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»Nur wegen drei Zigaretten«<br />

»Ich war nach der Schule in ein Lehrlingswohnheim des CVJM<br />

nach Recklinghausen zur Ausbildung im Bergbau verlegt worden.<br />

Der Heimleiter war nett. Ich hab mich recht wohl gefühlt.<br />

Nach einem Jahr wurde ich dann rausgeschmissen. Man hatte<br />

mich drei Mal mit einer Zigarette auf der Straße angetroffen.«<br />

(G42, JA Osterholz-Scharmbeck, ca. 1965)<br />

Auch für den 12-jährigen Jungen im KWH Metzerstraße kam die<br />

Verlegung überraschend und unvorbereitet. Warum, ist ihm bis<br />

in die Gegenwart hinein ein Geheimnis geblieben:<br />

Angesogen und wieder ausgespuckt<br />

Wegen Erziehungs- und Schulproblemen riet das Jugendamt<br />

seiner Mutter, ihn in ein Heim zu geben. So kam der<br />

Zehnjährige in das Kinderwohnheim Metzerstraße. »In der<br />

Metzerstraße fühle ich mich sauwohl. Das Jugendamt hatte<br />

eigentlich alles ganz richtig gemacht. Meine Mutter war entlastet,<br />

und ich besuchte jetzt sogar eine Realschule. Dann kam,<br />

wie jedes Jahr, unsere Ferienreise ins Schullandheim. Eines<br />

Tages fuhr ein Wagen vor, ein Mann stieg aus und tuschelte mit<br />

den Erzieherinnen. ›Du musst sofort Deine Sachen packen‹, hieß<br />

es dann, ›Du kannst nicht mehr in der Metzerstraße wohnen.<br />

Wir haben für Dich jetzt ein anderes Heim‹. Ich kam mir abgeschoben<br />

vor; von einer Maschine angesogen und wieder ausgespuckt.«<br />

(G40, JA Bremen, 1966)<br />

Aus dem Heim in die Pflegefamilie;<br />

aus der Pflegefamilie ins Heim<br />

Zum offiziellen Programm der Jugendhilfe gehörte es, Kinder so<br />

oft wie möglich und so rasch wie möglich in einer Pflegefamilie<br />

unterzubringen. In der Regel nahm diese Inpflegegabe das<br />

Heim, in dem die Kinder bereits kürzer oder länger gelebt hatten,<br />

vor. Der Wechsel in eine den Kindern fremde Familie, ebenso<br />

wie die Umstände der Verlegung, wurden von den Gesprächspersonen<br />

fast immer als weichenstellend für ihr weiteres Leben<br />

betrachtet und entsprechend emotional vorgetragen.<br />

Da sich Bewerber/-innen um ein Pflegekind in jenen Jahrzehnten<br />

zumeist ihr Pflegekind direkt selbst aussuchten, bewegte<br />

die Kinder häufig die Frage‚ warum gerade sie oder warum ausgerechnet<br />

nicht sie, sondern ein anderes Kind ausgewählt wurde:<br />

Nicht auserwählt<br />

Mit neun Jahren wurde der Junge auf Wunsch seines Stiefvaters<br />

in das Renthe-Fink-Haus in Osnabrück gegeben. Von<br />

dort erinnerte er sich: »Ab und an kamen Damen ins Heim,<br />

um sich ein Pflegekind auszusuchen. Die ausgewählten Kinder,<br />

ich gehörte meistens nicht dazu, wurden in eine Reihe aufgestellt<br />

und besichtigt. Wir mussten dann immer auch unsere<br />

Schulhefte vorzeigen. Damals wäre ich gerne mitgenommen<br />

worden, schon weil man meistens zu Bauern kam, bei denen<br />

es gutes Essen gab. Erst als Erwachsener hab ich überlegt,<br />

dass die wohl vor allem Kinder zum Arbeiten aussuchten.«<br />

(G37, JA Buxtehude, Anfang 1950)<br />

»Gefragt hat mich niemand«<br />

Die Mutter ließ das Mädchen in der Geburtsklinik zurück,<br />

von wo aus sie zunächst in einem Säuglingsheim und dann<br />

mit zwei Jahren in einem katholischen Kinderheim untergebracht<br />

wurde. »Ich hatte nie in einer Familie gelebt, immer in<br />

Heimen, was ›Mutter‹ und ›Vater‹ bedeutete, wusste ich gar<br />

nicht. Ab und zu tauchten mal fremde ›Eltern‹ auf, um uns Kinder<br />

zu besichtigen. Ich wurde zuerst von einer Apothekerin als<br />

Kind ausgesucht, das zerschlug sich aber. Eines Tages stand da<br />

dann eine Frau unten an der Treppe, ich oben. Ich konnte die<br />

Frau von vornherein nicht leiden und hab ihr was auf den Kopf<br />

geworfen. Wenig später war sie dann meine Pflegemutter.<br />

Gefragt hat mich niemand.« (G 33, Jugendamt Hamburg,<br />

1962)<br />

»Die fand mein Bild so niedlich«<br />

Als Vierjährige veranlassten die Großeltern, bei denen das<br />

unehelich geborene Besatzungskind lebte, dass sie in ein<br />

Heim kam. Ihre erste Station war das Kinderheim St. Johannis.<br />

»Ich wohnte in St. Johannis. Mit sieben Jahren kam ich zu<br />

einer Pflegemutter nach Aachen. Sie war eine allein stehende,<br />

schon ältere Dame mit einem Doktortitel in Politikwissenschaft.<br />

Sie war sehr reich und beschäftigte eine Haushälterin sowie<br />

eine Näherin, hat sich aber für alle Leistungen für die Pflege ­<br />

kinder Geld vom Jugendamt geholt. Sie hat mich ausgesucht,<br />

weil sie das Bild von mir so niedlich fand und weil ich katholisch<br />

war.« (G3, JA Bremen, 1957)<br />

Ebenso abrupt wie die Vermittlung eines Kindes aus dem Heim<br />

in eine Pflegefamilie erfolgte (in den Fällen, die uns bekannt<br />

wurden, wobei es glückliche Verläufe gegeben haben wird) die<br />

Beendigung von Pflegeverhältnissen und die (Wieder-) Einweisung<br />

in ein Heim. Manchmal sehnten die Kinder, egal was die<br />

Zukunft bringen würde, das Ende herbei. Häufig erlebten sie<br />

die Beendigung aber auch als Abschiebung. In Einzelfällen traf<br />

das Jugendamt selbst die Entscheidung. Den Pflegeeltern wurde<br />

die Abgabe ihres Pflegekindes leicht gemacht.<br />

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