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Hierzu ist noch einmal der bereits erwähnte Hinweis wichtig,<br />

dass in der alltäglichen Praxis häufig nicht zwischen FE- und<br />

FEH-Zöglingen unterschieden wurde. Das öffentliche Erziehungsrecht<br />

wurde nicht aus der elterlichen Gewalt abgeleitet,<br />

sondern war ein eigenständiges, das heißt originäres Recht, das<br />

durch die Anordnung der FE entstand. 72 Im Falle einer Heimunterbringung<br />

übertrug die Fürsorgeerziehungsbehörde die<br />

öffentlichen Erziehungsrechte im Regelfall an die Heimleitungen.<br />

In der Expertise heißt es dazu:<br />

»Grundsätzlich aber waren die Erziehungsbefugnisse der<br />

Fürsorgeerziehungsbehörde und der Heimleitungen denen<br />

der Eltern angeglichen, d.h. das öffentliche Erziehungsrecht<br />

umfasste das Recht der Aufenthaltsbestimmung (nach 1962<br />

ausdrücklich in § 70 Abs. 1 JWG geregelt), das Recht der täglichen<br />

Sorge sowie die seinerzeit üblichen Zuchtmittel.« 73<br />

In Bremen regelte das Landesrecht, dass das öffentliche Erziehungsrecht<br />

in der FEH und der Fürsorgeerziehung dieselben<br />

Befugnisse umfasste, wie sie den Eltern zustanden. 74<br />

Die »seinerzeit üblichen Zuchtmittel« bedürfen genauerer Erklärung.<br />

Bis in die 1970er Jahre hinein wurde dem Erziehungspersonal<br />

ein gewohnheitsrechtliches Züchtigungsrecht zugestanden:<br />

»Für die 50er und 60er Jahre gilt, dass auch Erziehern und<br />

Volksschullehrern, z.T. auch Schul- und Anstaltsärzten<br />

und Kindergärtnerinnen ein gewohnheitsrechtliches Züchtigungsrecht<br />

grundsätzlich zugestanden wurde.« 75<br />

Zwar war diese Ansicht bereits seit den 1950er Jahren umstritten,<br />

aber insbesondere der Bundesgerichtshof hielt daran fest.<br />

Obwohl sich die öffentliche Meinung sowie die fachliche<br />

Debatte innerhalb der Pädagogik in Bezug auf die Anwendung<br />

körperlicher Strafen änderte (siehe Kapitel 2.3) und ab den<br />

1960er Jahren insbesondere die Heimerziehung in diesem<br />

Aspekt kritisierte, verabschiedete sich erstmalig im Jahre 1977<br />

ein Amtsgericht von der Auffassung, dass ein gewohnheitsrechtliches<br />

Züchtigungsrecht für Erzieher existiere. 76<br />

Das Recht zur körperlichen Züchtigung, das Eltern, Schullehrern<br />

und Erziehungspersonal zugesprochen wurde, war allerdings<br />

nicht grenzenlos und an bestimmte Voraussetzungen gebunden.<br />

Zunächst musste die Person, die die Strafe an dem Minderjährigen<br />

vollzog, durch Landesrecht oder einen Heimvertrag<br />

dazu befugt sein und sich im Rahmen landesrechtlicher Einschränkungen<br />

bewegen. Das bedeutete, dass in manchen Heimen<br />

körperliche Strafen offiziell nur durch die Heimleitung ausgeführt<br />

werden durften, da diesen das öffentliche Erziehungsrecht<br />

übertragen wurde. Dazu musste die Strafe aus einer erzieherischen<br />

Intention und im Interesse des Kindes erfolgen. Die dritte<br />

Einschränkung basierte auf der Angemessenheit der Strafe, die<br />

nicht unverhältnismäßig sein durfte. Als verhältnismäßig betrachteten<br />

die Gerichte in den 1960er Jahren Schläge mit diversen<br />

Gegenständen vom Stock bis zum Gummiknüppel oder mit der<br />

