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Im Jahr 1967 entband man die Kinderärztin mangels Engagements<br />

für ihre Aufgabe und angesichts unhygienischer Verhältnisse<br />

im Heim von ihren Pflichten. Anlässlich eines Heimaufsichtsbesuchs<br />

desselben Jahres stellte die Leiterin des Bremer<br />

Landesjugendamts die mahnende Frage, ob man Kindern im<br />

ersten Lebensjahr überhaupt ein Säuglingsheim zumuten<br />

könne, oder man sie nicht besser zusammen mit ihren Müttern<br />

versorge. 409 Wenn sie schon im Heim untergebracht würden,<br />

dann jedenfalls nicht unter solchen Umständen. Nicht nur das<br />

Besuchsverbot sei inakzeptabel, auch die Mitarbeiterinnen<br />

müssten ihr Arbeitsverständnis umstellen. Sie sollten sich verstärkt<br />

als Bezugspersonen für die Kinder zur Verfügung stellen<br />

und sich mehr mit ihnen beschäftigen. Insgesamt müsse das<br />

pädagogische Moment gegenüber dem pflegerischen gestärkt<br />

werden. Ohne die Weiterbildung der Leiterin und des Personals<br />

durch das Jugendamt und das Gesundheitsamt und ohne Einzelfallbesprechungen<br />

im Team ginge das nicht.<br />

Dass diese massive Kritik Früchte trug, zeigte die erste schriftliche<br />

Besucherordnung aus dem Jahr 1968. Obwohl auch in ihr<br />

die Angst vor eingeschleppten Infektionskrankheiten eine<br />

große Rolle spielte, ermöglichte sie immerhin gesunden Müttern<br />

von nicht kranken Kindern den unbeaufsichtigten persönlichen<br />

Kontakt auf dem Heimgelände. 410 »Eine positive Entwicklung<br />

ist eingeleitet«, hieß es dann auch im Heimaufsichtsbesuch<br />

1970. 411<br />

In den letzten Jahren des Heims explodierten auf Grund einer<br />

1972 abgesenkten Bettenzahl zwar die Kosten, aber weder die<br />

personellen noch die pädagogischen Probleme waren gelöst.<br />

Weil es zu wenig Personal gab, griff man auf alte und nicht<br />

mehr akzeptierte Erziehungsmittel zurück. Bei einem Heimbesuch<br />

1975 durch Jugendamtsmitarbeiter stellten diese erschreckt<br />

fest, dass die Kleinkinder und Säuglinge an ihrem Bettchen festgebunden<br />

waren. Sie mussten sich auch noch anhören, dass<br />

dies zur Vermeidung von Unfallgefahren angesichts von Personalnot<br />

und ungeeigneten Kinderbetten gar nicht anders ginge.<br />

In der Folge wurden moderne Kinderbetten angeschafft und<br />

das Personal aufgestockt. Aber seit 1973 waren die Neueinweisungen<br />

rückläufig. Als 1976 festgestellt wurde, dass es keine<br />

Probleme gibt, Kinder rasch in Pflege- oder Adoptionsstellen zu<br />

vermitteln, war die Schließung des Heims praktisch schon<br />

beschlossen. Eine »gewisse Unterbelegung war bisher nur zu vertreten,<br />

weil die Polizei nachts Säuglinge in Obhut geben konnte«<br />

hieß es 1977 im Jugendamt. 412 Da man für sie jetzt eine Lösung<br />

durch Übergangspflegestellen geschaffen hatte, war die Aufrechterhaltung<br />

des Betriebs nicht mehr begründbar und das<br />

Säuglingsheim wurde im Mai 1977 geschlossen.<br />

Entwicklungen in den weiteren<br />

Bremerhavener Heimen<br />

Als das Mädchenheim Wichernhaus des Diakonischen Werks<br />

in Bremerhaven 1963 sein zehnjähriges Jubiläum feierte, war es<br />

bereits »Zufluchtsort für 925 Mädchen in bedrängter Lage (drohende<br />

Verwahrlosung, vor die Tür gesetzt wegen Schwangerschaft;<br />

Ausreißerinnen und Strafentlassene, die nicht wissen<br />

wohin)« gewesen. 413 Neben den jugendlichen Mädchen lebten<br />

weiterhin auch jüngere Kinder im Heim. Ob die Mischung zwischen<br />

Kindern und den Jugendlichen ratsam sei, war bereits<br />

1960, in diesem Jahr mit der Empfehlung, keine Kinder mehr<br />

aufzunehmen, diskutiert worden. 1964 plädierte man dann<br />

dafür, aus der Not eine Tugend zu machen und das Heim künftig<br />

mit zwei Abteilungen, eine für Kinder und die andere für<br />

Jugendliche, zu führen. 414 Die Trennung in zwei Gruppen war<br />

spätestens 1972 vollzogen. Sie bewährte sich aber nicht, da eine<br />

wirkliche Trennung nach Gruppen in dem über zwei Stockwerke<br />

verteilten Wohnraum faktisch nicht möglich war. Man zog die<br />

Konsequenzen daraus, indem man die Platzzahl auf 16 Plätze<br />

reduzierte und das Heim wieder als eine Gruppe für 14- bis<br />

18-jährige Mädchen führte.<br />

Motor für Reformen wurde ab 1974 die neue Heimleiterin, eine<br />

gelernte Sozialarbeiterin. Ihr gelang es, ein Jahr später eine<br />

zweite Sozialarbeiterin für die pädagogische Arbeit zu gewinnen.<br />

Zur Aufgabe der beiden Pädagoginnen wurde es, mit den<br />

neuen pädagogischen Problemen umzugehen. Dazu gehörte,<br />

dass es immer seltener gelang, den oft lernschwachen Mädchen<br />

eine reguläre Ausbildungsstelle zu verschaffen. Außerdem<br />

vermehrten sich disziplinarische Probleme. 415<br />

Das Lehrlingswohnheim der Arbeiterwohlfahrt in Bremerhaven<br />

behielt seine in den 1950er Jahren geprägte Gestalt bis<br />

1973. In diesem Jahr kam es zur Fertigstellung eines die Villa<br />

ergänzenden Neubaus bei gleichzeitiger Reduzierung der<br />

Gesamtzahl. Zudem begann man damit, neben den Lehrlingen<br />

Schüler aufzunehmen, was die Anstellung von mehr pädagogischem<br />

Personal erforderte. 416 Vor allem aber gab man sich eine<br />

neue, ausdrücklich an den Prinzipien des demokratischen Sozialismus<br />

der Arbeiterwohlfahrt orientierte Konzeption: »Vertiefung<br />

der Demokratie, Humanisierung der Gesellschaft, Verstärkung<br />

der Freiheit und der Bildung des Einzelnen, Verbreitung eines<br />

partnerschaftlichen Verhaltens von Mensch zu Mensch und der<br />

Bereitschaft und Fähigkeit aller, den Schwachen zu helfen.« 417 Für<br />

die konkrete Umsetzung wurden »Richtlinien zur pädagogischen<br />

Praxis des Lehrlingswohnheims« erlassen. Sie enthielten<br />

einige Forderungen, die andere Heime erst einige Jahre später<br />

aufgriffen. Zu diesen zählten – neben allgemeinen Prinzipien<br />

für einen bedürfnisgerechten und empathischen Umgang mit<br />

den Jugendlichen – beispielsweise auch Beschwerderechte und<br />

das Recht auf tarifliche Bezahlung auch innerhalb einer (befristeten)<br />

Beschäftigung im Heim.<br />

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