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Zwischenzeitlich erreichte die Studenten- und Schülerbewegung<br />

auch Bremen. Die Heimleitung hoffte zunächst, dass das<br />

Dorotheenheim »noch lange von der Unruhe verschont bleiben<br />

möchte, unter der die Arbeit so vieler Erziehungsheime zu leiden<br />

habe.« 368 Diese Hoffnung zerschlug sich 1971. Es kam zu einer<br />

»Aufwiegelung von Mädchen in der Schule und Schürung durch<br />

ungeeignete Erzieherinnen« und die Heimmädchen redeten von<br />

»sog. antiautoritären Widerstand und vom Streik.« 369 Als vorbeugende<br />

Maßnahme reagierte man, in Absprache mit dem<br />

Landesjugendamt, mit einer Reduzierung<br />

der Platzzahl von 50 auf 40.<br />

In den Jahren 1974 und 1975 bekam<br />

man im Dorotheenheim die Beschulungsprobleme<br />

einigermaßen in den<br />

Griff und auch das Fehlverhalten der Mädchen und jungen<br />

Frauen stand nicht mehr im Mittelpunkt. 370 Schwierigkeiten<br />

bereiteten jetzt eher die einweisenden Jugendämter, die nicht<br />

nur weniger belegten, sondern dies mit grundsätzlicher pädagogischer<br />

Kritik am Heim begründeten. Insbesondere die jungen<br />

Sozialarbeiter des Bremer Jugendamtes, wurde geklagt,<br />

umgingen zunehmend Heimeinweisungen oder schraubten die<br />

Forderung an das Heim so hoch, »dass man im Grunde auf eine<br />

Heimeinweisung eines gefährdeten Mädchens verzichten kann«.<br />

Die auswärtigen Jugendämter waren in dieser Hinsicht, hieß es<br />

im Jahresbericht für das Jahr 1974, zwar weniger penibel. Aber<br />

auch bei ihnen machte sich die bedrohliche Tendenz bemerkbar,<br />

einer Heimunterbringung erst nach dem Scheitern aller<br />

möglichen ambulanten Versuche zuzustimmen, sodass, laut<br />

des Berichts, nur noch »schwere Psychopathen« übrig blieben.<br />

Schließlich trugen auch das neue Volljährigkeitsalter (Absenkung<br />

von 21 auf 18 Jahre) und das Aufgreifen offener Betreuungsformen<br />

für Jugendliche in einigen Jugendämtern zu rückläufigen<br />

Belegungszahlen bei.<br />

Eine Aussprache mit der Leiterin des Landesjugendamts<br />

brachte ein Jahr später die endgültige Entscheidung zur Aufgabe<br />

des Heimes. Diese hatte insbesondere darauf verwiesen,<br />

dass Mädchenheime heute offener sein müssten, wofür ein so<br />

großes Anstaltsgelände schwerlich die richtige Umgebung<br />

sei. 371 Als das Dorotheenheim im Oktober 1976 schloss, waren<br />

insgesamt 1.100 Mädchen durch das Heim ›gelaufen‹. 372<br />

Nach seiner Neugestaltung zwischen 1958 und 1961 galt der<br />

Ellener Hof in den frühen 1960er Jahren, zumindest der evangelischen<br />

Presse, als »vorbildliche Erziehungsstätte«. 373 Als es<br />

1966 in dem Heim zu einem Skandal kam, hatte der Ellener Hof<br />

aber seine beste Zeit bereits hinter sich. Ein neuer Vorstand<br />

erhob massive Anschuldigungen gegen zwei Arbeitserzieher<br />

wegen der Verschaffung von »persönlichen Vorteilen im Rahmen<br />

ihrer Tätigkeit« und gegen den Heimleiter, weil dieser Anweisungen<br />

nicht befolgt haben sollte. 374 Dieser konterte mit dem<br />

Vorwurf, der Vorstand habe durch falsche Vermögensanlage<br />

Den ersten Monat kamen<br />

die Neuen grundsätzlich in die<br />