flachen Hand. Verboten waren hingegen auch damals bereits<br />

entwürdigende, gesundheitsschädigende oder »quälerische«<br />

Strafen. 77<br />

Als elterliches Züchtigungsrecht galten zum Beispiel Arreststrafen<br />

und der Essensentzug, die damit auch als Mittel in der Züchtigung<br />

von Heimzöglingen erlaubt waren. Beide mussten unter<br />

denselben Voraussetzungen wie die körperlichen Strafen (Befugnis,<br />

erzieherische Intention, Verhältnismäßigkeit) erfolgen. Sie<br />

durften schon nach der gängigen Rechtsprechung der 1950er<br />

und 1960er Jahre nicht aus nichtigen Anlässen angewendet<br />

werden. Der Arrest war zudem nicht unverhältnismäßig lang<br />

und unter menschenwürdigen Bedingungen, das heißt mit<br />

einer ausreichenden Schlafgelegenheit, Licht und ausreichendem<br />

Essen, zu gestalten.<br />

Ebenfalls schon in der Rechtssprechung der 1950er und 1960er<br />

Jahre unzulässig waren weitere Strafmaßnahmen, die gegen<br />

die Menschwürde verstießen. Hierzu zählten alle entwürdigenden<br />

Strafen wie das Bloßstellen vor der Gruppe, der Zwang zum<br />

Essen von Erbrochenem oder Schikanen wie das Putzen von<br />

Fluren oder anderen Räumen mit der Zahnbürste. 78 Die Duldung<br />

der Misshandlung oder Demütigung von Heimkindern<br />

durch andere Heimkinder wurde ebenfalls als Verletzung der<br />

Menschenwürde gewertet. Auch die Praxis der Kontaktsperre<br />

zu Verwandten oder Freunden war bis in die 1960er Jahre hinein<br />

gängiger Bestandteil des Strafenrepertoires, die ohne klare<br />

gesetzliche Regelung in vielen Heimen angewendet wurde.<br />

2.2.3 Die Heimaufsicht<br />

Die Heimaufsicht umfasste zwei unterschiedliche Aufgabengebiete.<br />

Zum einen kontrollierte die Heimaufsicht die Anstalten<br />

und zum anderen übernahm sie die Aufsicht über die individuellen<br />

Zöglinge und deren Entwicklung.<br />

Da das RJWG keine gesetzlichen Bestimmungen für eine Kontrolle<br />

der Einrichtungen enthielt, konnte die Heimaufsicht bis<br />

1961 nur über die Kinder und Jugendlichen selbst, die in den<br />

Heimen lebten, eine Aufsicht ausüben. In diesem Fall lag die<br />

Zuständigkeit bei den Landesjugendämtern. Neben der Aufsicht<br />

über die Kinder beziehungsweise Jugendlichen regelte in<br />

Bremen jedoch das Landesrecht die Kompetenzen des Landesjugendamtes<br />

gegenüber den Anstalten. Nach Landesrecht<br />

konnte das Landesjugendamt seine Zuständigkeit an die<br />

Jugendämter übertragen. Die Aufsichtsbehörde (JA oder LJA)<br />

hatte auf dieser Grundlage beispielsweise das Recht, Zugang zu<br />

den Räumlichkeiten der Institutionen, in denen die Minderjährigen<br />

lebten, zu erhalten und konnte zudem die Beseitigung<br />

von Missständen fordern. 79 Diese landesgesetzliche Regelung<br />

war besonders im Umgang mit freien Trägern, die eine Kontrolle<br />

als Eingriff in ihre Autonomie ablehnten, von Bedeutung, blieb<br />

aber in ihrer Anwendung auf Ausnahmesituationen beschränkt.<br />

Nicht zuletzt am Widerstand der freien Träger scheiterte in den<br />

1950er Jahren eine erste geplante Reform der Heimaufsicht.<br />

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