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Im Krankenhaus lernte die Jugendliche einen Musiker kennen.<br />

Er und seine Frau fragten sie, ob sie Lust hätte, auf ihr Kind aufzupassen.<br />

»Natürlich wollte ich und auch das Heim stimmte zu.<br />

Der Mann machte sich dann ziemlich bald an mich ran. Seine Frau<br />

warf mir vor, dass ich ihr ihren Mann ausspannen wolle und hat<br />

das dem Heim gemeldet. Ich musste also wieder ohne Ausgang<br />

zurück ins Heim.« Ihr wurde dann Arbeit im Pik As, – hier wurden<br />

Behinderte betreut – zugewiesen. »Das Pik As lag neben dem<br />

Roten Kreuz Krankenhaus. Man bot mir dann vom Krankenhaus<br />

aus an, bei ihnen in der Wäscherei und als Näherin zu arbeiten.<br />

Zuerst wollte ich nicht, weil in dem Krankenhaus meine Mutter<br />

gestorben war, aber hab dann doch angenommen. Ich hab hier<br />

dann anderthalb Jahre vor allem in der Näherei gearbeitet.«<br />

Über ihre Arbeit lernte die junge Frau dann auch einen jungen<br />

Mann kennen. »Er durfte mich sogar vom Heim abholen, und<br />

stellte mich seinen Eltern vor. Um 22 Uhr musste ich immer zurück<br />

sein. Mit ihm blieb ich zwei Jahre zusammen.« Als die Beziehung<br />

auseinander ging, fand sie dann Arbeit in der Küche eines Restaurants.<br />

»Hier lernte ich Helga kennen, eine ganz Liebe. Sie war<br />

schon ein bisschen erwachsener als ich. Der Chef bot uns ein Zimmer<br />

im Nachbarhaus an und das Jugendamt erlaubte, dass ich da<br />

mit Helga einziehe.«<br />

Die nächsten Jahre<br />

Die beiden jungen Frauen gingen häufig zum Tanzen aus. Die<br />

Leute von der Kapelle entdeckten, dass sie gut singen konnte.<br />

Manchmal durfte sie als Sängerin auftreten. Hier lernte sie auch<br />

einen Seeoffizier, »schicke weiße Uniform«, kennen, der sie nach<br />

Hamburg auf sein Schiff einlud. Frauenbesuch an Bord war<br />

nicht erlaubt und der Offizier schickte sie, als einmal die Gefahr,<br />

entdeckt zu werden, bestand, in den Maschinenraum. Dort<br />

wurde sie vergewaltigt. Der Offizier gab ihr die Schuld und jagte<br />

sie vom Schiff. Sie vergaß ihre Handtasche mit den Papieren auf<br />

dem Schiff und wollte sie mit der Polizei zurück holen. Zufällig<br />

war gerade ein höherer Vorgesetzter an Bord, der ihr erzählte,<br />

dass der Offizier schon verlobt war.<br />

Weil sie jetzt wohnungslos war, brachte die Polizei sie zur<br />

Davidswache in St. Pauli und von dort in ein Hamburger Mädchenheim.<br />

In ihm blieb sie, ohne Besonderes auszustehen zu<br />

haben, drei Monate. »Im Mai war ich 21 Jahre alt geworden und<br />

wurde also entlassen. Im Heim hat man mir etwas Geld gegeben<br />

und vorläufige Papiere. Mit denen sollte ich in Bremen zum<br />

Jugendamt gehen. Im Jugendamt meinte man: Du hast doch noch<br />

einen Stiefvater, vielleicht kannst Du bei ihm wohnen. Der Stiefvater<br />

hatte aber wieder geheiratet, er konnte mir auch nicht helfen.<br />

Ich ging dann zu anderen Verwandten, bei denen ich bleiben<br />

konnte.« Um diese Zeit wurde eine Schwangerschaft festgestellt,<br />

ob durch die Vergewaltigung oder von dem Offizier blieb<br />

ungeklärt. Klar war allen nur, dass eine Frau ihr Kind austragen<br />

muss. Sie wurde von einem türkischen Arzt entbunden. »Ich<br />

