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3.3.7 Die Beschulung der Kinder<br />

in Heim- und Außenschulen<br />

Heimkinder erreichten im Berichtszeitraum viel seltener als<br />

Gleichaltrige zumindest einen Volksschulabschluss. Viele mussten<br />

die Schule ohne einen Abschluss verlassen und höhere<br />

Abschlüsse waren extrem selten. 114 Hierfür spielte das mangelhafte<br />

Interesse der Jugendhilfe- und der Heimträger an schulischer<br />

Förderung der Kinder und Jugendlichen eine erhebliche<br />

Rolle. Noch bis weit in die 1960er Jahre hinein galt es Behörden<br />

und Heimen als selbstverständlich, Jugendliche nach Beendigung<br />

der Schulpflicht, die in den frühen 1950er Jahren nach<br />

dem 8. und danach nach dem 9. Schuljahr endete, in eine Arbeit<br />

zu vermitteln. Für die Mädchen waren primär haushaltsnahe<br />

Berufe vorgesehen, für die Jungen un- oder angelernte Tätigkeiten<br />

in Landwirtschaft und Industrie oder allenfalls eine einfache<br />

Handwerkerausbildung in damals schon wenig nachgefragten<br />

oder unbeliebten Berufen. Bei der Vermittlung spielten<br />

der akute Bedarf des Arbeitsmarktes und die Kostenerwägungen<br />

der Behörden eine Rolle: Wer früh arbeiten ging, kostete<br />

weniger und konnte sogar zu den Heimkosten herangezogen<br />

werden.<br />

Verweigerter und eingeschränkter<br />

Schulunterricht<br />

Die unzureichende schulische Förderung spielte in den Berichten<br />

der Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner dann auch<br />

eine erhebliche Rolle.<br />

»Was willst du denn mit Schule«<br />

Als 13-Jährige kam die Gesprächspartnerin ins Dorotheenheim.<br />

»Ich hatte keinen sehnlicheren Wunsch, als endlich wieder<br />

zur Schule zu gehen. Meine Pflegeeltern hatten mir immer<br />

gesagt, dass Bildung das Wichtigste im Leben ist. Die Schwester<br />

im Heim hat mir aber gesagt: ›Was willst du denn mit Schule<br />

Ihr geht doch später sowieso alle auf den Strich.‹ Ich wusste<br />

zwar nicht was ›Strich‹ bedeutet, aber ich verstand, dass ich<br />

nicht zur Schule durfte.« (G20, JA Bremerhaven, 1955)<br />

Ein anderer Jugendlicher wurde erst nach Monaten in die Schule<br />

geschickt (G37, Renthe-Fink-Haus 1952); im Birkenhof hatte die<br />

Hausarbeit Vorrang vor dem Schulbesuch. (G34, JA Nienburg,<br />

1975)<br />

Ein anderer Gesprächspartner wurde zwar in seinem im Schwarzwald<br />

gelegenen Heim eines freien Trägers beschult, verließ die<br />

Schule aber als Analphabet:<br />

Analphabetismus als Ergebnis der Heimschule<br />

»Wir hatten in unserem Heim eine Heimschule, aber wir durften<br />

oft gar nicht zur Schule gehen. In den Sommermonaten mussten<br />

wir oft in den großen Gärten des Heims von morgens bis<br />

16 Uhr nachmittags arbeiten. Die Schule fiel dann einfach aus,<br />

oder die Arbeit fing schon nach zweistündigem Unterricht an.<br />

Ich hab unter diesen Umständen weder Lesen noch Schreiben<br />

gelernt. Ein Jahr vor meiner Entlassung wurde das dem Heim<br />

dann peinlich, ich bekam jetzt plötzlich Einzelunterricht. Es war<br />

aber zu spät.« Es dauerte fast zehn Jahre, bis der junge Mann<br />

dieses Handicap soweit im Griff hatte, dass er geregelt arbeiten<br />

konnte. (G43, JA Bremen, 1961 – 1971)<br />

Volksschule genügt<br />

Auch in den nachfolgenden Passagen beschweren sich ehemalige<br />

Heimkinder über verweigerte Bildungschancen, einfach auf Grund<br />

der Tatsache, dass ihr Leben sie in ein Heim der Jugendhilfe<br />

führte.<br />

Für die Heimkinder nur die Volksschule<br />

Die Tochter eines Binnenschiffers schilderte ihren Schulalltag<br />

in Alten Eichen. Die Kinder dort gingen in die öffentliche<br />

Schule am anderen Ende des Grundstücks (Grund- und<br />

Volksschule). Die Geschwister waren gute Schüler und es<br />

gab mit der Schule nie Probleme. »Es war aber auch selbstverständlich,<br />

dass wir wie alle anderen Kinder in Alten Eichen in<br />

der Volksschule bleiben. Höhere Bildungswege waren einfach<br />

nicht vorgesehen. Auch mit der schulischen Betreuung haperte<br />

es. Schularbeiten wurden gemeinsam mit allen anderen im Essraum<br />

gemacht und von den ›Tanten‹ nur grob beaufsichtigt.«<br />

(G49, private Unterbringung, 1959 – 1969)<br />

Hauptschüler brauchen kein Englisch<br />

Nach Herausnahme aus der Familie und einem ›abgebrochenen‹<br />

Pflegeverhältnis hatte man den 11-jährigen Jungen in<br />

das Kinderheim »Storchennest« in Langen verlegt. Er besuchte<br />

hier eine öffentliche Schule. »In der Schule (Hauptschule) war<br />

es ganz gut. Es gab einen netten Lehrer, der zwar Nazi gewesen<br />

war, didaktisch aber ganz gut arbeitete. Weil ich gut mitkam<br />

und mich oft auch unterfordert fühlte, wollte ich, wenn<br />

schon keine höhere Schule, wenigstens Englisch lernen.<br />

Ich hab das der Heimleiterin gesagt, aber die sagte nur ›Was<br />

willst Du als Hauptschüler denn mit Englisch.‹ Die wollten dann<br />

auch, dass ich Bäcker werde und als ich mich dagegen wehrte,<br />

hat man mich zur Ausbildung in den Bergbau geschickt.«<br />

(G42, JA Bremen, 1959 – 1963)<br />

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