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Immer abgehauen und wieder eingewiesen<br />
»Zuerst kam ich mit sechs in den Fichtenhof. Da bin ich dann<br />
weggelaufen, hin zu meiner Mutter. Dann kam ich in den Leinerstift,<br />
von wo ich wieder weglief und in die Psychiatrie kam.<br />
Von da aus ging es wohl in den Ellener Hof, vielleicht war aber<br />
noch was dazwischen, im Ellener Hof war ich, glaub ich, zweimal,<br />
ich bin überall gleich wieder abgehauen und dann kam<br />
ich nach Göttingen. Da war es am Schlimmsten. Nach dem<br />
letzten Abhauen bin ich dann zu meiner Oma gekommen.«<br />
(G13, JA Bremen, 1951 – 1964)<br />
Heimverlegungen aus Routine<br />
Ein großer Teil der Gesprächspersonen musste altersbedingt<br />
das Heim wechseln. Dies galt natürlich für Säuglings- und Kleinkindheime,<br />
aber auch in den Waisenhäusern und anderen Heimen<br />
für Kinder gab es zumeist ein nach Alterskriterien vorgegebenes<br />
Ende spätestens nach der Schulentlassung. Solche<br />
Verlegungen betrachteten die meisten lediglich als etwas, was<br />
eben zu ihrer Kindheit gehörte. Sie wussten, dass es eines Tages<br />
so weit sein würde, und sie sahen, dass auch andere Kinder aus<br />
den Heimen fort gingen. Heimverlegungen aus Routine wurden<br />
von den Gesprächspersonen daher auch fast immer unkommentiert<br />
gelassen. Eine Ausnahme:<br />
Mit dem Wechsel das Schicksal besiegelt<br />
Nach dem Aufnahmeheim hatte man den Jungen in ein<br />
Familienkinderheim mit nur zehn Kindern vermittelt: »Hier<br />
hab ich mich richtig wohlgefühlt. Die Zeit da gehört zu den<br />
schönsten Erinnerungen meines Lebens. Mit zehn war dann<br />
aber Schluss, das war so in dem Heim. Ich kam von da in eine<br />
kinderpsychiatrische Station, keine Ahnung warum. Da hat<br />
man mich dann als ›gestört‹ eingestuft und damit mein Schicksal<br />
besiegelt.« (G6, JA Mönchengladbach, 1964)<br />
Verlegungen aus disziplinarischen Gründen<br />
Die Verlegung in andere, noch stärker von der Außenwelt<br />
ab geschirmte Heime war häufig eine Reaktion auf ein vom<br />
Heimpersonal als schlimm betrachtete disziplinarische Verfehlung.<br />
Zurückgeführte Ausreißerinnen und Ausreißer wurden<br />
nicht selten, um andere Kinder nicht in Versuchung zu führen<br />
und zur Abschreckung für Andere, umgehend aus dem Heim<br />
entfernt und weiterverlegt. In manchen Heimen erfolgte die<br />
Abschiebung aber auch erst nach mehrmaliger Drohung:<br />
»Wenn Du noch einmal wegläufst; wenn wir Dich noch einmal<br />
dabei erwischen; wenn Du Dich nicht endlich zusammen reißt,<br />
dann bleibt uns nichts anderes übrig, als Dich nach … zu verlegen«.<br />
Das genannte Heim war dann zumeist bei den Kindern<br />
oder Jugendlichen berüchtigt. Die älteren Kinder und Jugendlichen<br />
kannten also die Folgen von Fehlverhalten oder Entweichungen.<br />
Die Verlegung selbst wurde entsprechend häufig<br />
auch einfach kommentarlos berichtet. Eine häufige, sinngemäße<br />
Formulierung war: »Ich bin dann ein paar Mal weggelaufen,<br />
wurde aufgegriffen und dann in ein anderes Heim verlegt.«<br />
Nur in Fällen, in denen die Verlegung überraschend erfolgte und<br />
als ungerecht und degradierend empfunden wurde, kam es zu<br />
detaillierteren Schilderungen:<br />
»Nur weil ich dem Gärtner hinterher geguckt hatte«<br />
Aus dem katholischen Internat, in das die 14-Jährige von<br />
ihrer Pflegefamilie geschickt worden war, flog sie wegen<br />
»unsittlicher Reife« heraus. Sie hatte dem Gärtner hinterher<br />
geguckt. »Ich kam in ein Heim für Schwererziehbare. Hier fing<br />
dann so langsam mein Abstieg an. Ich begann Alkohol zu trinken,<br />
entwich mehrfach und wurde von der Polizei aufgegriffen<br />
und in eine geschlossene Einrichtung gebracht. Hier wurden<br />
mir als erstes die Haare abgeschnitten und meine persönlichen<br />
Sachen weggenommen. Ich wurde nicht mehr beim Namen<br />
genannt, war nur noch eine Nummer…« (G3, JA Bremen,<br />
1964/65)<br />
»Nur weil wir uns geprügelt hatten«<br />
Nach verschiedenen Stationen in Heimen und einer Pflegefamilie,<br />
verlegte ihn das Jugendamt in das Lehrlingswohnheim<br />
Stackkamp. Der Aufenthalt hier endete für den jungen<br />
Mann nach einer Schlägerei, bei der es auch zu einem Polizeieinsatz<br />
kam. »Ich wurde in das Heimleiterbüro gerufen und<br />
da wurde mir dann mitgeteilt, dass es für mich wohl besser<br />
wäre, wenn ich meine Ausbildung woanders fortsetze. Es ging<br />
nach Baden-Württemberg.« (G23, JA Bremen, 1969)<br />
»Nur weil ich mit einem Mädchen geschlafen hatte«<br />
Der Jugendliche kam, weil seine Mutter erkrankte, als<br />
16-Jähriger in ein Lehrlingswohnheim. Mit 18 Jahren ging er<br />
eine Liebesbeziehung zu einer gleichaltrigen Kollegin ein,<br />
die erste seines Lebens. Er wurde rausgeschmissen und<br />
gleich nach Freistatt eingewiesen. »Als ich denen bei meiner<br />
Ankunft gleich mitteilte, dass ich hier nie bleiben würde, wurde<br />
ich vom Erzieher zusammengeschlagen und für einige Tage in<br />
die Zelle eingesperrt. Ich hatte keine Ahnung, warum man das<br />
alles mit mir machte, nur weil ich mit einem Mädchen geschlafen<br />
hatte« (G27, JA Bremen, 1957)<br />
»Nur weil wir ausgegangen waren«<br />
Als Jugendliche war ihr vom Mädchenheim Huchting aus<br />
ein Praktikum in einem süddeutschen Hotel vermittelt<br />
worden. Hier war sie mit anderen Mädchen ab und an ausgegangen.<br />
Das Hotel meldete das der Heimleiterin. »Ich<br />
wurde sofort zurückbeordert und ins Abendrothhaus in Hamburg<br />
gesteckt. Da war es dann wie im Knast.« (G39, JA Bremen,<br />
Anfang 1960)<br />
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