geschlossene Abteilung.<br />

Vereinsgelder verschwendet, worauf es zur fristlosen Kündigung<br />

kam. 375 Der in der überregionalen Presse breit diskutierte<br />

Konflikt endete mit einer Versetzung des Heimleiters in ein auswärtiges<br />

Mädchenerziehungsheim. 376 Zum neuen Heimleiter<br />

wurde ein in der Betreuung straffälliger Jugendlicher erfahrener<br />

Sozialarbeiter berufen. Als der Vorstand ihm im März 1971<br />

wieder kündigte, ließ er durchblicken, dass er bei seinem Amtsantritt<br />

ein desolates Heim vorgefunden habe: »Die Jungens liefen<br />

damals noch weg wie die Fliegen.« 377 Warum auch dem neuen<br />

Heimleiter gekündigt wurde, blieb<br />

trotz erneuten Interesses der Öffentlichkeit<br />

ungeklärt. Überliefert ist nur,<br />

dass der amtierende Vorstand eine<br />

Übertragung des Heims an den Bremer<br />

Staat anlässlich der neuen Begleitumstände<br />

andachte, ein leitender Behördenvertreter aber<br />

dankend abwinkte. 378<br />

Im Oktober 1971 wurde das 125-jährige Jubiläum des Vereins<br />

gefeiert. Die hierzu herausgegebene Festschrift stellte den Ellener<br />

Hof des Jahres 1971 als »Trainingsfeld für die Zukunft« und<br />

als »Übungsfeld für die Bewältigung sozialer Konflikte« vor. 379<br />

Gearbeitet wurde zu diesem Zweck nach einem Stufenkonzept:<br />

Den ersten Monat kamen die Neuen grundsätzlich zur Beobachtung,<br />

Diagnose und Erstellung des Erziehungsplans in die<br />

geschlossene Abteilung. Danach verlegte man sie »in der Regel«<br />

in das ihnen »gemäße« Gruppenhaus, von denen eines zur<br />

Betreuung »schwachbegabter und hirnorganisch geschädigter<br />

junger Arbeiter« als heilpädagogische Abteilung ausgestaltet<br />

war. Hier galt es für die Jungen, sich bis zur möglichst raschen<br />

Entlassung zurück ins »Elternhaus, auf ein eigenes Zimmer oder<br />

auf ein Schiff« zu bewähren und demokratisches Verhalten,<br />

unter anderem in regelmäßigen Gruppenabenden, einzuüben.<br />

Gelang dies nicht, kamen sie zurück in die geschlossene Abteilung.<br />

Abgeschlossen wurde das Training durch die Nachbetreuung<br />

entlassener Jugendlicher durch den bisherigen Gruppenbetreuer.<br />

380<br />

Die nachfolgenden Jahre gestaltete ein Leitungsteam aus dem<br />

Heimleiter und dem Erziehungsleiter. Beide, lässt ein Bericht im<br />

Weser-Kurier erahnen, hatten einen realistischen Blick auf ihr<br />

Tun: »Etwa dreißig Prozent der Jungen kommen mit innerem<br />

Widerstand hierher und geben ihn nie mehr auf«, und zwar auch<br />

deshalb, weil viele schon durch zahlreiche Heime gegangen<br />

seien oder direkt aus einem desolaten Elternhaus kämen. 381<br />

Nach einigen baulichen Veränderungen lebten 1975 113 Jungen<br />

auf dem Ellener Hof. 33 von ihnen besuchten eine Außenschule<br />

und 27 waren Schüler der Heimsonderschule. Die übrigen<br />

53 Jugendlichen waren Lehrlinge, Anlernlinge oder Arbeiter.<br />

Für die Schüler gab es je nach Alter ein Taschengeld zwischen<br />

sieben und 15 DM wöchentlich. Jugendliche, deren Arbeitsentlohnung<br />

über 300 DM lag, wurden zu den Heimkosten herangezogen.<br />

Auf Wunsch legte man für die Jugendlichen Spar-<br />

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