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Zusammenbruch, dass viele Arbeitsbereiche neu aufgebaut<br />
werden mussten. Dazu zählten unter anderem Maßnahmen der<br />
Erholungsfürsorge für die vielen unterernährten Kinder, die<br />
Schaffung von Versorgungsmöglichkeiten für Kinder in Kindergärten<br />
und die Mitwirkung an der demokratischen Umerziehung<br />
der Jugend in Freizeitstätten unter der Regie der Besatzungsbehörden.<br />
Die größten Sorgen bereiteten dem Jugendamt<br />
vor allem drei Gruppen. Erstens waren dies die vielen unversorgten,<br />
heimatlosen und vernachlässigten Kinder, von denen<br />
viele von ihren Müttern zum Betteln geschickt wurden. Zum<br />
Zweiten stellten die wandernden Jugendlichen in der Stadt eine<br />
Herausforderung dar. Drittens bildeten die gefährdeten, sexuell<br />
verwahrlosten, nicht selten geschlechtskranken und deshalb als<br />
Infektionsquellen geltenden Mädchen eine Gefahrengruppe in<br />
Hinblick auf die einheimischen Männer sowie die kasernierten<br />
Besatzungstruppen. 141<br />
Das Jugendamt Bremerhaven war seit 1939 der Kommunalverwaltung<br />
von Wesermünde zugeordnet. 142 Erst nachdem die<br />
Stadt Wesermünde in das Land Bremen eingegliedert und mit<br />
dem bereits existierenden Bremerhaven zur Stadt Bremerhaven<br />
verschmolzen wurde (1. Januar 1947) bekam die Stadt ein eigenes<br />
Jugendamt. In der Organisation folgten die dortigen Verantwortlichen<br />
im Wesentlichen dem aus der Stadt Bremen<br />
Bekannten. Das Jugendamt wurde ebenfalls eine Abteilung der<br />
Wohlfahrtsverwaltung und gliederte sich intern in drei Abteilungen.<br />
Im Innendienst arbeiteten zehn Beamtinnen und Beamte<br />
und Angestellte sowie einige Verwaltungskräfte. Für den Außendienst<br />
des Jugendamtes kamen fünf Fürsorgerinnen, je eine für<br />
die fünf Bezirke der Stadt, hinzu. Auch in Bremerhaven zählten<br />
die Versorgung und Verwahrung von »verwahrlosten Kindern und<br />
Jugendlichen beiderlei Geschlechts«, der Umgang mit den »Fürsorgefällen«<br />
und mit »wandernden« Jugendlichen sowie »sittlich<br />
gefährdeten Mädchen« zu den dringlichsten Aufgaben. 143<br />
Die Situation der Freien Wohlfahrtspflege<br />
Mit der Bewältigung aller Aufgaben wären die Behörden allein<br />
restlos überfordert gewesen. Schon früh beschloss die Politik<br />
deshalb, die noch bestehenden oder neu gegründeten privaten<br />
Wohlfahrtsorganisationen in die Arbeit des Wiederaufbaus einzubeziehen.<br />
Aber auch sie, das Arbeiterhilfswerk (später Arbeiterwohlfahrt),<br />
die noch auf verschiedene Diözesen verteilten<br />
Caritasorganisationen, das Deutsche Rote Kreuz, die Landesvertretung<br />
des Fünften Wohlfahrtsverbandes (später Deutscher<br />
Paritätischer Wohlfahrtsverband) und der die evangelische<br />
Wohlfahrtspflege vertretende Verein Innere Mission in Bremen,<br />
litten unter zerstörten Gebäuden und fehlenden Mitteln für<br />
ihre Arbeit oder waren überhaupt erst neu aufzubauen. Ihr<br />
größtes Problem stellte deshalb zunächst die Beschaffung<br />
finanzieller Mittel dar. Eine Teillösung ergab die mit Unterstützung<br />
Wilhelm Kaisens gegründete Bremer Volkshilfe, eine Sammelorganisation<br />
für Sach- und Geldspenden. Wenig später fanden<br />
