27.12.2014 Aufrufe

1qDBULH

1qDBULH

1qDBULH

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Entwicklungen in den ›alten‹ Waisenhäusern<br />

Das St. Petri Knabenwaisenhaus bestellte im Oktober 1949<br />

die ausgebildete Jugendleiterin und ehemalige Schülerin der<br />

Jugendamtsleiterin Mintje Bostedt als Leiterin und stellte damit<br />

neue Weichen für die 1950er Jahre. 281 Zu ihrem Programm wurde<br />

eine kindgerechte Heimerziehung, was – angesichts der desolaten<br />

Situation, aus der viele der Jungen kamen – zunächst als<br />

Bereitstellung eines geordneten Rahmens mit geregeltem Tageslauf<br />

und Einübung von Kulturtechniken beschrieben wurde.<br />

Hierauf folgte dann aber auch die Bemühung um eine weitere<br />

Kultivierung der Kinder durch anregende Beschäftigungen wie<br />

Basteln, Zeichnen und Musizieren, über die Gestaltung von Festen,<br />

sportliche Wettkämpfe und Ausflüge. Zentral war die<br />

bewusste Gestaltung eines »pädagogischen Bezugs« zu den Kindern<br />

über ein ausgewogenes Verhältnis von mütterlicher<br />

Zuwendung und reflektierten Eingehens auf die individuellen<br />

kindlichen Bedürfnisse. 282 Realisiert werden musste das Programm<br />

unter schwierigsten personellen Bedingungen. Die mit<br />

den Kindern zusammen im Heim Tür an Tür lebenden Erzieherinnen<br />

hatten zu Beginn der 1950er Jahre noch bis zu 20 Kinder<br />

zu betreuen. Als Innovation konnte schon gelten, dass sie zuerst<br />

täglich zwei Freistunden, dann zusätzlich einen freien Vormittag<br />

und schließlich sogar 14-tägig ein freies Wochenende<br />

erhielten. Trotz solcher kleinen Erleichterungen hielten die<br />

Erzieherinnen und Erzieher selten länger als zwei bis drei Jahre<br />

der Belastung stand und ohne Rückgriff auf Kurzzeitpraktikantinnen<br />

und Praktikanten aus Fachschulen für Erzieher wäre der<br />

Betrieb kaum aufrecht zu halten gewesen. Insgesamt bremsten<br />

die personelle und finanzielle Situation die eingeleiteten Entwicklungen.<br />

In St. Petri lebten in den 1950er Jahren jeweils zwischen 55 und<br />

etwa 65 Kinder, unter ihnen seit 1953 auch einige Mädchen,<br />

eine Innovation, mit der die Leitung dem »Mädchenwaisenhaus«<br />

Alten Eichen folgte, das zu dieser Zeit die ersten Jungen<br />

aufnahm. Im Jahr 1958 waren 12 Mädchen im Heim, man hatte<br />

die Lehrlingsabteilung zugunsten einer Gruppenverkleinerung<br />

aufgegeben und entschloss sich nun, dem koedukativen Konzept<br />

auch durch eine Namensänderung Rechnung zu tragen.<br />

Fortan hieß das Heim St. Petri-Kinderheim, Stiftung des St. Petri-<br />

Waisenhauses von 1692. 283<br />

Die in St. Petri behutsam vollzogene Öffnung zu einem moderneren<br />

Konzept blieb im Mädchenwaisenhaus Alten Eichen in<br />

den 1950er Jahren noch in den Anfängen stecken. Immerhin<br />

schaffte der seit 1946 amtierende Hausvater, ein Diakon ›alter<br />

Schule‹, 1950 die bisherige Anstaltskleidung ab, über kleinere<br />

Renovierungsarbeiten wurden die Wohnräume etwas wohnlicher<br />

gestaltet und die Essenseinnahme vom Speisesaal in die<br />

Gruppenräume verlegt. Grundsätzlich überlebten die tradierten<br />

Strukturen aber das Jahrzehnt. Der Tagesablauf blieb der alter<br />

Waisenhäuser. 284 Und auch in den pädagogischen Methoden<br />

