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Mit sechs Jahren fünf Stunden Arbeit am Tag<br />
»Im St. Petri Waisenhaus musste ich schon mit sechs Jahren<br />
manchmal fünf Stunden am Tag arbeiten. Im Herbst wurden<br />
wir an Bauern zur Kartoffelernte vermietet. Wir kriegten dann<br />
Drahtkörbe. Sie mussten immer voll gefüllt werden und waren<br />
sehr schwer.« (G9, JA Bremen, 1948 – 1953)<br />
Johannisbeeren pflücken und Kartoffelernte<br />
Auch ein anderer Gesprächspartner erinnerte sich an Arbeitseinsätze<br />
in St. Petri. »Meistens wurden wir nur zu leichteren<br />
Tätigkeiten wie Johannisbeeren pflücken oder ähnlichem<br />
eingesetzt. Es kam aber auch vor, dass wir zu Landwirten<br />
der Umgebung zum richtigen Arbeiten ausgeliehen wurden,<br />
beispielsweise für 50 Pfennig am Tag zur Kartoffelernte«.<br />
(G28, JA Bremen, 1943 – 1951)<br />
»Nach der Schule mit dem Bulli in die Ziegelei«<br />
Im Landesjugendheim Göttingen, berichtete der Gesprächspartner,<br />
habe er schon als 12-Jähriger, immer gleich nach<br />
der Schule »Zwangsarbeit« machen müssen. »Nach der Schule<br />
mit dem Bulli in die Ziegelei und dort umgekippte Paletten wieder<br />
mit den Ziegelsteinen beladen.« Daneben gab es auch<br />
landwirtschaftliche Arbeit bei Bauern. »Die war ein wenig<br />
besser, man kriegte jedenfalls ordentlich was zu essen.« Für die<br />
Arbeit gab es nur Taschengeld. »Den Rest haben die sich eingesteckt.«<br />
(G13, JA Bremen; 1957)<br />
Arbeit in Pflegefamilien und ländlichen<br />
Arbeitstellen<br />
Vielen Pflegekindern und Jugendlichen, die im Rahmen der<br />
öffentlichen Erziehung in landwirtschaftliche Betriebe oder zu<br />
Handwerkern vermittelt wurden, erging es nicht besser. »Ich<br />
musste schon als Sechsjähriger im Stall und in der Landwirtschaft<br />
arbeiten. Zeit für Schularbeiten gab es erst ab 20 Uhr« (G42, JA<br />
Bremen, 1954). »In meiner Pflegefamilie in Lüchow-Dannenberg<br />
wurde ich, damals erst 13, praktisch wie ein Knecht gehalten. Der<br />
Tag begann um 5.30 Uhr mit Kühe auf die Weide treiben. Nach der<br />
Schule, vier Kilometer zu Fuß hin und wieder zurück, war Arbeit auf<br />
dem Feld, im Obstgarten oder Stall angesagt. An Schularbeiten<br />
war frühestens ab 1.30 Uhr zu denken. Entsprechend schlecht<br />
waren meine Leistungen« (G17, JA Bremerhaven, 1951 – 63).<br />
Ähnlich äußerte sich auch ein ehemaliges Pflegekind aus dem<br />
Kreis Diep holz: »Zu meinen Aufgaben gehörte es auch, meine<br />
Wäsche in einem Bottich zu waschen, gewohnt hab ich auf dem<br />
Dachboden in einem eiskalten Verließ. Das einzig Gute war, dass<br />
ich mir zwei Kaninchen halten durfte. Eins von ihnen musste ich<br />
dann aber verkaufen, um mir die geforderte Bibel für den Konfirmandenunterricht<br />
kaufen zu können« (G23, JA Bremen,<br />
1960 – 68).<br />
Die bei Bauern arbeitenden Jugendlichen litten fast immer unter<br />
unmenschlichen Arbeitsbedingungen. »Ich war volle Arbeitskraft.<br />
Es gab nie Urlaub, keinen Lohn. Nur Sozialversicherung wurde<br />
gezahlt. Gestraft wurde mit der Peitsche« (G28, bei einem Bauern<br />
in Westfalen, 1962 – 63).<br />
Über die Umstände seiner Lehre bei einem Bäcker in Bremen, die<br />
ihm das KWH Schönebeck vermittelte, berichtete ein Gesprächspartner:<br />
Vom Familienanschluss war keine Rede<br />
»Man hat dann einen Bäcker gefunden, der mich, angeblich mit<br />
Familienanschluss, als Lehrling genommen hat. Von Familienanschluss<br />
konnte aber keine Rede sein. Ich wohnte in einem Schlauch<br />
von Zimmer auf dem Boden, die Hälfte davon war auch noch<br />
Umkleideraum für die Gesellen. Es gab kein gemeinsames Essen<br />
mit der Familie des Bäckers. Erst haben die gegessen und erst wenn<br />
sie fertig waren und die besten Sachen abgeräumt waren, kam ich<br />
dran. Arbeiten musste ich bis 24 Uhr, wie das bei Bäckern so ist. Ich<br />
hab im ersten Lehrjahr 1 DM wöchentlich Lohn gekriegt, im zweiten<br />
dann zwei und im dritten drei. Da hatte ich im Heim schon<br />
mehr Taschengeld, nämlich 35 DM.« (G15, JA Bremen, 1965 – 67)<br />
3.3.9 Die religiöse Erziehung<br />
In den Heimen unter katholischer oder protestantischer Trägerschaft<br />
spielte die Ausübung der Religion in Gebeten, Gottesdiensten<br />
und religiöser Unterweisung eine zentrale Rolle in der<br />
Alltagswelt und damit der Erfahrung der ehemaligen Heimkinder.<br />
Es gab Kinder, denen die Religion zu einem Halt in ihrem<br />
Leben wurde oder die zumindest religiöse Feiern als sinnstiftend<br />
für sich erlebten. Für die Mehrheit der Kinder blieben die<br />
im Heim geübten religiösen Praktiken aber äußerlich. Im besten<br />
Fall nahmen die Betroffenen sie einfach hin, in anderen Fällen<br />
wurden sie aber auch als zusätzliche Belastung erlebt. Dies war<br />
vor allem der Fall, wenn die Kinder den Eindruck gewannen,<br />
dass dem gepredigten Christentum keine entsprechende<br />
innere Haltung der Erwachsenen gegenüberstand oder deren<br />
Haltung sogar christlichen Grundsätzen und Geboten widersprach.<br />
Beten stand auf der Tagesordnung<br />
Zur Ausübung religiöser Praktiken in Alten Eichen erinnerte<br />
sich die Gesprächspartnerin: »Beten stand auf der Tagesordnung,<br />
morgens die Andacht, dann vor jeder Mahlzeit, beim<br />
Zubettgehen. Den Tagesspruch (aus der Bibel) mussten wir uns<br />
genau merken. Wer ihn auf Befragen nicht aufsagen konnte,<br />
bekam leichte Schläge auf die Hand. Außerdem schrie der<br />
Hausvater dann.« Als besonders gravierend erlebte sie auch,<br />
dass der Hausvater den Kindern häufig mit einer Haltung<br />
des ›Du bist minderwertig. Aus dir wird niemals ein Mensch,<br />
der es zu etwas bringt‹ begegnete. »Dabei war der Hausvater<br />
doch ein Diakon, ein Vertreter der Kirche. Für mich ist alles, was<br />
von der Kirche, von Würdenträgern, gesagt wird, seit diesen<br />
schlimmen Erlebnissen im Kinderheim nicht glaubwürdig.«<br />
(G5, JA Bremen, 1951 – 1958)<br />
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