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Für sechs Wochen unter die Treppe<br />
»Nach jedem Ausreißen«, berichtet ein Ehemaliger aus dem<br />
katholischen Franz-Sales-Haus, »ging es ab in die Zelle.« Nach<br />
dem dritten Versuch, aus dem Heim zu entfliehen, wurde die<br />
Strafe noch einmal verschärft: »Zuerst hatte mir jeder der<br />
32 Jungen in der Abteilung drei Schläge mit einem Riemen auf<br />
›den Blanken‹ zu geben. Dann ging es für sechs Wochen in den<br />
Arrest. Das war ein abgetrennter Treppenteil, in dem man nur<br />
in gebückter Haltung ›wohnen‹ konnte. Der einzige Gegenstand<br />
im Raum war ein Pisspott.« (G6, JA Mönchengladbach, 1964 –<br />
1969)<br />
Für Monate unter Arrest<br />
Auch ein Jugendlicher aus dem Ellener Hof musste mehrfach<br />
in die Arrestzelle, einmal für Monate. »Es gab nichts als<br />
einen Tisch, einen Stuhl und ein Bett. Weil es Glasbausteinfenster<br />
mit nur kleinen Lüftungsklappen gab, konnte man nicht<br />
mal nach draußen gucken. Ich bin den ganzen Tag lang wie ein<br />
wildes Tier durch den Raum gelaufen.« (G37, JA Buxtehude,<br />
1959 – 1961)<br />
Für eine andere Gesprächspartnerin endeten Weglaufen oder<br />
andere Verfehlungen im Erziehungsheim Kalmenhof mit »Karzer<br />
in einem leeren Baderaum und Wasser und Brot über immer etwa<br />
zwei Tage« (G25, JA Bremen, um 1960). Im Heim für Mädchen<br />
Liner-Haus bei Celle mussten die Mädchen nach mehrmaligem<br />
Weglaufen für bis zu drei Monate in eine geschlossene Gruppe<br />
ohne Schulunterricht und »einem Drachen von Erzieherin« (G34;<br />
JA Nienburg; 1972 – 74).<br />
Schikanen und entwürdigende Strafen<br />
Zehn Eimer Wasser für den Tagesraum<br />
Als Neunjähriger kam er mit Zustimmung der Mutter nach<br />
St. Petri. Der Tagesraum dort musste täglich gesäubert<br />
werden. Er erinnerte sich, dass dazu alle Tische und Stühle<br />
nach draußen geschafft wurden. Der Heimleiter goss dann<br />
zehn Eimer Wasser in den Raum und die Jungs mussten<br />
schrubben. Sie bohrten an versteckter Stelle ein Loch in den<br />
Boden, damit das Wasser besser abfließen konnte. Nach<br />
anderen Verfehlungen musste der Junge einmal 50 Eimer<br />
Wasser in die obere Etage schleppen, ein anderes Mal 50<br />
Eimer Wasser aus dem 500 Meter entfernten Graben holen.<br />
(G24, JA Bremen, 1945 – 1947)<br />
Mit der Zahnbürste den Duschraum schrubben<br />
Neben Isolierzelle lautete eine der drastischsten Strafen im<br />
Ellener Hof der Befehl, barfuß den Duschraum mit einer<br />
Zahnbürste zu schrubben. Üblich waren auch Drohungen<br />
mit Verlegungen in ein anderes Heim. Einmal, so berichtete<br />
der Gesprächspartner, wurde damit gedroht, Soldaten aus<br />
der Kaserne in der Nähe ins Heim zu holen. (G14, JA Bremerhaven,<br />
1966 – 1969)<br />
Weitere beliebte Strafen in Kinderheimen waren das Eckestehen,<br />
das Abschreiben von Texten in Schönschrift, die Kürzung<br />
des Taschengeldes oder der Zigarettenrationen, der schon<br />
erwähnte Ausschluss von Veranstaltungen, die Missachtung des<br />
Briefgeheimnisses oder – so von einer Ehemaligen berichtet –<br />
das Haarescheren nach dem Weglaufen.<br />
Seelische Schläge und beschämende<br />
Situationen<br />
Neben diesen physischen und materiellen Repressionen standen<br />
für viele der Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner<br />
psychische Verletzungen im Vordergrund. Häufig ging es um<br />
mangelnde Zuwendung und fehlende Intimität. Mehrfach<br />
berichteten Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner von<br />
›seelischen Schlägen‹, Angriffen auf ihre ganze Person:<br />
»Du bist minderwertig«<br />
In Alten Eichen wurde das 12-jährige Mädchen nach einer<br />
Verfehlung zum Hausvater bestellt. »Geschlagen hat er nicht.<br />
Hier wurde mit schlimmen, verächtlichen Worten gestraft. Für<br />
mich, ich glaube auch für alle anderen Kinder, war das viel, viel<br />
schlimmer. Seine Botschaft war immer die gleiche: ›Du bist<br />
minderwertig, aus dir wird niemals ein Mensch, der es zu etwas<br />
bringt. Was uns der Mann damit antat, war schlimmer als jede<br />
körperliche Bestrafung. Solche seelischen Schläge gingen viel<br />
tiefer. Ich hatte das Gefühl, als Mensch wertlos zu sein.«<br />
(G5, JA Bremen, 1951 – 1958)<br />
Als Bastard und Hurenkind beschimpft<br />
»Ich wurde bei jeder sich bietenden Gelegenheit geschlagen,<br />
ich wurde mit Bastard, Hurenkind, unwertes Leben, ›da ist<br />
die Kugel zum Erschießen zu schade‹ beschimpft.« (G20, zum<br />
Renthe-von-Fink Heim, 1955)<br />
Von Beschämungen einer besonderen Art berichteten zwei der<br />
Gesprächspartner:<br />
Immer furchtbar geschämt<br />
Im St. Petri Waisenhaus gab es für die Kinder beim sonntäglichen<br />
Gottesdienst im Dom eine Zeitlang eine besondere<br />
Verpflichtung. Ein Gesprächspartner erinnert sich: »Einige<br />
von uns hatten zum Ende des Gottesdienstes dann immer noch<br />
einen Extradienst zu leisten. Wir mussten uns neben den Kasten<br />
für die Kollekte stellen und immer, wenn jemand Geld eingeworfen<br />
hat, mussten wir uns mit einem höflichen Diener<br />
bedanken. Das war schlimmer als betteln. Ich hab mich immer<br />
furchtbar geschämt.« (G9, JA Bremen, Anfang 1950er Jahre)<br />
Betteln mit der Spendenbüchse<br />
»Ein paar Mal im Jahr wurden wir mit einer Spendenbüchse<br />
zum Betteln aus unserem Waldhaus im Schwarzwald nach<br />
Karlsruhe gekarrt. ›Eine kleine Spende für den Paritätischen<br />
Wohlfahrtsverband‹ mussten wir aufleiern. Nur peinlich…Das<br />
Geld haben wir dann dem Heimleiter auf den Tisch gekippt.<br />
Irgendwann hat er sich einen Rolls Royce gekauft.« (G43, JA<br />
Bremen, Ende 1960er Jahre)<br />
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