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Kinder, halbgeschlossene oder ganz geschlossene Abteilungen,<br />

normalpädagogische und heilpädagogische Kinderheime,<br />

schließlich auch Abteilungen oder Häuser für noch Besserungsfähige<br />

und nicht mehr Besserungsfähige, noch Erziehbare oder<br />

nicht mehr Erziehbare. Nicht selten war zu entscheiden, ob ein<br />

Kind oder Jugendlicher überhaupt noch von der Jugendfürsorge<br />

erfasst werden konnte oder nicht eher in eine Idiotenanstalt,<br />

eine psychiatrische Abteilung oder in ein Gefängnis<br />

gehörte. Das im Nationalsozialismus und auch noch in der<br />

Nachkriegsperiode praktizierte »Sichten und Sieben«, Aussortieren,<br />

Zuweisen und Verlegen, hat in dieser Zeit seinen<br />

Ursprung. 26<br />

Die sich in der Weimarer Republik durchsetzende repressive<br />

Anstaltserziehung entlud sich von der Mitte bis zum Ende der<br />

1920er Jahre in spektakulären Heimrevolten, bei denen es zu<br />

Massenausbrüchen und Besetzungen kam. Junge Pädagogen,<br />

die oft der Jugendbewegung oder sozialistischen Bewegungen<br />

nahe standen, erarbeiteten Forderungskataloge für Reformen,<br />

zur Entkonfessionalisierung der Fürsorgeerziehung und zur<br />

Absetzung von Heimleitern und Erziehern. Obwohl das liberale<br />

Bürgertum solche Forderungen vielfach unterstützte, blieben<br />

die Revolten praktisch folgenlos. Pädagogische Reformbemühungen,<br />

die sich für eine repressionsarme und am Individuum<br />

orientierte Heimerziehung einsetzten und neben den Bedürfnissen<br />

des Kindes auch auf die sozialen Umstände und Ursachen<br />

hinwiesen, existierten zwar, konnten sich aber nicht<br />

durchsetzen. Der 1930 einsetzende ökonomische und politische<br />

Niedergang der Weimarer Republik bot keine Spielräume<br />

mehr.<br />

Statt Reformen gab es in der Endphase der Weimarer Republik<br />

die von Heimerziehungsverbänden, Kirchen und Großanstalten<br />

unterstützte politische Entscheidung, sich von den Aufsässigen<br />

zu trennen. Auch aus finanziellen Gründen wurde beschlossen,<br />

sich künftig nur noch den Erziehbaren zu widmen, und die als<br />

solche abgestempelten Unerziehbaren aus den Heimen auf die<br />

Straße oder ins Gefängnis zu entlassen. Pädagogisch reflektiert<br />

wurde dies als »die Grenzen der Erziehung«. 27<br />

Der Nationalsozialismus stellte die Frage der Heimerziehung für<br />

Kinder und Jugendliche von vornherein in den Dienst seiner<br />

Erbgesundheitspflege. Für die Erbgesunden wollte das System<br />

alles Verfügbare tun, für die Erbkranken hingegen nichts. Die<br />

Kirchen sollten die Erbkranken verwahren. Doch auch diese<br />

wurden in das Projekt der Ausmerze einbezogen. Zuerst mussten<br />

kirchliche Anstalten Erbkranke und Asoziale (das eine wurde mit<br />

dem anderen praktisch gleichgesetzt) zur Sterilisation melden.<br />

Mit fortschreitendem Krieg wurde ihnen abverlangt, Lebensunwerte<br />

der faschistischen Vernichtungsmaschinerie zu überlassen.<br />

Die konfessionellen Anstalten befolgten solche Anweisung<br />

teils willfährig, teils mit erheblichen Skrupeln. Widerstand<br />

gab es selten. Dies galt auch für Einweisungen in die nationalsozialistischen<br />

Jugendkonzentrationslager. Von diesen gab es<br />

eines für Jungen im niedersächsischen Moringen und eines für<br />

Mädchen in der Uckermark. In diesen überprüften die Nationalsozialisten,<br />

ob einem Jugendlichen noch geholfen werden sollte,<br />

oder ob er ausgemerzt werden müsse. 28<br />

Für die Erbgesunden sah das System in seinem Sinne ›Positives‹<br />

vor. Sie sollten familiennah untergebracht und umfassend in<br />

den der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt oder in der Hitlerjugend<br />

beziehungsweise dem Bund Deutscher Mädel unterstellten<br />

Einrichtungen gefördert und in das völkische Leben eingegliedert<br />

werden. Das in diesem Strang entwickelte Konzept<br />

familiennaher Heimerziehung diente in den Nachkriegsjahrzehnten<br />

auch als Vorbild für Reformvarianten der Heimerziehung.<br />

29<br />

Die gesellschaftlichen Hintergründe und politischen Ereignisse, die<br />

den Hintergrund der Einwicklungen von 1945 bis in die 1970er<br />

Jahre bildeten, sind Gegenstand des folgenden Abschnitts.<br />

2.1.2 Die Heimerziehung in den ersten<br />

drei Nachkriegsjahrzehnten<br />

Als am 8. Mai 1945 mit der deutschen Kapitulation in Europa<br />

der Zweite Weltkrieg endete, lag ein Großteil der deutschen<br />

Städte in Trümmern. 30 Die alliierten Siegermächte teilten<br />

Deutschland in vier Zonen auf, die sowjetische, aus der dann<br />

die Deutsche Demokratische Republik (DDR) hervorging, sowie<br />

die britische, die amerikanische und die französische Zone, die<br />

ab 1949 zusammen die Bundesrepublik Deutschland (BRD) bildeten.<br />

Bereits in den ersten Wochen nach Kriegsende setzten die<br />

westlichen Besatzungsmächte provisorische Landesregierungen<br />

ein. Diese sahen sich einem hohen Maß an sozialer Not<br />

gegenüber. Die Versorgung der Bevölkerung konnte in einigen<br />

Bereichen nur mit Mühe sichergestellt werden. Die Wirtschaft<br />

war zusammengebrochen. In den vom Krieg besonders betroffenen<br />

Städten herrschte Wohnraummangel, den der Zuzug von<br />

Flüchtlingen aus den Ostgebieten noch verstärkte. 31 Die Ernährungslage<br />

war katastrophal und reichte nur für das knappe<br />

Überleben. Ohne die schon bald nach Kriegsende einsetzenden<br />

humanitären Hilfsaktionen insbesondere englischer und amerikanischer<br />

Hilfsorganisationen wäre mancherorts nicht mal dies<br />

möglich gewesen. Viele Familien lebten in halbzerstörten Häusern<br />

und in Notunterkünften auf engstem Raum zusammen.<br />

Hunderttausende von Flüchtlingen, vagabundierende Jugendliche<br />

und junge Erwachsene prägten das Bild auf den Straßen.<br />

Allein die Zahl der vagabundierenden eltern- oder heimatlosen<br />

Jugendlichen lag zwischen 80.000 und 100.000. 32<br />

Besonders dramatisch war dabei die Situation von elternlosen<br />

Flüchtlingskindern und der kriegsbedingten Voll- oder Halbwaisen.<br />

33 Hinzu kam, dass viele Familien kriegsbedingt räumlich<br />

voneinander getrennt lebten. Manche Kinder lernten ihre zurück-<br />

18

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