sagte ihm, dass ich das Kind ohne eigene Wohnung und Arbeit<br />

nicht behalten kann und es zur Adoption abgeben will. Der Arzt<br />

überredete mich, das Kind wenigstens mal anzugucken. Es war ein<br />

niedliches Kind. Ich hab es dann gestillt. Heute nach mehreren Kindern<br />

weiß ich, dass man sich danach dann sowieso nicht mehr<br />

vom Kind trennt. Aber wohin sollte ich mit dem Kind«<br />

Das Jugendamt vermittelte ihr einen Platz im Mütter- und<br />

Säuglingsheim Tenever. Hier konnte sie acht Wochen bleiben,<br />

musste dafür im Haus mithelfen und ihr Kind versorgen. Danach<br />

kam das Kind, ein Junge, in den Fichtenhof. Sie selber brachte<br />

man im Mädchenheim Krümpel unter, damit sie in der Nähe<br />

ihres Kindes bleiben konnte. »Krümpel war ein schönes Heim. Es<br />

lag mitten in einem Waldgrundstück. Die Mädchen waren hier<br />

nicht wie im Isenbergheim. Es waren mehr Mädchen, die nicht<br />

wussten, wo sie sonst leben sollten. Die meisten waren so um die<br />

17 Jahre. Näheres weiß ich nicht mehr. Ich glaube, die Mädchen<br />

arbeiteten viel im großen Garten. Wir haben auch für den Fichtenhof<br />

gebastelt, gestrickt und gestopft. Es war aber alles zwanglos,<br />

entsprechend bauten die Mädchen auch keine Scheiße. Manchmal<br />

ging man allerdings auch hier in Reih und Glied nach draußen. Im<br />

Heim wurden viele Gesellschaftsspiele gemacht, auch viel gebastelt.<br />

Meine Begabung zum Zeichnen und Basteln hab ich hier entwickelt.<br />

Überhaupt habe ich eigentlich überall viel gelernt, einfach,<br />

weil ich wissbegierig war. Heute kann ich eigentlich alles, egal ob<br />

Auto reparieren, Handwerkliches, Nähen, Malen. Im Fichtenhof<br />

war ich immer willkommen und mein Sohn hatte es da auch gut.«<br />

Zum weiteren Lebensweg<br />

Die Gesprächspartnerin heiratete wenig später, es gab nach<br />

einiger Zeit eine Trennung, dann eine neue Versöhnung und<br />

schließlich eine Scheidung. In der Ehe wurden vier Kinder geboren.<br />

Der erste nicht ehelich geborene Sohn lebte noch zeitweise<br />

weiterhin im Fichtenhof, zeitweise bei der Mutter. Wegen einer<br />

zunächst nicht entdeckten Behinderung verbrachte er schließlich<br />

Teile seiner Kindheit und Jugend in einer Behinderteneinrichtung.<br />

Mit einem der anderen Söhne und dessen Familie<br />

wohnt die Gesprächspartnerin jetzt schon seit langer Zeit im<br />

selben Haus. Eine ihrer Töchter betreibt in der Nähe eine Gaststätte.<br />

»Mein Sohn ist selbständig und verdient ganz gut. Wenn ich<br />

mal nicht mehr kann, werden er und seine Frau mich pflegen. Die<br />

sagen mir immer: ›Dass Du noch mal ins Heim musst, kommt nicht<br />

in Frage‹.« Arbeit fand sie zunächst bei ihrem Sohn, dann in der<br />

Gaststätte der Tochter, eine der wenigen Gaststätten im Umfeld,<br />

die noch gut läuft. Sie blickt auf eine Vergangenheit voller Enttäuschungen<br />

zurück, der Zukunft aber zufrieden entgegen.<br />

Gespräch 2:<br />

G47, Jg. 1948, zuständig JA Bremen.<br />

Anliegen:<br />

Der Gesprächspartner möchte eine Rentennachzahlung für die<br />

Gratisarbeit in seiner Heimzeit. Ein weiteres Anliegen ist das<br />

Erzählen des Erlebten und die Aufarbeitung.<br />

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