1qDBULH
1qDBULH
1qDBULH
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
»keine wesentlichen Beanstandungen« gab. 188 Als Fürsorgeerziehungsbehörde<br />
unterstand dem Landesjugendamt schließlich<br />
in Verbindung mit den Vormundschaftsgerichten der Gesamtkomplex<br />
der gerichtlich verfügten Fürsorgeerziehung. Für diesen<br />
Zweck genutzt wurden primär die bremischen Einrichtungen<br />
Ellener Hof, Isenbergheim und Dorotheenheim, darüber<br />
hinaus einige Erziehungsanstalten in Niedersachsen, Nordrhein-<br />
Westfalen und Hamburg. 189<br />
Quantitativ hatte es das Landesjugendamt in den 1950er Jahren<br />
jährlich mit rund 120 Neufällen aus der Stadt Bremen und<br />
durchschnittlich etwa 160 Bremerhavener Fällen im Rahmen<br />
der vorläufigen oder endgültigen Fürsorgeerziehung zu tun. Zu<br />
ihnen gehörten rund 100 Heimfälle. 190 Die Übrigen waren in<br />
einer Familie untergebracht, was im Wesentlichen die Unterbringung<br />
in einer ländlichen Arbeitsstelle bedeutete.<br />
Das stadtbremische Jugendamt konnte 1953 mit allen Abteilungen<br />
und seinen gewachsenen Aufgaben im Volkshaus in der<br />
Hans-Böckler-Straße zusammengefasst werden. Organisatorisch<br />
differenzierte sich das Jugendamt zwar etwas aus, charakteristisch<br />
blieb aber die Zersplitterung der kinder- und jugendfürsorgerischen<br />
Aufgaben auf verschiedene Abteilungen. 191<br />
Diese Zersplitterung trug wesentlich dazu bei, dass im ganzen<br />
Jahrzehnt kein einheitliches Konzept für die Kinder- und<br />
Jugendfürsorge entwickelt werden konnte.<br />
Das Bremerhavener Jugendamt führte seine Arbeit in den<br />
nach 1946 geschaffenen Strukturen und mit ähnlichen Arbeitsschwerpunkten<br />
wie in der Stadt Bremen fort.<br />
4.2.1.2 Neue Probleme und neue Denkfiguren<br />
Einen gemeinsamen Schwerpunkt sowohl der Senatspolitik als<br />
auch aller Abteilungen des stadtbremischen und Bremerhavener<br />
Jugendamtes bildeten in den frühen 1950er Jahren die Themen<br />
Berufsnot der Jugend sowie Wandel im Erscheinungsbild<br />
und die Ursachen der Jugendverwahrlosung und -gefährdung.<br />
Die Berufsnot der Jugend war ein dominantes Schlagwort für die<br />
Jugendhilfe zwischen der Währungsreform (1948) und etwa<br />
1955. 192 Der Begriff Berufsnot spiegelte eine tatsächlich hohe<br />
Arbeitslosenziffer. 193 Zudem reflektierte er den für diese Jahre<br />
typischen sogenannten gespaltenen Arbeitsmarkt, die gleichzeitige<br />
Existenz einer hohen allgemeinen Arbeitslosenquote und<br />
Arbeitskräftemangel in bestimmten Berufen. Als Maßnahmen<br />
gegen den gespaltenen Arbeitsmarkt versuchte man, die einen<br />
Ausbildungsplatz suchenden Jugendlichen vom Traumberuf in<br />
Mangelberufe (zu denen vor allem mit schwerer körperlicher<br />
Arbeit verbundene Berufe gehörten) umzulenken und siedelte<br />
Jugendliche aus strukturschwachen Räumen in Industrieregionen<br />
mit hohem Arbeitskräftebedarf um. Wichtigstes Mittel hierzu<br />
wurde der vom ersten Bundesjugendplan (1950) geförderte Bau<br />
von Jugendwohn- und Lehrlingsheimen. Nach der Überwindung<br />
der Berufsnot Mitte der 1950er Jahre wurde Jugendarbeitslosigkeit<br />
dann eher als jugendfürsorgerisches Problem betrachtet,<br />
wenn Jugendliche aus persönlichen Gründen schwer vermittelbar<br />
schienen.<br />
Die Ursachen der Jugendverwahrlosung und -Gefährdung waren<br />
in den ersten Nachkriegsjahren noch primär den sozialen Notständen,<br />
dem Hunger und der Kälte, den fehlenden Vätern und<br />
der allgemeinen Disziplinlosigkeit im Gefolge des nationalsozialistischen<br />
Regimes zugeschrieben worden. In den 1950er Jahren<br />
sah man sie zunehmend in dem »Mangel an Wohnstube«, in<br />
den »schlechten Beispielen der Erwachsenen« und in den »unvollständigen<br />
und fehlerhaften Familienverhältnissen« der Kinder und<br />
Jugendlichen. 194 Konsequenterweise wurden Elternerziehung<br />
und Prophylaxe zu dominanten Zukunftsaufgaben der Jugendhilfe<br />
erklärt. Die Eröffnung einer Erziehungsberatungsstelle<br />
(1950), einer »Mütterschule zur Pflege der Familie« (1951), Kampagnen<br />
gegen »Schmutz und Schund« (1951 und 1953) und<br />
Maßnahmen des »positiven Jugendschutzes« (Bereitstellung<br />
unbedenklicher Literatur in besonderen Jugendkiosken) stellten<br />
die praktischen Antworten dar.<br />
Während die Wohnraumverhältnisse und die (Jugend-) Arbeitslosigkeit<br />
dabei zunächst noch als mit bedingende Faktoren<br />
Anerkennung fanden und deren Überwindung als beste Prophylaxe<br />
galt, verschob sich das Gewicht seit 1954 vollends auf<br />
die gestörte Familie und den Unwillen der um mehr Wohlstand<br />
kämpfenden Mütter und Väter:<br />
»Die Stabilisierung der Wirtschaft und die Besserung der<br />
Arbeitsverhältnisse beginnen sich doch positiv auszuwirken.<br />
(…) Dennoch sind die Erziehungsfälle sowohl nach Zahl als<br />
auch nach Schwere der Gefährdung nicht gesunken, sondern<br />
eher gestiegen. Zu begründen ist diese Erscheinung<br />
unter anderem mit der Störung der Familienbeziehungen,<br />
die ihrerseits nicht zuletzt eine Folge der Stabilisierung der<br />
Verhältnisse ist. (Wachsende Lebensansprüche; daher arbeiten<br />
Vater und Mutter, um höhere Einkommen zu haben, und<br />
kein Elternteil steht für die Kinder zur Verfügung!) Gestörte<br />
Familien sind dann wieder die Grundursache für weitere<br />
Schäden, wie Schuleschwänzen, Stehlen, mangelnde Einordnung<br />
in das soziale Leben, schlechter Lebenswandel,<br />
Arbeitsunlust usw.« 195<br />
Eine weitere Folge des »Hastens und Jagens der Erwachsenen<br />
nach Mehrverdienst« wurde in der »Übernervosität (der Eltern),<br />
die ihrerseits Kindesvernachlässigung und Kindesmisshandlung<br />
zur Folge hat«, gesehen. 196 Diese galt aber auch als Ursache für<br />
die »erschreckende Zunahme der Selbstmorde und Selbstmordversuche<br />
und die steigende Zahl von jugendlichen Schwangeren und<br />
sexuellen Frühgefährdungen«. 197<br />
84