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Auch die wichtigsten zeitlichen Zäsuren in den Nachkriegsjahrzehnten<br />
wurden im 2. Kapitel nachgezeichnet. Das Nachkriegselend<br />
prägte die Jugendhilfe und Heimerziehung in der Zeit bis<br />
zur Gründung der Bundesrepublik. Zentrale Notstände bildeten<br />
die Heimatlosigkeit vieler Kinder und Jugendlicher, die Wohnungsnot<br />
und verelendete Familien. Die staatliche, kommunale<br />
und verbandliche Jugendhilfe war selbst vom Krieg ausgezehrt<br />
und zur Mangelverwaltung gezwungen. Sie begegnete der Not<br />
der Kinder mit schlichten Versorgungsmodellen in überfüllten,<br />
schlecht ausgestatteten Heimen. Der Not der Jugendlichen trat<br />
sie – unter Rückgriff auf die tradierte repressive Gestalt der<br />
Fürsorgeerziehung – mit neu entflammten Forderungen nach<br />
Wegsperren und Unsichtbarmachen, zwangsweiser Integration<br />
in den Arbeitsmarkt und dem Kampf gegen Unzucht und Sittenverfall<br />
entgegen.<br />
Nach der Währungsreform, der Gründung der Bundesrepublik<br />
und dem sich allmählich anbahnenden ›Wirtschaftswunder‹<br />
änderte sich das Bild zwar nicht grundlegend, aber neue<br />
Schwerpunkte entwickelten sich. Da die Wirtschaft junge<br />
Arbeitskräfte benötigte, entstanden Lehrlingswohnheime, die<br />
einen Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage schaffen<br />
sollten. In der Familienpolitik besann man sich auf die Familie<br />
»als Keimzelle der Gesellschaft«. Die Kinderheime folgten dieser<br />
Idee offiziell durch die Orientierung an familiären Leitbildern,<br />
hatten diese aber teilweise mit 20 Kindern in einer Gruppe und<br />
manchmal in einem Schlafsaal mit einer einzigen Erzieherin zu<br />
realisieren. Die Fürsorgezöglinge blieben eingesperrt und arbeiteten<br />
vor allem für den Unterhalt und den Betrieb der Heime.<br />
Das Mitte der 1950er Jahre einsetzende ›Wirtschaftswunder‹<br />
brachte schrittweise auch Heimkindern eine verbesserte Versorgungssituation<br />
und den Heimen die Chance zum Aufräumen<br />
und Renovieren. Dennoch boten die Kinderheime und Waisenhäuser<br />
den jetzt in die Heime geschwemmten Kindern berufstätiger<br />
Mütter (Schlüsselkinder) und den Kindern, deren Eltern<br />
den Anschluss an das ›Wunder‹ nicht finden konnten, weiterhin<br />
ein karges Leben unter disziplinierender Kontrolle. Für viele<br />
Kinder wurden Kinderheime zu Wartestationen bis zur Verlegung<br />
in eine für die Jugendhilfe kostengünstigere, oft unqualifizierte<br />
Pflegefamilie. Im Fürsorgestrang begann man damit,<br />
den Mädchen eine Vorbereitung auf den Beruf beispielsweise<br />
als Wäscherin oder Dienstmädchen und den Jungen eine Ausbildung<br />
als Schuster, Landwirtschaftsgehilfe oder im eigenen<br />
Gartenbetrieb als Gärtner anzubieten. Die mit dem eigenen<br />
Fortkommen beschäftigte Bevölkerung kümmerte dies alles<br />
wenig und auch die Politik sah keinen Handlungsbedarf. Bis zu<br />
dem primär von der Studentenbewegung 1968 ausgelösten<br />
politischen Ruck durch die Gesellschaft änderte sich für Kinder<br />
und Jugendliche in Heimen nicht viel. Zwar wurden bereits<br />
modernere Ideen entwickelt (wissenschaftliche Differenzierungsversuche,<br />
Erziehungsberatung, die ›Elternarbeit‹, die Heimbeschulung,<br />
die Umbenennung von Arbeitsausbeutung in<br />
Arbeitstherapie), doch der das ganze Jahrzehnt prägende Personalmangel<br />
machte alle systematischen Konzeptentwicklungen<br />
zunichte. Der vielfach dokumentierte Personalmangel ging<br />
wiederum auf die schlechte Bezahlung und die miserablen<br />
Arbeitsbedingungen für Erzieherinnen und Erzieher in den Kinder-<br />
und Jugendheimen zurück. Neben dem generellen Mangel<br />
bestanden zudem erhebliche Qualifizierungsdefizite im Personalbereich.<br />
Am Ende der Adenauer-Ära und dem Beginn einer neuen Epoche<br />
in der gesellschaftlichen Entwicklung der Bundesrepublik<br />
Deutschland standen die ersten zaghaften Versuche einer<br />
Reform der Heimerziehung. Sie blieben aber zunächst noch<br />
durch beharrende Tendenzen auch in den Institutionen selbst<br />
gelähmt. Erst Revolten der Heimzöglinge und eine neue Generation<br />
von Erzieherinnen und Erziehern sowie Sozialpädagoginnen<br />
und Sozialpädagogen im Bündnis mit reformorientierten<br />
Kräften der öffentlichen und freien Jugendhilfe und des liberalen<br />
Bürgertums brachen diese Strukturen auf. Heime, die sich<br />
Reformen verweigerten, wurden aus dem Markt der Jugendhilfe<br />
gedrängt. Die anderen veränderten ihre Gestalt, die Organisationsformen<br />
für Erziehung und insbesondere ihre Haltung<br />
gegenüber den Kindern und Jugendlichen.<br />
5.2.2 Die institutionellen Entwicklungen<br />
im Land Bremen nach 1945<br />
Institutionelle Entwicklungen in Behörden<br />
und Ämtern<br />
Die allgemeinen bundesweiten Entwicklungen in Jugendhilfepolitik<br />
und Heimerziehung galten in den Grundzügen auch für<br />
das Land Bremen. Es gab aber den historischen Traditionen Bremens<br />
geschuldete Besonderheiten.<br />
Das Jugendwesen wurde in den ersten Nachkriegsjahren als<br />
Teil der Wohlfahrtsarbeit verstanden. Die Abteilung für das<br />
Jugendwesen war Teil des Gesamtressorts, dem auch das Landesjugendamt<br />
unterstellt war. Wie andere Politikbereiche auch,<br />
war es in seiner Politik und den ergriffenen Maßnahmen<br />
zunächst stark von Direktiven der amerikanischen Besatzungsmacht<br />
abhängig. Ein eigenständiges Jugendressort mit Zuständigkeit<br />
für das Landesjugendamt und das Jugendamt und mit<br />
einer eigenen Deputation wurde endgültig erst 1955 geschaffen.<br />
Seit 1959 war der Jugendhilfebereich wiederum Teil eines<br />
das gesamte Sozial- und Jugendwesen umfassenden Ressorts.<br />
In den ersten Nachkriegsjahren befasste man sich im Bereich<br />
der Jugendhilfe des Wohlfahrtsressorts mit dem Wiederaufbau<br />
der durch Krieg und Entnazifizierung personell stark dezimierten<br />
Behörde und des Jugendamtes. Inhaltliche Schwerpunkte<br />
stellten die Notversorgung wandernder Jugendlicher, der Kampf<br />
gegen die sexuelle Verwahrlosung von Mädchen und der Kampf<br />
gegen asoziale Elemente unter männlichen Jugendlichen dar.<br />
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