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3. Die Praxis der Heimerziehung: Erfahrungen ehemaliger<br />

Heimkinder<br />

Nachdem im Kapitel 2 die allgemeinen Rahmenbedingungen<br />

für die Heimerziehung beschrieben wurden, kommen in diesem<br />

Kapitel die im Rahmen des Projekts kontaktierten ehemaligen<br />

Heimkinder zu Wort. Nach einer zusammenfassenden Auswertung<br />

aller Gespräche (Kapitel 3.1) wird auf Konstellationen und<br />

Gründe, die zur ersten Heimeinweisung führten, eingegangen<br />

(Kapitel 3.2). Der Hauptteil des Kapitels (Kapitel 3.3) trägt die<br />

Erfahrungen und Erlebnisse der Gesprächspartnerinnen und<br />

Gesprächspartner zu diversen Aspekten der damaligen Heimerziehung<br />

zusammen. In Kapitel 3.4 werden die verschiedenen<br />

Erfahrungen synthetisiert und zu typischen Erfahrungsmustern<br />

verdichtet. Den Abschluss dieses Kapitels bilden vier individuelle<br />

Lebensläufe, die aus den Gesprächsprotokollen erarbeitet<br />

wurden. 102<br />

3.1 Überblick zu den Meldungen und die Gespräche mit Ehemaligen<br />

Die Gespräche (Anzahl, Art des Kontaktes)<br />

Von Juni 2009 bis Februar 2010 schaltete der »Arbeitskreis zur<br />

Aufarbeitung der Heimerziehung im Land Bremen« eine telefonische<br />

Hotline. Sie wurde von zwei Mitarbeiterinnen des Amtes<br />

für Soziale Dienste (AfSD) in Bremen betreut. Nach Berichten<br />

und Aufrufen in der stadtbremischen Presse und in der Bremerhavener<br />

Nordseezeitung meldeten sich 63 Personen. 103 Weitere<br />

sieben Personen wurden über einen Direktkontakt mit ihrem<br />

früheren Heim oder durch eine persönliche Ansprache auf Veranstaltungen<br />

erreicht. 104<br />

Im Rahmen des ersten Anrufs bei der Hotline nannten die Anrufenden<br />

zumeist ihr Anliegen und skizzierten ihre Erfahrungen<br />

in der Heimerziehung. Stimmten die Anrufenden zu, wurden<br />

ihr Geschlecht, der Geburtsjahrgang, die Heimstationen und<br />

die Anliegen notiert und die Gesprächsinhalte stichwortartig<br />

protokolliert. Äußerten die Ehemaligen zudem beim Erstkontakt<br />

den Wunsch oder die Bereitschaft zu einem weiteren<br />

Gespräch und gaben ihre Kontaktdaten an, wurden die Aufnahmeprotokolle<br />

einem Mitglied des Arbeitskreises oder der Heimleitung<br />

eines bestimmten Heims für die Kontaktaufnahme<br />

übergeben. Die schriftliche oder telefonische Kontaktaufnahme<br />

gelang in den meisten, aber nicht in allen Fällen. Insgesamt<br />

konnten im Zeitraum von Mai 2009 bis April 2010 schließlich 53<br />

längere persönliche Gespräche, zumeist in der Wohnung der<br />

Gesprächspartner, gelegentlich auch in einem Heim oder an<br />

einem neutralen Treffpunkt, geführt werden. 105 Auf diesen<br />

Gesprächen basieren die inhaltlichen Aussagen und stammen<br />

die Zitate der folgenden Abschnitte (Kapitel 3.2 bis 3.4). Da die<br />

Gespräche in Form narrativer Interviews geführt wurden, bei<br />

denen das Erzählbedürfnis der Interviewten eine zentrale Rolle<br />

spielt, variierte die Dauer zwischen 60 Minuten und über zwei<br />

Stunden. 106<br />

Die Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner erzählten –<br />

fast immer mit großer Betroffenheit – ihre ganze Lebensgeschichte,<br />

die Geschichte ihrer Heimeinweisung, ihre Erfahrungen<br />

in den Heimen, in Pflegefamilien und in ländlichen Arbeitsstellen<br />

und das, was ihnen nach der Entlassung aus der öffentlichen<br />

Erziehung bis in die Gegenwart hinein widerfuhr. Was im Einzelnen<br />

berichtet wurde, hing von den besonderen Umständen<br />

der Familiengeschichte, den Gründen für ihre Heimeinweisung,<br />

der Art und Anzahl der Einrichtungen, in die sie eingewiesen<br />

wurden, von der Gesamtdauer ihrer »Jugendhilfekarriere« und<br />

von ihren Möglichkeiten, nach der Entlassung aus der öffentlichen<br />

Erziehung Fuß zu fassen, ab.<br />

Zuständiges Jugendamt<br />

Die Hotline wurde für zwei Personenkreise ehemaliger Heimkinder<br />

eingerichtet. Zum einen für Menschen, die zwischen<br />

1945 und 1975 durch die Jugendämter Bremen und Bremerhaven<br />

oder das Landesjugendamt Bremen in Heime oder Pflegefamilien<br />

eingewiesen worden waren. Zum anderen für Personen,<br />

die bei Zuständigkeit eines anderen Jugend- oder Landesjugendamtes<br />

während dieses Zeitraums einen Teil ihrer Kindheit oder<br />

Jugend in einem Bremer Heim verbracht hatten. Auf 65 Anrufer<br />

traf eines der Kriterien zu, für die übrigen fünf Personen gab es<br />

weder die Zuständigkeit einer bremischen Behörde, noch hatten<br />

sie in einem bremischen Heim gelebt. 107 Die Zuständigkeit<br />

bei 51 Personen lag beim städtischen Jugendamt oder dem Landesjugendamt<br />

Bremen. Das Jugendamt Bremerhaven zeichnete<br />

für zehn Personen verantwortlich. Neun Personen waren von<br />

einem auswärtigen Jugendamt oder Landesjugendamt in ein<br />

Bremer Heim eingewiesen worden.<br />

Alter und Geschlecht<br />

Wegen der allgemeinen zeitlichen Vorgabe meldeten sich – mit<br />

einer Ausnahme – nur Personen, deren erste Heimeinweisung<br />

vor 1975 lag. Dem entspricht, dass der überwiegende Teil (56<br />

Personen) im oder kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs und<br />

im ersten Nachkriegsjahrzehnt geboren wurde. Zudem riefen<br />

deutlich mehr Männer (62 Prozent) als Frauen (38 Prozent) an:<br />

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