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gab es nie mehr als 70 belegte Plätze, denen aber durchschnittlich<br />

etwa 90 Unterbringungen im Rahmen der örtlichen Heimerziehung<br />

gegenüber standen. 288<br />

Für die Stadt Bremen kann eine solche Rechnung nicht aufgemacht<br />

werden, da es rechnerisch über hinreichend viele Plätze<br />

in den Heimen öffentlicher und freier Träger zur Versorgung<br />

sowohl der Fürsorgezöglinge als auch von Kindern und Jugendlichen<br />

im Rahmen der örtlichen Erziehungshilfe verfügte. Von den<br />

Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern äußerten jedoch<br />

rund 25 Prozent, dass sie vom Landesjugendamt oder dem<br />

Jugendamt in den 1950er Jahren auch oder ausschließlich außerbremisch<br />

untergebracht wurden. Daraus kann geschlossen<br />

werden, dass es sich um eine erhebliche Zahl von Kindern und<br />

Jugendlichen gehandelt haben dürfte, die teilweise lange in<br />

einem auswärtigen Heim lebten. Als Heime für Kinder unter 14<br />

Jahren wurden von den in dieser Dokumentation Befragten<br />

häufig der Besenhof bei Kassel, das katholische Kinderheim<br />

Stapelfeld, die Anstalt Hephata, das Haus Neuer Kamp bei Osnabrück<br />

und ein Kinderheim in Glückstadt benannt. Für Jugendliche<br />

im Rahmen der Fürsorgeerziehung waren es das Heim Freistatt,<br />

das Renthe-Fink-Heim und der Kalmenhof (siehe Kapitel 3.1).<br />

Auch zu den Motiven auswärtiger Unterbringungen kann – von<br />

der Bremerhavener Heimplatz-Not abgesehen – mangels schriftlicher<br />

Dokumente nur spekuliert werden. Der allgemeinen Praxis<br />

jener Zeit entsprechend, dürften Kinder und Jugendliche dann<br />

auswärts untergebracht worden sein, wenn eine örtliche Entfernung<br />

von ihren Eltern ›aus pädagogischen Gründen‹ angestrebt<br />

wurde, wenn Jugendliche im Rahmen der Fürsorgeerziehung<br />

aus disziplinarischen Gründen verlegt werden sollten,<br />

oder wenn nach einem besonders geeigneten Heim gesucht<br />

wurde, das beispielsweise besonders gesichert oder mit Ausbildungsbetrieben<br />

versehenen war.<br />

Für die Thematik auswärtiger Unterbringungen ist zusätzlich zu<br />

bedenken, dass der Großteil der Jugendlichen, die im Rahmen<br />

der öffentlichen Erziehung in einer Pflegefamilie oder einer<br />

Arbeitsstelle versorgt wurden, ländlich außerhalb Bremens<br />

untergebracht war. Einen Anhaltspunkt bieten die Fallzahlen<br />

der beiden für den Bereich Landpflege zuständigen Sachbearbeiter.<br />

Sie betreuten bis zu 300 Kinder und Jugendliche in Pflegefamilien,<br />

vereinzelt auch in Heimen sowie in ländlichen Arbeitsstellen<br />

im Auftrag des Jugendamtes und des Landes jugendamtes.<br />

4.3 Jugendhilfe und Heimerziehung in den 1960er und den frühen<br />

1970er Jahren<br />

4.3.1 Allgemeine Rahmenbedingungen<br />

4.3.1.1 Politische, ökonomische und<br />

gesellschaftliche Rahmenbedingungen<br />

Politisch blieb das Land Bremen, bis der Präsident des Senats<br />

Wilhelm Kaisen (SPD) 1965 nach 20-jähriger Regierungsarbeit<br />

von seinem Amt zurück trat, stabil. 289 Der stabilen politischen<br />

Lage in den letzten Jahren der Ära Kaisen entsprach auch eine<br />

relativ stabile ökonomische Situation. Seit 1962 lag die Arbeitslosenquote<br />

immer unter drei Prozent. 290 Die Gewerkschaften<br />

nutzten die Zeit der Vollbeschäftigung für die Durchsetzung<br />

von Lohnerhöhungen und von Arbeitszeitverkürzungen, von<br />

denen mittelfristig auch die Beschäftigten im Sozialbereich profitierten.<br />

Kaisen übergab 1965 das Amt des Senatspräsidenten<br />

an Willy Dehnkamp und nach der Bürgerschaftswahl 1967<br />

wurde Hans Koschnik Präsident des Senats. 291 Er blieb dies 18<br />

Jahre. Seine Stellvertreterin wurde die Senatorin für Wohlfahrt<br />

und Jugend, Annemarie Mevissen.<br />

Nachdem Wilhelm Kaisen in seiner Regierungszeit noch Wert<br />

auf einen ausgeglichenen Haushalt gelegt hatte (mit der Konsequenz,<br />

dass nur relativ wenig in die Modernisierung gesellschaftlicher<br />

Institutionen, auch im Bereich des Sozialwesens,<br />

investiert wurde), reagierte Koschnik nach der ersten wirtschaftlichen<br />

Rezession 1966/67 mit erhöhten staatlichen Investitionen<br />

in Bildung, Wissenschaft, Infrastruktur und Verwaltungsausbau.<br />

Hiervon profitierte auch das Sozial- und Jugendwesen.<br />

Seit 1970 drängten die geburtenstarken Jahrgänge des ersten<br />

Nachkriegsjahrzehnts auf den Arbeitsmarkt und ließen die<br />

Arbeitslosenzahlen wieder ansteigen. Erhöhte Soziallasten,<br />

eine sich erweiternde Schere zwischen Arm und Reich und bislang<br />

nicht bekannte soziale Problemlagen, unter anderem im<br />

Bereich des Drogenkonsums, waren die Folge.<br />

Zu einer großen Herausforderung für die Regierung Koschnik<br />

wurden die vielfältigen Protestbewegungen junger Menschen<br />

und teilweise auch der Gewerkschaften gegen politische und<br />

gesellschaftliche Missstände. Zu ersten öffentlichen Protesten<br />

gegen den Vietnamkrieg, den viele junge Menschen als rücksichtslose<br />

Machtpolitik der USA interpretierten, kam es Mitte<br />

des Jahrzehnts. Es folgten Proteste gegen die von der ersten<br />

Großen Koalition im Dezember 1966 angekündigten Notstandsgesetze<br />

und seit 1968 die vielfältigen Aktionen der sich<br />

etablierenden Studentenbewegung. 292 Am Ende des Jahrzehnts<br />

gerieten praktisch alle gesellschaftlichen Bereiche in das<br />

Kreuzfeuer der auf gesellschaftliche Erneuerung drängenden<br />

Nachkriegsgeneration: die Ungerechtigkeiten im Bildungswe-<br />

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