die Wohlfahrtsorganisationen eine neue Aufgabe in der<br />
Verteilung der aus dem Ausland eingehenden Hilfe, wie die<br />
Carepakete, an verarmte Bevölkerungsteile und die eigenen<br />
Einrichtungen. Je nach Ausrichtung, Bestand an Gebäuden und<br />
Traditionen beteiligten sich die Freien Träger zudem am Wiederaufbau<br />
von Kindergärten, an der Erholungsfürsorge, am Aufbau<br />
von Beschäftigungsmöglichkeiten für Mädchen und junge<br />
Frauen sowie am Wiederaufbau der Heimerziehung.<br />
4.1.3 Wiederaufbau der<br />
Heimerziehung<br />
Um ihre Aufgaben im Jugendschutz, in der Fürsorgeerziehung<br />
sowie der allgemeinen Erziehungsfürsorge erfüllen zu können,<br />
benötigten das Landesjugendamt und die Jugendämter vor<br />
allem Heime. 144 Die Möglichkeiten waren dabei sehr begrenzt.<br />
Der Krieg hatte das katholische St. Johannis Waisenhaus in Walle<br />
völlig zerstört, und auch die noch bestehenden Heime Freier<br />
Träger litten fast alle unter Kriegseinwirkungen. Sie verfügten<br />
weder über Materialien noch Geld für die dringlichsten Wiederherstellungsarbeiten,<br />
hatten ihren eigenen Kampf gegen den<br />
Hunger der Kinder, das Fehlen von Bekleidung und die schwierige<br />
Personalsituation zu führen. Einige von ihnen hatten im<br />
Nationalsozialismus auch ihre Unabhängigkeit verloren oder<br />
sich – mehr oder weniger freiwillig – der faschistischen Ideologie<br />
und ihrer Praktiken gebeugt, sodass die äußeren Krisen<br />
auch mit inneren, pädagogischen Krisen, verbunden waren. Um<br />
dem desolaten Zustand der Heime Freier Träger etwas entgegensetzen<br />
zu können, hätte es einer eigenen kommunalen Infrastruktur<br />
für die Versorgung von Kindern und Jugendlichen<br />
bedurft, die aber nicht existierte. In der Stadt Bremen war das<br />
einzige noch aus der Vorkriegszeit bestehende Heim, das Haus<br />
Neuland, mit Flüchtlingen und Obdachlosen überfüllt. Nur eine<br />
Baracke auf dem Gelände konnte für Zwecke der Jugendfürsorge<br />
von dem ebenfalls zuvor ausgebombten Marthasheim,<br />
einem Heim der Inneren Mission für Mädchen und Frauen,<br />
genutzt werden.<br />
Die Situation in Bremerhaven war geringfügig besser, da es<br />
hier noch sowohl ein kommunales Säuglingsheim als auch ein<br />
kommunales Kinderheim gab, die beide bruchlos wieder für<br />
öffentliche Aufgaben der Kinder- und Jugendfürsorge genutzt<br />
werden konnten. Auch die traditionelle Alternative zur Versorgung<br />
von familienlosen oder familiengelösten Kindern, das Pflegekinderwesen,<br />
stand nur begrenzt zur Verfügung. Wer selbst<br />
unter beengtesten Wohnverhältnissen lebte, oft in Provisorien<br />
wie Baracken oder teilzerstörten Wohnungen, übernahm nicht<br />
auch noch die Sorge für fremde Kinder.<br />
Die provisorische Herrichtung neuer Heime und die Wiedereröffnung<br />
sowie Modernisierung noch bestehender Einrichtungen<br />
wurden daher für die Wohlfahrtsbehörde, das Landesjugendamt<br />
und die beiden städtischen Jugendämter zu einer<br />
der vordringlichsten Aufgaben im Nachkriegsbremen. Am Ende<br />
dieser Periode waren dann die grundlegenden Strukturen der<br />
Heimerziehung für die nachfolgenden Jahrzehnte geschaffen.<br />
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