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Aufgrund ihres oft besonderen Lebensschicksals haben heimentlassene<br />
Jugendliche es in vielen Situationen nach wie vor<br />
schwerer, sich der Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt zu stellen.<br />
Generell bleibt festzustellen, dass die Chancen von Heimkindern<br />
auf gute Bildungsabschlüsse, auf einen qualifizierten<br />
Arbeitsplatz und auf gesellschaftliche Teilhabe nach wie vor<br />
vergleichsweise geringer sind.<br />
Als sehr problematisch muss – zumal die Erfahrungen gezeigt<br />
haben, wie wenig wirkungsvoll der Einsatz dieser Form der<br />
Jugendhilfe ist – ferner der phasenweise nicht nur im politischen<br />
Raum immer wieder laut werdende Ruf nach »geschlossener<br />
Unterbringung« betrachtet werden. Auch wenn es, wie<br />
im historischen Teil dieser Dokumentation dargestellt, im Land<br />
Bremen selbst seit langer Zeit keine geschlossenen Einrichtungen<br />
mehr gibt, wird – in sehr wenigen Einzelfällen – seitens des<br />
Jugendamtes Bremen auch bis heute keine Alternative zu einer<br />
(halb-)geschlossenen Unterbringung gesehen. Das Jugendamt<br />
Bremerhaven hat – auch auf Grundlage eines entsprechenden<br />
Beschlusses des Jugendhilfeausschusses – durch fallspezifische<br />
Hilfe konzepte von geschlossenen Maßnahmen insgesamt<br />
Abstand genommen.<br />
Nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz sollen Hilfen regelmäßig<br />
im Inland erfolgen. Andererseits haben sich individualpädagogische<br />
Maßnahmen, zu denen auch sogenannte Auslandsmaßnahmen<br />
gehören, im Einzelfall bewährt. Für Jugendliche,<br />
die einen langen Weg des Scheiterns und gescheiterter<br />
Hilfen hinter sich haben, wird im Einzelfall andererseits nur<br />
noch eine vollständige Milieuherausnahme im Rahmen einer<br />
Auslandsmaßnahme als mögliche Alternative zu einer geschlossenen<br />
Unterbringung gesehen. Durch verbindliche Qualitätsstandards<br />
bei der Projekt- und Trägerauswahl sowie begleitende<br />
Qualitätsmaßnahmen und systematische Reintegration<br />
wird sichergestellt, dass sich die jungen Menschen in einem<br />
verlässlichen Hilfekontext befinden.<br />
Selbstkritisch anzumerken bleibt schließlich, dass Erkenntnisse<br />
über einen veränderten Umgang und die notwendige Kompetenzförderung<br />
der Eltern während der Unterbringung ihrer<br />
Kinder in der Einrichtung noch nicht zum Regelstandard der<br />
Jugendhilfe gehören. Die Verbesserung der Elternarbeit und das<br />
Ausloten der Chancen zur Rückkehr in die Familien bleibt daher<br />
eine fachliche Anforderung.<br />
Die Fragen, wie Heimaufenthalte sinnvoll verkürzt und Heimwechsel<br />
vermieden werden können, wie sich mehr Beziehungskontinuität<br />
für die Kinder und Jugendlichen erreichen lässt,<br />
wie der Spagat zwischen notwendiger Beziehungskontinuität<br />
und Schichtdienst zu bewältigen ist und wie verbesserte Schulund<br />
Berufsabschlüsse erreicht werden können, sind erst in Ansätzen<br />
gelöst und scheinen unter institutionellen Bedingungen<br />
zum Teil auch unlösbar zu sein.<br />
Als nicht zufriedenstellend stellt sich bis heute das Verhältnis<br />
zwischen den unterschiedlichen Betreuungsformen dar. Obwohl<br />
die Stadtgemeinde Bremen über ein ausgebautes und gegenüber<br />
den 1950er bis 1970er Jahren systematisch qualifiziertes<br />
sowie differenziertes System der Familienpflege verfügt, mit<br />
dem in der Regel gerade bei Kindern Beziehungskontinuität hergestellt<br />
werden kann, muss die Akzeptanz für diese Jugendhilfemaßnahme<br />
auch unter Fachkräften immer wieder neu eingefordert<br />
werden. Andererseits zeigen sich für die in eine Pflegefamilie<br />
integrierte Betreuung von Kindern und Jugendlichen<br />
immer wieder auch persönliche Grenzen der privaten Aufnahmebereitschaft<br />
und damit der Vermittlungsmöglichkeit.<br />
Ein lange tabuisiertes und erst im Vorfeld des Runden Tisches<br />
»Sexueller Kindesmissbrauch in Abhängigkeits- und Machtverhältnissen<br />
in privaten und öffentlichen Einrichtungen und im<br />
familiären Bereich« auch öffentlich wahrgenommenes Thema<br />
in den gegenwärtigen Diskussionen um institutionelles Versagen<br />
bildet der sexuelle Missbrauch Schutzbefohlener durch<br />
Professionelle in Schulen, Internaten, Heimen und anderen<br />
Einrichtungen. Bundesweit und auch in Bremen hat die Aufdeckung<br />
von Missbrauchsfällen und die Arbeit dieses weiteren<br />
Runden Tisches zu nochmals verstärkter Achtsamkeit und zur<br />
Intensivierung von bestehenden Initiativen zur Prävention<br />
geführt. Die gezielte fachliche Weiterqualifizierung im Umgang<br />
mit Verdachtsmomenten wird fortgesetzt. Mit dem Abschlussbericht<br />
des Runden Tisches »Sexueller Kindesmissbrauch« und<br />
einem hierzu entwickelten Aktionsplan der Bundesregierung<br />
liegen weitergehende fachpolitische Empfehlungen vor, der<br />
sich die Länder und Kommunen in den folgenden Jahren verstärkt<br />
stellen müssen.<br />
Künftige Optimierungen müssen auf mehr gesellschaftlichen<br />
und politischen Willen zur weiteren Verbesserung familien-, bildungs-<br />
und sozialpolitischer Rahmenbedingungen setzen. Dies<br />
erfolgt im institutionellen Kontext derzeit beispielsweise,<br />
indem die Kindertagesbetreuung und die Schule in Richtung<br />
eines ganzheitlichen Konzeptes von Bildung, Erziehung, Kohäsion<br />
und Inklusion ausgebaut und qualitativ gestärkt werden.<br />
Die dargestellten Handlungsbedarfe verpflichten aber auch die<br />
unmittelbar in Jugendhilfe und Heimerziehung Verantwortlichen,<br />
sich noch stärker mit ihrem eigenen Handeln im Sinne<br />
von wachsender Fachlichkeit einerseits und Parteilichkeit andererseits<br />
für sozial benachteiligte Kinder, Jugendliche und Familien<br />
sowie für deren Partizipation in Bezug auf passgenaue Hilfen<br />
zu positionieren und einzusetzen. Ziel bleibt es, die<br />
gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für sozial benachteiligte<br />
junge Menschen so zu verbessern, dass Herausnahmen<br />
und Fremdplatzierungen durch tragfähigere Familiensysteme<br />
und individuelle Unterstützungslösungen für die jungen Menschen<br />
entbehrlicher werden. Die hohe Anzahl von Fremdplatzierungen<br />
zeigt jedoch, wie groß diese Herausforderung auch<br />
heute noch ist.<br />
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