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Eine in einer Behinderteneinrichtung groß gewordene Gesprächspartnerin<br />

berichtete zudem über häufiges »Betatschen« der<br />

Jugendlichen im Heim, ohne dass ihr die Erzieher bei der<br />

Abwehr geholfen hätten (G7, JA Bremerhaven, Mitte der 70er<br />

Jahre). Auch ein anderer in einer Behinderteneinrichtung untergebrachter<br />

Gesprächspartner erzählte nicht nur von nächtlichen<br />

Quälereien durch Andere, sondern auch von »Dingen, die<br />

man lieber nicht erzählt« (G35, JA Bremen, 1961 – 62). Ein weiterer<br />

Jugendlicher war nicht selbst das Opfer, wurde aber – im<br />

Haus Neuland in den frühen 1960er Jahren – Zeuge der Vergewaltigung<br />

eines Jungen durch einen anderen. »Von Schwulen<br />

hab ich mich seitdem immer ferngehalten« (G 11, JA Bremen,<br />

1963 – 65).<br />

Einen sexuellen Missbrauch gab es zudem in einer Bremer Pflegefamilie<br />

durch den Pflegevater. Der damals 13-jährige Junge<br />

offenbarte sich seinem Vormund, der dann rasch für eine<br />

andere Unterbringung sorgte (G 36, JA Bremen, 1959). Ein weiterer<br />

Vorfall betrifft einen im Ellener Hof untergebrachten<br />

Jugendlichen. Er wurde an Besuchswochenenden bei seinem<br />

Vater von diesem missbraucht. (G 37, JA Buxtehude, um 1960).<br />

Über den offensichtlichen sexuellen Missbrauch hinaus gab es,<br />

wie einige Gesprächspartnerinnen und -Partner berichteten,<br />

auch den Argwohn der Kinder weckende und sie beängstigende<br />

›seltsame‹ Verhaltensweisen von Erwachsenen im Heim:<br />

Ein Heimleiter, der kränkelnde Mädchen nur leicht bekleidet in<br />

seinen Privaträumen unter seine Infrarot-Lampe legte und sie<br />

dabei beaufsichtigte und immer genau dann durch den Baderaum<br />

der Mädchen lief, wenn sie gebadet wurden »um irgendetwas<br />

im Nebenraum zu regulieren« (G5, Alten Eichen, Mitte der<br />

50er Jahre) oder ein 17-jähriger Praktikant, der das wöchentliche<br />

Baden der Jungen beaufsichtigte und die Kinder dann »immer<br />

besonders gründlich gewaschen« hat (G9, St. Petri, frühe 50er<br />

Jahre).<br />

3.3.12 Wege in die Selbständigkeit<br />

nach der Heimentlassung<br />

Die rechtlichen Verfahrenswege, die zu einem Ende der Heimunterbringung<br />

im Rahmen der Fürsorgeerziehung oder FEH<br />

führten, wurden in Kapitel 2.2.1 beschrieben. Grundsätzlich<br />

wurde die öffentliche Erziehung immer dann beendet, wenn<br />

die Voraussetzungen für eine angeordnete Maßnahme (FE oder<br />

FEH) entfielen, die Eltern ihr Kind wieder zu sich nahmen, die<br />

Volljährigkeit erreicht wurde oder wenn eine Behörde oder ein<br />

Heim zur Feststellung kam, dass das Erziehungsziel erreicht ist.<br />

Aber wann fielen die Voraussetzungen weg, wann war ein<br />

Erziehungsziel erreicht, vor allem nach welchen Kriterien wurde<br />

entschieden Den jungen Menschen jedenfalls erschloss es sich<br />

zumeist nicht, und oft interessierte es sie auch nicht. Manchmal<br />

wussten sie noch nicht einmal, dass sie sich noch in öffentlicher<br />

Erziehung befanden. Sie erfuhren dies erst, wenn etwas Ungeplantes,<br />

zum Beispiel eine Heirat, zu regeln war, oder wenn<br />

ihnen ein neuer Arbeitgeber mitteilte, dass noch die Einwilligung<br />

des Vormunds notwendig wäre.<br />

Entscheidungen über Entlassungstermine und -umstände von<br />

Amtswegen waren aber ohnehin nur ein Sonderfall. In der FEH<br />

spielte der Wille der Eltern eine wichtigere Rolle und diesem<br />

konnten die Jugendlichen auch etwas nachhelfen. Einige der<br />

Gesprächspersonen fanden außerhalb der Heime und Familie<br />

einen Fürsprecher, der sich erfolgreich für eine vorzeitige Entlassung<br />

aussprach. Andere kümmerte der offizielle Entlassungstermin<br />

ohnehin nicht. Sie entzogen sich dem Heim durch Flucht<br />

und Untertauchen. Am häufigsten aber war es so, dass einfach<br />

die Umstände darüber entschieden, ob man entlassen werden<br />

konnte oder nicht. »Erst wenn die Oma eine eigene Wohnung<br />

hat…«; »wenn er Dich heiratet, meinetwegen…«, »wenn Du<br />

Dich bei Deinem Arbeitgeber bewährst, könnte man daran denken…«<br />

Vereinzelt wollten Jugendliche gar nicht entlassen<br />

werden, weil sie sich ein selbständiges Leben gar nicht vorstellen<br />

konnten. Sie mussten aber gehen, weil sie keiner mehr aufnehmen<br />

wollte oder das Jugendamt die Verlängerung einer<br />

Maßnahme verweigerte.<br />

Das Erleben der unmittelbaren<br />

Entlassungssituation<br />

Die Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner schilderten<br />

das unmittelbare Erleben ihrer Entlassungssituation entsprechend<br />

sehr unterschiedlich:<br />

Der Lehrer setzte sich ein<br />

»Obwohl ich in Freistatt extrem unbeliebt war, wurde angeordnet,<br />

dass ich als jetzt 19-Jähriger entlassen werde. Mein früherer<br />

Lehrer hatte sich nämlich beim Jugendamt dafür eingesetzt<br />

und denen einen Takt erzählt. Die in Freistatt fanden das gar<br />

nicht gut. Kurz vor meiner Entlassung wurde ich wegen ›Frechheit‹<br />

noch einmal so zusammengeschlagen, dass mein Gesicht<br />

entstellt war. Das hat die Entlassung dann verzögert, die wollten<br />

nicht, dass man mich so sieht. Entlassen wurde ich dann<br />

mit meinem Persilkarton und einem Ratschlag, wie ich nach<br />

Hause komme.« (G27, JA Bremen, 1964)<br />

Druck auf die Eltern ausgeübt<br />

»Damit sie mich endlich aus dem Heim holen, hab ich meine<br />

Eltern massiv unter Druck gesetzt: ›Entweder ihr holt mich hier<br />

raus oder ich haue ab.‹ Die Entlassung erfolgte dann unspektakulär.<br />

Ich bekam meine Anziehsachen zurück und gut war‘s.«<br />

(G14, JA Bremerhaven, 1970)<br />

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