br />

der geschlossenen Unterbringung stand zunehmend in<br />

der Kritik. Die Erziehung zur Selbstständigkeit und mehr Chancengleichheit<br />

für die Kinder und Jugendlichen in den Heimen<br />

zählten zu den wichtigsten Forderungen. Neue Formen der<br />

Heimerziehung wie Kleinheime, Außenwohngruppen und<br />

Jugendwohngemeinschaften entstanden. Auch die Ausbildung<br />

von Erzieherinnen/Erziehern und Sozialarbeiterinnen/Sozialarbeitern<br />

wurde verbessert, mehr Eigenverantwortung und Mitsprachemöglichkeiten<br />

für sie verlangt, umgesetzt oder zumindest<br />

erprobt. 44 Praktischen Einfluss übten solche Reformen<br />

allerdings nur in Heimen und Einrichtungen aus, in denen auch<br />

von innen durch Zöglinge oder die Mitarbeiterschaft entsprechender<br />

Druck aufgebaut und über einen längeren Zeitraum<br />

aufrecht erhalten werden konnte. 45 Die neuen Formen setzten<br />

sich entsprechend uneinheitlich durch. 46 Die Entwicklung<br />

führte dazu, dass am Ende der 1960er Jahre nur noch wenige<br />

Anstalten in der ursprünglichen Form existierten. Die tradierte<br />

Form der Heimerziehung in Großheimen mit ihren repressiven<br />

Erziehungsmethoden galt spätestens ab den 1970er Jahren<br />

endgültig als überholt. Insgesamt lieferten die Debatten dieser<br />

Jahre zunächst noch mehr den kritischen Nährboden für eine<br />

umfassendere Neuorientierung von Jugendhilfe und Heimerziehung<br />

in den 1980er Jahren, als dass sie selbst bereits Reformen<br />

im breiten Stil einleiteten. 47<br />

2.2 Rechtliche Voraussetzungen der Heimerziehung<br />

Nach dem allgemeinen Überblick über Linien der historischen<br />

Entwicklung der Heimerziehung geht es in diesem Abschnitt<br />

um die rechtlichen Grundlagen für Heimeinweisungen und die<br />

Ausgestaltung der Heimpraxis. Welche Verfahrenswege und<br />

Rechtsgrundlagen existierten in den 1950er und 1960er Jahren<br />

auf deren Grundlage Kinder und Jugendliche aus ihren Familien<br />

genommen wurden und in die öffentliche Erziehung kamen<br />

Wie sahen die rechtlichen Grundlagen aus, die die praktische<br />

Durchführung der Erziehung in den Heimen regelten und wie<br />

wurde deren Einhaltung überprüft<br />

In einem ersten Schritt werden die rechtlichen Verfahrenswege,<br />

die zu einer Unterbringung in einem Heim oder einer Pflegefamilie<br />

führen konnten, dargestellt (2.2.1). Danach erfolgt ein<br />

Überblick über weitere rechtliche Grundlagen, die innerhalb<br />

der Durchführung der Heimerziehung bestanden (2.2.2). Das<br />

heißt beispielweise, inwieweit körperliche Strafen zulässig<br />

waren. Abschließend wird die Rechtslage erörtert, auf deren<br />

Grundlage die Jugendämter beziehungsweise Landesjugendämter<br />

ihre Kontrollfunktion, die Heimaufsicht, ausübten (2.2.3).<br />

Bei allen Betrachtungen gilt es, zwischen der Situation bis 1961,<br />

in der noch das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz (RJWG) die<br />

wesentliche Grundlage für rechtliche Gestaltungen bildete, und<br />

der Situation nach dem Erlass des Jugendwohlfahrtsgesetzes<br />

(JWG) von 1961, das 1962 in Kraft trat, zu unterscheiden. 48<br />

2.2.1 Die rechtlichen Grundlagen für<br />

Heimeinweisungen<br />

Heimeinweisungen konnten nach verschiedenen Rechtsgrundlagen<br />

erfolgen. Zu unterscheiden sind Regelungen für örtliche<br />

Hilfen zur Erziehung, für Heimeinweisungen auf Grund der<br />

Gefährdung des Kindeswohls, für die Fürsorgeerziehung und –<br />

nach 1961 – für die Freiwillige Erziehungshilfe<br />

Die örtlichen Hilfen zur Erziehung<br />

Für Kinder, die nicht bei ihren Eltern lebten und für die auch<br />

Verwandte nicht einspringen konnten, war bereits im 19. Jahrhundert<br />

die Armenpflege, innerhalb ihrer die Kinderarmenpflege,<br />

der Gemeindewaisenrat (für Waisen und unter Vormundschaft<br />

gestellte Kinder) und der Pflegekinderschutz<br />

zuständig. Für die Mittel der Erziehung, Verpflegung und Ver-<br />

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