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»Sie wühlen die uns oft mit Mühe und Geduld beruhigten<br />

Mädchen wieder auf, erzählen ihnen Dinge, die ihnen besser<br />

erspart geblieben wären, sie hinterlassen heimlich Geld,<br />

Zigaretten und Streichhölzer usw. ... Die harmlosen, leichtgläubigen<br />

Eltern schenken ihren Mädchen – die ihre Erlebnisse<br />

fast immer zu bagatellisieren wissen – fast immer<br />

Glauben.« 243<br />

Noch dazu kam, so die Klage, dass das Jugendamt allzu leicht<br />

dem Drängen der Eltern nachgäbe und damit die Möglichkeit,<br />

eine Fürsorgeerziehung zu erwirken, gegen Null tendiere. 244<br />

Zu den pädagogischen gesellten sich ab 1956 personelle Probleme.<br />

Zwei Sozialpädagoginnen fielen wegen Krankheit aus<br />

und diverse Erzieherinnen entzogen sich der aufreibenden<br />

Arbeit durch Kündigung. 1961 konnten von den 62 Plätzen nur<br />

knapp die Hälfte belegt werden, »weil es an Erzieherinnen mangelt,<br />

die bereit sind, den Dienst in einem solchen Heim zu übernehmen.«<br />

245 Am Jahresende standen einschließlich der Leiterin<br />

überhaupt nur noch drei pädagogische Mitarbeiterinnen zur<br />

Verfügung. 246<br />

Die Sorge um Kinder und Jugendliche ohne Heimat und Erfolgsmeldungen<br />

prägten die offizielle Berichterstattung zu den ersten<br />

Jahren des Dorotheenheims. Die Berichte beklagten, dass<br />

die Kinder häufig von Pflegestelle zu Pflegestelle wechselten;<br />

sie stellten eine Verbindung zwischen einem Leben ohne Liebe<br />

in unvollständigen Familien und Erziehungsschwierigkeiten her<br />

und prangerten das schlechte Vorbild von Erwachsenen an. Die<br />

Erfolgsmeldungen bezogen sich auf die Vermittlungen von<br />

Mädchen »in Stellung« und ihre Nachbetreuung. 247<br />

Gleichzeitig war aber ein hoher Wechsel unter den Mädchen zu<br />

verzeichnen. 248 Auch personell gestaltete sich die Lage angespannt<br />

und bereits 1953 gab es einen »sehr großen Wechsel<br />

unter den Mitarbeiterinnen.« 249 Die Personalnot wog umso<br />

schwerer, als sich ab 1955 das Verhältnis zwischen Schulkindern<br />

und Jugendlichen immer mehr zugunsten Letzterer verschob<br />

und sich unter den jugendlichen Mädchen immer mehr befanden,<br />

bei denen »die Fehlentwicklung mit starker sexueller Gefährdung<br />

einherging«. 250 Verbunden mit etwa 20 Entweichungen<br />

pro Jahr und weil weitere Mädchen in andere Heime verlegt<br />

werden mussten, führte dies zu Problemen beim Arbeitseinsatz<br />

der Jugendlichen. 251 Nur in der Wäscherei verlief der »Einsatz<br />

durchweg planmäßig.« 252 In die Gärtnerei dagegen ließen sich<br />

kaum noch Mädchen vermitteln, da sie dort »Verbindung mit<br />

den männlichen Jugendlichen des Geländes oder den mehrfach<br />

wochenlang hier arbeitenden Strafgefangenen aufnahmen«. Und<br />

die Arbeit in der großen Anstaltsküche überforderte viele in »haltungsmäßiger<br />

