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2. Die allgemeinen Rahmenbedingungen<br />

Die Auseinandersetzung mit Entwicklungen und Praktiken der<br />

Heimerziehung im Land Bremen in den ersten drei Nachkriegsjahrzehnten<br />

steht im Mittelpunkt der Dokumentation. Es geht um<br />

die Haltung der Behörden und Ämter im Bereich der Jugendfürsorge,<br />

um die Strukturen und das Aufgabenverständnis der bremischen<br />

Heime, um den institutionellen und konzeptionellen<br />

Wandel der Jugendhilfe, um Veränderungen im Bereich der Heimerziehung<br />

und insbesondere darum, wie die ehemaligen Adressaten<br />

von Jugendhilfe und Heimerziehung die öffentliche Erziehung<br />

erlebten.<br />

Die Erfahrungen der Kinder und der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter<br />

in der Heimerziehung von der direkten Nachkriegszeit<br />

bis in die 1970er Jahre hinein werden jedoch nur vor dem Hintergrund<br />

der gesellschaftlichen Gesamtsituation und den damit<br />

verbundenen pädagogischen Konzepten von Erziehung verständlich.<br />

Sie in diesen Zusammenhang zu stellen, dient dabei<br />

nicht der Relativierung der oft traumatischen Erfahrungen der<br />

Heimkinder jener Jahrzehnte. Das Leiden von Kindern und<br />

Jugendlichen ist universell, unabhängig von den jeweils rationalisierenden<br />

Handlungsbegründungen Erwachsener und von<br />

vorherrschenden Normen. Vielmehr dient die historische Einbettung<br />

dazu, den engen Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen<br />

Bedingungen und pädagogischen Vorstellungen<br />

einer Zeit und das besondere Spannungsfeld zwischen gesellschaftlicher<br />

Normerwartung und individuellen Entwicklungsansprüchen<br />

aufzuzeigen. In einem Wörterbuch zur Sozialen<br />

Arbeit heißt es dazu:<br />

»Das pädagogische Handlungsfeld wird bestimmt durch das<br />

Erziehungssubjekt, die Erziehungsziele, -normen und -erwartungen<br />

sowie durch den Erzieher. Dabei findet Erziehung als<br />

pädagogischer Prozeß in einer bestimmten historisch-gesellschaftlichen<br />

Situation, in einem bestimmten sozialen Feld<br />

und jeweils konkreten Bedingungen statt, die sich – beabsichtigt<br />

oder unbeabsichtigt – auf Erziehungsanspruch und<br />

-wirklichkeit auswirken. So wird gesellschaftlich immer<br />

wieder diskutiert werden müssen, wie Erziehung zu verwirklichen<br />

ist und welche Möglichkeiten z.B. Kinder durch Erziehung<br />

haben sollen.« 20<br />

Das folgende Kapitel geht auf solche Zusammenhänge ein.<br />

Im ersten Abschnitt 2.1 wird betrachtet, welche historischen<br />

Traditionen in der Heimerziehung den verantwortlichen Akteuren<br />

in der Nachkriegsperiode zur Verfügung standen.<br />

Der Abschnitt 2.2 stellt die Entwicklungen in Jugendhilfe und<br />

Heimpolitik in den Kontext der politischen und gesellschaftlichen<br />

Bedingungen der Nachkriegsgesellschaft bis in die 1970er<br />

Jahre hinein.<br />

Der Abschnitt 2.3 befasst sich mit den bundes- und landesrechtlichen<br />

Vorgaben für die Heimerziehung.<br />

Eine Auseinandersetzung mit den pädagogischen Leitgedanken<br />

in den Nachkriegsjahrzehnten ist Gegenstand des Abschnitts 2.4.<br />

2.1 Entwicklungen der Heimerziehung im historischen<br />

Zusammenhang<br />

2.1.1 Die Heimerziehung vor 1945:<br />

Grundlegende Strukturen und<br />

Konzepte<br />

Die Notwendigkeit der Versorgung von familienlosen, von ihren<br />

Eltern oder Müttern verlassenen oder schlecht versorgten Kindern<br />

und Jugendlichen ist kein Phänomen der Nachkriegszeit.<br />

Wie die Versorgung umgesetzt wurde, wer die Verantwortung<br />

für solche Kinder übernahm und was an die Stelle der elterlichen<br />

Versorgung trat, wurde in verschiedenen Epochen –<br />

immer in Auseinandersetzung mit den Lösungen der Vergangenheit<br />

– neu entschieden.<br />

Von besonderer Bedeutung für die Entwicklungen im Nachkriegsdeutschland<br />

wurden die Lösungen, die man zuerst im<br />

Deutschen Kaiserreich (1871 – 1918), dann in der Weimarer Republik<br />

(1919 – 1933) und schließlich im Nationalsozialismus suchte.<br />

Der Unterschied zu früheren Epochen bestand darin, dass der<br />

Gesetzgeber im ausgehenden 19. Jahrhundert begann, die<br />

alten Fragen in für das ganze Deutsche Reich verbindliche<br />

gesetzliche Regelungen zu gießen. Zudem suchte man zunehmend<br />

nach wissenschaftlichen (oder pseudowissenschaftlichen)<br />

Begründungen für bislang unentschiedene Fragen und<br />

betrachtete die Maßnahmen und Praktiken in ihrer Gesamtheit<br />

als am Wohl der Kinder und Jugendlichen orientiert. »Zentralisierung,<br />

Verrechtlichung, Rationalisierung und Pädagogisierung«<br />

wurden zum Programm der Kinder- und Jugendfürsorge. 21 In<br />

allen drei Zeiträumen wurden diese Themen neu diskutiert und<br />

interpretiert. An welchen Interpretationen sich die Jugendfürsorge<br />

orientieren solle und tatsächlich orientierte, entwickelte<br />

sich zur wichtigsten Frage der Nachkriegszeit.<br />

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