blieb man den alten Traditionen treu. Beliebteste Strafmethoden<br />

waren, neben rituell vollzogenen Schlägen im Büro des<br />

Hausvaters, »mit dem Gesicht zur Wand stehen« und »sich im<br />

Kartoffelkeller besinnen.« 285<br />

Die Personaldecke war in Alten Eichen noch dünner als in St. Petri.<br />

Für 60 Kinder standen 1958 neben dem Hausleiterehepaar lediglich<br />

drei Kindergärtnerinnen und zwei Kinderpflegerinnen zur<br />

Verfügung (dazu kamen einige der schulentlassenen Mädchen,<br />

die als »Haustöchter« im Heim blieben). Noch Ende der 1950er<br />

Jahre betreute eine Erzieherin, die in Alten Eichen »Tante« genannt<br />

wurde, bis zu 25 Kinder. In den Urlaubszeiten einer Kollegin<br />

waren es bis zu 40. Dazu mussten sich die Erzieherinnen dem<br />

Heimreglement unterordnen und Herrenbesuch auf dem Gelände<br />

wurde nur ungern gesehen. 286<br />

Veränderungen erfolgten allerdings in struktureller Hinsicht.<br />

1951 öffnete man sich auf Vorschlag des Wohlfahrtsamts für<br />

Jungen. Dies führte auch hier 1953 zur Namensänderung in<br />

»Kinderheim Alten Eichen. Heim für Mädchen und Jungen der<br />

Stiftung Mädchenwaisenhaus.« In diesem Zuge wurde man<br />

gleichzeitig, auch auf Anregung der Behörde, zusätzlich ein Binnenschiffer-Heim,<br />

was sich positiv auf die Finanzlage auswirkte.<br />

Alten Eichen betreute jetzt also zwei unterschiedliche Gruppen<br />

von Kindern: Auf der einen Seite standen die Jugendamtskinder<br />

und auf der anderen die von ihren Eltern primär zur schulischen<br />

Versorgung ins Heim gebrachten Binnenschifferkinder. 287<br />

Obwohl die Jugendamtskinder dies als Zwei-Klassen-System<br />

wahrnahmen, brachte es auch für sie den Vorteil, dass man sich<br />

räumlich mehr leisten konnte. Ein zweigeschossiger Anbau mit<br />

mehreren kleineren Schlafräumen wurde 1956 eingeweiht,<br />

womit für einen Teil der Kinder das bisherige Provisorium tagsüber<br />

nicht zugänglicher größerer Schlafräume endete.<br />

4.2.3 Auswärtige Unterbringungen<br />

Sowohl Kinder als auch Jugendliche wurden nicht nur in bremischen<br />

Heimen, sondern auch in Heimen anderer Bundesländer<br />

untergebracht. Wie viele es waren und in welche Heime sie<br />

kamen, ist für die 1950er Jahre aber nicht offiziell dokumentiert.<br />

In amtlichen Berichten findet sich allenfalls sporadisch die<br />

Anmerkung, dass man sich auch auswärtiger Heime bedienen<br />

musste. In den Darstellungen der Heime wird an einigen Stellen<br />

darauf hingewiesen, dass man sich gezwungen sah, Kinder, insbesondere<br />

schwierige Jugendliche, nach auswärts zu verlegen.<br />

Insoweit können lediglich Vermutungen geäußert werden:<br />

Dass sich Bremerhaven in seiner Unterbringungspolitik primär<br />

auf Heime außerhalb seiner Stadtgrenzen konzentrieren<br />

musste, ergibt sich schon daraus, dass es für Fürsorgezöglinge<br />

über kein eigenes Heim verfügte. In den 1950er Jahren waren<br />

aber, laut der Jahresberichte des Jugendamtes, zwischen 42<br />

und 73 Jugendliche im Rahmen einer Fürsorgeerziehung in<br />

einem Heim untergebracht. Auch die Plätze in den Kinderheimen<br />

reichten nicht aus. Im Säuglingsheim und in Hohewurth<br />

93

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!