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»Die Arbeit war für mich ein Trauma. Sie bestand aus<br />
wickeln, töpfen, waschen, baden, fertig machen zum Ausgang<br />
und an die Luft schieben. Wir hatten nie Zeit. Die Kinder<br />
wurden deshalb immer gleichzeitig getöpft und zum<br />
Füttern wurden manchmal Hilfsmittel benutzt, zum Beispiel<br />
das Fläschchen so auf einem Kissen ablegen, dass das Kind<br />
allein trinken konnte. Verschiedene Kinder waren eindeutig<br />
hospitalisiert, in der Säuglingsgruppe waren außerdem viele<br />
›Contergan-Kinder‹, was die Pflege natürlich erschwerte.<br />
Schwierig war es auch, gleich mit 25 Kindern spazieren zu<br />
gehen. Bis man die alle angezogen hatte!« 401<br />
Am besten gelang die Anpassung an die neuen Bedingungen –<br />
eher Kleinkinder als Säuglinge und eher längere als kürzere Aufenthalte<br />
– dem Hermann Hildebrand Haus. Mit einer Umbenennung<br />
in Kinderheim Hermann Hildebrand, signalisierte es<br />
bereits 1961 nach außen, dass man nunmehr auch ältere Kinder<br />
betreuen werde. Details zum Heim in den 1960er Jahren konnten<br />
nicht in Erfahrung gebracht werden.<br />
Das Ende der Säuglingsheime wurde zu Beginn der 1970er Jahre<br />
eingeläutet. 402 Die vorläufigen Bremer Richtlinien für den Bau und<br />
den Betrieb von Einrichtungen verboten den Bau neuer Heime,<br />
die nur Säuglinge und Kleinkinder aufnehmen konnten. 403<br />
Das Mutter- und Kindheim in der Kirchbachstraße wurde<br />
1973 geschlossen und mit ihm die Geschäftsstelle des Vereins.<br />
Das einzig verbliebene Heim, das Kinderheim Hermann Hildebrand,<br />
reduzierte zeitgleich seine Platzzahl. 1975 lebten hier<br />
nur noch zehn Kinder im Alter zwischen null und zwei Jahren<br />
und 18 Kinder im Alter zwischen zwei und sechs Jahren.<br />
Seit 1959 wurden dem St. Theresienhaus keine Schülerinnen<br />
zur Vollendung ihrer Ausbildung als Kinderkrankenschwestern<br />
mehr zugewiesen. Daher war man fortan auf freiwillige Vorschülerinnen<br />
angewiesen, was sich bald als empfindliche Personallücke<br />
bemerkbar machte. Sie wurde durch eine Platzreduzierung<br />
und eine Schwerpunktsetzung im Bereich der Vermittlung<br />
von Kindern in Pflegefamilien und Pflegenester beantwortet.<br />
1964 musste auch die Entbindungsstation geschlossen werden.<br />
Um seine Attraktivität zu erhöhen, gestaltete das Heim 1968<br />
seine Mütterstation völlig neu. Die Mütter wohnten nun räumlich<br />
und personell vom übrigen Heimbetrieb getrennt in Einzelund<br />
Zweibettzimmern und ihnen wurde eine höhere Autonomie<br />
zugestanden.<br />
Zwischen Mitte der 1960er bis Anfang der 1970er Jahre erfolgten<br />
weitere kleinere Umbauten und Verschönerungen. Es wurde<br />
ein heimeigener Kindergarten gegründet (1974 wieder geschlossen)<br />
und insbesondere auch die Schulkinder fanden mehr Aufmerksamkeit<br />
und bessere Wohnbedingungen. Konzeptionell<br />
setzte man darauf, den Kindern eine familienähnliche Atmosphäre<br />
zu bieten und Geschwister auf keinen Fall zu trennen.<br />
Die großzügigere räumliche Aufteilung und die Gruppenverkleinerungen<br />
waren zwangsläufig mit weniger Plätzen und<br />
erhöhtem Personalbedarf verbunden. 1972 lebten nur noch 60<br />
Kinder im Heim, betreut von insgesamt 45 Personen. Überhaupt<br />
öffnete sich das St. Theresienhaus seit den beginnenden<br />
1970er Jahren zunehmend nach außen. Es gab vermehrt Ferienreisen,<br />
Ausflüge, mehr Selbständigkeit für die Schulkinder<br />
und auch die Elternarbeit spielte eine zunehmend größere<br />
Rolle. 404<br />
Das im Juni 1959 gegründete Mutter- und Kindheim der<br />
Arbeiterwohlfahrt erfreute sich von Anfang an eines regen<br />
Zulaufs, sodass bereits zu Beginn des neuen Jahrzehnts an<br />
einen Erweiterungsbau gedacht werden konnte. 405 Öffentliche<br />
Mittel wurden zugesagt, sofern man die bisherige Heimkrippe<br />
in einem Modellversuch als erste öffentliche Krippe betreiben<br />
werde. Im Ergebnis entstanden bis Februar 1963 dann neben<br />
der Krippe weitere Einraumwohnungen für Mutter und Kind<br />
sowie weitere Mädchenzimmer. In die Erweiterung des Mädchenwohnheims<br />
flossen vor allem Mittel aus dem Bundesjugendplan,<br />
weshalb es im Status eines Lehrlings- und Jungarbeiterinnenwohnheims<br />
geführt werden musste. 406<br />
In späteren Berichten zum Heim geht es nur noch um die<br />
öffentliche Krippe mit einer eigenen Leitung. An Skandalen um<br />
diese scheiterte schließlich nicht nur die Krippe in ihrer bisherigen<br />
Form, sondern das ganze Heim. Eltern hatten sich erstmals<br />
1972 über »mittelalterliche Erziehungspraktiken« beim Landesjugendamt<br />
und Jugendamt beschwert und 1983 sah sich das<br />
Heim unter großer öffentlicher Aufmerksamkeit erneut mit<br />
ähnlichen, jetzt auch von Erzieherinnen vorgebrachten, Vorwürfen<br />
konfrontiert. 407<br />
Das größte Problem blieb für das Säuglingsheim Speckenbüttel<br />
in Bremerhaven auch noch in den 1960er Jahren die Personalfrage.<br />
Als das 1962 in Kraft getretene Jugendwohlfahrtsgesetz<br />
das Heim unter die Aufsicht des Landesjugendamtes<br />
stellte, wurden zudem auch häufiger pädagogische Bedenken<br />
gegen das Heim laut. So entdeckte die Heimaufsicht 1962 konkrete<br />
Anzeichen von Hospitalismus bei einigen älteren Kleinkindern<br />
und 1964 gerieten die Besuchsregelungen des Heims<br />
in die Kritik:<br />
»Die Säuglinge sind im ersten haben Jahr ggf. darüber hinaus<br />
in einem Raum untergebracht. Hier dürfen sie von den<br />
Eltern nicht direkt besucht werden; sie werden den Eltern<br />
nur am Fenster gezeigt. Auch in den anderen Gruppen ist<br />
man mit Elternbesuchen sehr zurückhaltend, da die Ärztin<br />
wegen etwaiger Infektionskrankheiten Bedenken hat. Die<br />
Gefahr des Hospitalismus kann nicht übersehen werden.« 408<br />
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