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dings empfohlen wurde, die örtlichen Jugendämter an der Entscheidungsfindung<br />
zu beteiligen. Schließlich wurde die<br />
Altersgrenze für Anordnungen wieder auf das noch nicht vollendete<br />
20. Lebensjahr angehoben.<br />
Erheblicher als diese Neuerungen war die Einführung der Freiwilligen<br />
Erziehungshilfe, gewissermaßen als Alternative zur<br />
angeordneten Fürsorgeerziehung.<br />
Die Freiwillige Erziehungshilfe (FEH)<br />
Obwohl die FEH erst 1961 bundeseinheitlich eingeführt wurde,<br />
bestand in Bremen schon seit längerer Zeit die Möglichkeit,<br />
Fürsorgeerziehung auf Antrag der Personensorgeberechtigten<br />
beziehungsweise eines Vormunds durchzuführen. Nachdem<br />
dies auch schon in der Weimarer Republik praktiziert wurde,<br />
war die Möglichkeit 1939 im bremischen »Gesetz über die Aufhebung<br />
des Ausführungsgesetzes zum Reichsgesetz für Jugendwohlfahrt«<br />
ausdrücklich aufgeführt. 62 In den ersten Nachkriegsjahren<br />
wurde diese Möglichkeit gelegentlich angewandt und<br />
dann als freiwillige Fürsorgeerziehung bezeichnet. Für die Jugendlichen<br />
hatte dies aber praktisch keine Bedeutung, da sie in die<br />
gleichen Heime wie die Fürsorgezöglinge eingewiesen wurden.<br />
Hintergrund für die Einführung der FEH im Jahr 1961 waren allgemeine<br />
Debatten zur Stärkung von Elternrechten, verbunden<br />
mit einem gewachsenen Misstrauen gegen staatliche Institutionen.<br />
Das Landesjugendamt gewährte die FEH auf schriftlichen<br />
Antrag der Personensorgeberechtigten beim örtlichen Jugendamt,<br />
das eine Stellungnahme anfertigte. 63 Anders als bei der<br />
örtlichen Erziehungshilfe, bei der elterliche Befugnisse nur im<br />
Rahmen eines gesonderten Vertrages an eine Heimleitung<br />
übertragen werden konnten, leitete man aus der Anordnung<br />
der FEH ein öffentliches Erziehungsrecht ab. Dabei konnten die<br />
Eltern die FEH jederzeit ohne Sperrfristen oder andere Einschränkungen<br />
beenden. Zahlreiche Beispiele belegen allerdings,<br />
dass die Jugendämter häufig mit dem Entzug des Sorgerechtes<br />
drohten, wenn die Eltern eine vom Heim oder dem<br />
Jugendamt nicht erwünschte Herausnahme ihres Kindes ankündigten.<br />
Bei den bremischen Heimen war die FEH in den Jahren nach<br />
ihrer Einführung extrem unbeliebt. Die Heime befürchteten<br />
ständiges Hereinreden und unrealistische, den Heimalltag störende<br />
Versprechungen der Eltern, ihr Kind bald wieder nach<br />
Hause zu holen. Bei den örtlichen Jugendämtern war sie demgegenüber<br />
sehr beliebt. Einerseits wurden die Kosten der FEH<br />
vom Land getragen, zudem entfielen die vielen Antrags- und<br />
Begründungspflichten gegenüber den Vormundschaftsgerichten<br />
und zum Dritten konnte man sich tatsächlich in vielen Fällen<br />
auf die Mitwirkung der Eltern einstellen. Seit 1963 übertraf in<br />
Bremen die Zahl der FEH dann auch immer die Zahl der Fürsorgeerziehungsfälle<br />
um das rund Dreifache. 64<br />
2.2.2 Grundlagen der praktischen<br />
Durchführung der Heimerziehung<br />
Für die Durchführung der Heimerziehung im Rahmen der örtlichen<br />
Erziehungshilfen waren die Jugendämter und für die Fürsorgeerziehung<br />
und FEH ab 1962 bundesweit die Landesjugendämter<br />
verantwortlich. 65 Vor 1962 regelten Landesgesetze die<br />
Zuständigkeit, wobei in Bremen bereits vor 1962 das Landesjugendamt<br />
für die Durchführung der Fürsorgeerziehung und FEH<br />
verantwortlich war, aber einzelne Aufgaben an das Jugendamt<br />
abgeben konnte. 66<br />
Entweder das Jugend- oder das Landesjugendamt, das die Aufgabe<br />
als Fürsorgeerziehungsbehörde (FEB) übernahm, wählte<br />
dann für die Unterbringung der Kinder beziehungsweise Jugendlichen<br />
ein geeignetes Heim aus. 67 Mit Blick auf die individuellen<br />
erzieherischen Erfordernisse, die die Kinder oder Jugendlichen<br />
benötigten, existierte bis 1962 keine bundesweite Regelung.<br />
Das RJWG schrieb nur vor, dass für psychisch kranke, auf Grund<br />
geistiger Anlagen besonders schwer erziehbare Kinder sowie<br />
für Kinder mit ansteckenden Krankheiten gesonderte Abteilungen<br />
oder besondere Anstalten geschaffen werden sollten. 68<br />
Seit der Novelle von 1961 wurde ferner zwischen medizinisch<br />
unerziehbaren und erziehbaren Jugendlichen unterschieden.<br />
Ihrer geistigen Anlagen wegen als medizinisch unerziehbar geltende<br />
Kinder fielen aus der Fürsorgeerziehung komplett heraus<br />
und wurden dann häufig unter anderen rechtlichen Voraussetzungen<br />
in die Psychiatrie eingewiesen. 69<br />
Für die fachliche Qualifikation des Erziehungspersonals gab es<br />
bis 1962 keine bundeseinheitliche Regelung. Im Land Bremen<br />
verlangte der Gesetzgeber zwar, dass das Personal in den Anstalten<br />
qualifiziert und erfahren sein sollte, eine formale Qualifikation<br />
musste aber nicht nachgewiesen werden. 70<br />
In der Novelle von 1961 formulierte der Gesetzgeber erstmals<br />
eine Vorschrift, nach der die Betreuung der Minderjährigen<br />
durch »geeignete« Kräfte durchgeführt werden sollte. 71 »Geeignet«<br />
bezog sich dabei aber nicht zwangsläufig auf eine pädagogische<br />
Fachausbildung, sondern auf charakterliche Qualitäten<br />
für einen Einsatz in der Heimerziehung. Noch bis in die 1970er<br />
Jahre hinein wurde aus Mangel an ausgebildetem Personal und/<br />
oder aus Kostengründen Erziehungspersonal ohne pädagogische<br />
Fachausbildung in der Heimerziehung beschäftigt. Die<br />
verbindliche staatliche Vorgabe der besonderen Eignung setzte<br />
sich bei den öffentlichen Heimen schneller durch als in den Heimen<br />
in freier Trägerschaft, denen bei der Auswahl ihres Personals<br />
ein größerer Entscheidungsspielraum eingeräumt wurde.<br />
Eine weitere für die Durchführung der Heimerziehung und besonders<br />
für die Erfahrungen ehemaliger Heimkinder relevante<br />
Frage liegt im Erziehungsrecht, aus dem unter anderem das<br />
Züchtigungsrecht abgeleitet wurde (siehe hierzu Kapitel 3.3.6).<br />
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