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4. Die Praxis der Heimerziehung: Die institutionelle Perspektive<br />

4.1 Jugendhilfe und Heimerziehung in der Nachkriegsperiode<br />

(1945 – 1950)<br />

4.1.1 Allgemeine<br />

Rahmenbedingungen 127<br />

Als am 25. April 1945 englische Soldaten in Bremen einmarschierten,<br />

glich die Stadt einem Trümmerhaufen. Große Teile Bremens<br />

und Bremerhavens waren zerstört. 128 Die Menschen litten unter<br />

Hunger oder Kälte und lebten zusammengepfercht in zerstörten<br />

und viel zu kleinen Wohnungen. Große Teile der zum Überleben<br />

notwendigen Infrastruktur zur Versorgung mit Gas, Wasser<br />

und Elektrizität waren zusammengebrochen. Die Brücken<br />

waren zerstört, sodass vor allem die Bremer Neustadt nur über<br />

Umwege erreichbar war. Auf den Straßen der zerstörten Stadt<br />

und im Bahnhof bewegten sich tausende heimatloser Menschen:<br />

Entlassene Wehrmachtsangehörige auf der Durchreise, Frauen,<br />

die ihre Männer suchten oder Eltern, die nach ihren Kindern<br />

fahndeten. Zusätzlich gab es 1946 bereits 22.000 offiziell registrierte<br />

Flüchtlinge in der Region, die in die Gesellschaft integriert<br />

werden mussten. Besonders Leidtragende waren die Kinder.<br />

129 Fast alle litten unter Mangelversorgung, Unterernährungserscheinungen<br />

und Bekleidungsmangel. Solche Nöte bildeten<br />

dann vielfach den Hintergrund für Heimeinweisungen.<br />

Das Land Bremen gab es nicht mehr. An seine Stelle trat, bis es im<br />

Februar 1947 neu gegründet wurde, inmitten der britischen<br />

Besatzungszone auf amerikanischen Wunsch, die »Enklave Bremen«<br />

unter politischer Kontrolle der amerikanischen Besatzungsmacht.<br />

Sie umfasste die Stadt Bremen mit ihrem Landgebiet,<br />

die Hafenanlagen und die angrenzenden Stadtteile in der<br />

Wesermündung, die Landkreise Wesermarsch und Osterholz<br />

sowie die Stadt und den Landkreis Wesermünde.<br />

Auch Senat und Bürgerschaft hatten ihre Selbständigkeit verloren.<br />

Regiert wurde Bremen von einer provisorischen, von den<br />

Besatzungsmächten eingesetzten und von deren Beschlüssen<br />

abhängigen Regierung. Als regierender Bürgermeister trug Wilhelm<br />

Kaisen die alleinige Verantwortung gegenüber der Militärregierung.<br />

In seinen Beschlüssen waren er und die ihm zugeordneten<br />

Senatoren aus der früheren SPD, der KPD und der<br />

Bremer Demokratischen Volkspartei (später FDP) von deren<br />

Zustimmung abhängig. Parteien waren zunächst noch verboten,<br />

sodass eine erste Bürgerschaft erst nach Aufhebung des Verbots<br />

im September 1945 gebildet werden konnte. Auch deren Mitglieder<br />

bestimmte zunächst die Militärregierung. Eine erste allgemeine<br />

Wahl fand im Oktober 1946 statt. Zur wichtigsten<br />

Kraft wurde die SPD.<br />

Auch ökonomisch lag Bremen am Boden. Mit seinen rüstungsorientierten<br />

Betrieben im Bereich des Schiff-, Fahrzeug- und<br />

Flugzeugsbaus war die Stadt in besonderem Maße von Demontagen<br />

im Rahmen von Reparationszahlungen an die Siegermächte<br />

betroffen. Auch die Produktion von Gebrauchsgütern<br />

lief nur schleppend an, und es fehlte kriegsbedingt an Fachkräften.<br />

Viele Arbeiten, insbesondere die Trümmerbeseitigung, erledigten<br />

Frauen oder hierzu zwangsverpflichtete Jugendliche und<br />

junge Männer. Zu einem allmählichen wirtschaftlichen Aufschwung,<br />

der auch die Bevölkerung erreichte, kam es erst nach<br />

der Währungsreform 1948.<br />

4.1.2 Wiederaufbau des Wohlfahrtsund<br />

Jugendwesens<br />

Auch die Wohlfahrtsbehörden standen vor einem Scherbenhaufen.<br />

130 Ämter und Behörden selbst waren in einem denkbar<br />

schlechten Zustand. Die im nationalsozialistischen Bremen<br />

geschaffenen Strukturen für die Wohlfahrtspflege und das<br />

Jugendwesen mussten so rasch und so gut wie eben möglich<br />

rückgängig gemacht werden. Das installierte Führerprinzip in<br />

den Behörden, die Unterwanderung der Jugendhilfe durch die<br />

Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV), die gleichzeitige<br />

Marginalisierung oder Ausschaltung der früheren Wohlfahrtsverbände<br />

und die Ausgliederung einzelner Jugendamtsaufgaben<br />

an den Gau Weser Ems der NSDAP mussten aufgehoben<br />

und an die noch ungefestigten demokratischen Prinzipien und<br />

Regeln der englischen, und wenig später amerikanischen Besatzungsmacht,<br />

angepasst werden. Der Personalbestand im Wohlfahrtswesen<br />

war auf Grund politischer und anderer Entlassungen<br />

sowie wegen Kriegsgefangenschaft und Abordnungen zu<br />

anderen Dienststellen gegenüber der Vorkriegszeit erheblich<br />

reduziert. 131 Die politischen Entlassungen betrafen vor allem die<br />

Spitzenkräfte der Verwaltung, sodass insbesondere ein Mangel<br />

an Leitungskräften herrschte.<br />

Erste Entscheidungen galten der Schaffung einer neuen Behördenstruktur.<br />

Der erste provisorische, von den Militärbehörden<br />

bestimmte und kontrollierte Senat entschied sich in der Stadt<br />

Bremen zunächst für die Errichtung einer zentralen Wohlfahrtsbehörde.<br />

Erster Senator wurde Wilhelm Kaisen, dem schon im<br />

Dezember 1945, als er zum Präsidenten des Senats und Bremer<br />

Bürgermeister ernannt wurde, der aus der sozialistischen Arbeiterbewegung<br />

kommende Adolf Ehlers nachfolgte. 132 Als Ehlers<br />

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