Hinsicht«. Hinzu kam, dass es immer schwieriger<br />

wurde, »für die vor der Entlassung stehenden Mädchen passende<br />

Stellungen zu bekommen. Für den städtischen Haushalt werden<br />

nur noch ganz zuverlässige Hausgehilfinnen gebraucht; für Landwirtschaft<br />

eignet sich nur ein geringer Teil unserer Mädchen.« 253<br />

Weniger aufreibend war die Arbeit mit den Schulkindern, deren<br />

Anzahl nach Einführung des 9. Schuljahrs im Jahr 1958 wieder<br />

anstieg. Weil auch hier gelegentlich die Erziehung »mit offenen<br />

Türen und Fenstern« an ihre Grenzen stieß, musste die Beschulung<br />

manchmal, nicht ohne bereits im Vorfeld die Genehmigung<br />

des zuständigen Jugendamts eingeholt zu haben, ganz<br />

ausgesetzt werden. 254<br />

Die Jahre 1950 bis 1957 des Erziehungsheims Ellener Hof für<br />

Jungen sind nicht dokumentiert. Als im Juli 1958 der seit 1931<br />

amtierende Heimleiter in den Ruhestand ging, folgte ihm ein in<br />

der Erziehung Schwererziehbarer erfahrener Lehrer und Fürsorger.<br />

Tatkräftig unterstützt vom Vorstand des Vereins Ellener Hof<br />

und seiner Ehefrau, einer gelernten Fürsorgerin, begann er<br />

sofort mit einer radikalen Veränderung. Gefeiert wurde sie als<br />

Umbau »zum modernsten Heim für Schwererziehbare« in Deutschland,<br />

wobei diese Aussage bauliche Veränderungen und nicht<br />

die Einführung progressiver Erziehungsmethoden reflektierte. 255<br />

Tatsächlich entstand in den drei Jahren ein völlig neuer Komplex<br />

von 15 einzelnen Baukörpern mit vier Gruppenhäusern für<br />

die offene Unterbringung von je 15 Jungen, einer Lehrlingsgruppe<br />

für 12 Jungen, einer Aufnahme- und Beobachtungsabteilung<br />

für vier und – wesentlicher Bestandteil des neuen Konzepts<br />

– einer geschlossenen Abteilung für 30 Jungen. 256<br />

Insgesamt fanden jetzt bis zu 106 Kinder und Jugendliche Aufnahme,<br />

wobei das Gros der Jungen über 14 Jahre alt war. Nicht<br />

nur das Land Bremen, sondern zunehmend auch Niedersachsen,<br />

Baden-Württemberg und andere Bundesländern belegten<br />

das Heim. 257 Die Kinder und Jugendlichen wurden, neben dem<br />

Heimleiterpaar, von 15 Mitarbeitern, teils ausgebildeten Erziehern,<br />

teils Werkerziehern mit handwerklichen Berufen, betreut.<br />

Die Eröffnung des neuen Komplexes stand dann auch unter<br />

dem Eindruck des radikalen Neuanfangs. Der Vereinsvorsitzende<br />

betonte die ersten sichtbaren Zusatzerfolge: Nicht mehr<br />

immer zehn Prozent der Jungen seien, wie früher, abgängig,<br />

sondern nur noch höchstens drei pro Monat. 258 Die Modernität<br />

der Anstalt, hieß es in einer weiteren Reportage, drücke sich vor<br />

allem darin aus, dass alle Freizeitbeschäftigung jetzt in den<br />

Dienst therapeutischer Zwecke gestellt werde. Daneben werde<br />

den Erziehungsnotständen allerdings weiterhin mit den<br />

»bewährten Mitteln Arbeit« (in Garten, Landwirtschaft, Tischlerei<br />

und Schusterei), »in der Gewöhnung an Ordnung« (Anleitung<br />

zum Ordnunghalten in der Stube und Anleitung durch weibliches<br />

Personal im Waschen, Stopfen, Gemüseputzen und im<br />

Hausputz), »durch Erziehung zur Selbstbeherrschung« (Entsagung<br />

jedes Alkoholgenusses, Verwahrung von Zigaretten durch<br />

das Erziehungspersonal bei zuchtvoller Steuerung des Rauchens),<br />

»durch geistig-sittliche Förderung« (Entwicklung von Harmonie<br />

durch Schnitzen und Emaillearbeiten), und »Aufschließung<br />

für alles Schöne« (durch Laienspiel und drei Musikkapellen)<br />

sowie »kritisches Denken« (durch Anleitung bei der Auswahl<br />

guter Fernsehsendungen) begegnet. 259<br />

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