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Die Verpflegung<br />

Allgemeine Klagen über das Essen im Heim tauchten in den<br />

Gesprächen auf, waren aber kein dominantes Thema. Wo es<br />

thematisiert wurde, klagten die Gesprächpartnerinnen und<br />

Gesprächspartner über das allgemein karge und eintönige<br />

Essen in den ersten Nachkriegsjahren. Im St. Petri Waisenhaus<br />

gab es jeden Morgen dünne Milchsuppe und Brot nur nach<br />

Lebensmittelzuteilung sowie mittags immer »Fütterkohl, eigentlich<br />

fürs Vieh gedacht« (G24, 1946/47). Immer den gleichen Aufstrich<br />

beim Abendessen und beim Frühstück bekamen die Kinder<br />

im Kinderheim Alten Eichen Anfang der 1950er Jahre. Zum<br />

Mittagessen abwechselnd dünne Kohlsuppe nur einmal wöchentlich<br />

mit Fleisch. Eine schreckliche Graupensuppe wurde den<br />

Kindern und Jugendlichen in einer katholischen Großanstalt<br />

außerhalb Bremens aufgetischt (G6, Mitte 1950er Jahre). Indirekt<br />

kamen Mängel auch in begeisterten Berichten über außerplanmäßige<br />

Zusatzrationen zum Ausdruck. Das konnte ein<br />

Schinkenbrot vom Bauern, zu dem man zum Helfen geschickt<br />

wurde, oder ein beim Milchholen mitgegebener, eigentlich für<br />

die Herstellung von Dickmilch gedachter Dickmacher als Ergänzung<br />

zur dünnen Milchsuppe im St. Petri Waisenhaus Ende der<br />

1940er Jahre sein (G24, 1946 – 47).<br />

Weit kritischer als die Qualität des Essens wurden, soweit ungerecht<br />

empfunden, die Umstände der Essenseinnahme und Beobachtungen<br />

zur Ungleichbehandlung von Kindern und Erziehungspersonal<br />

wahrgenommen. Im Ellener Hof etwa wurden<br />

die Jugendlichen noch Ende der 1950er Jahre schweigend in<br />

einer Reihe in den Esssaal geführt und mussten die Mahlzeiten<br />

auch schweigend einnehmen. Brach einer die Schweigepflicht,<br />

wurde das Essen für alle abgebrochen (G 10, um 1960). Andere<br />

erinnerten sich an häufige Maßregelungen beim Essen und an<br />

die Praxis einiger Heime, beim Heimaufsichtsbesuch besseres<br />

Essen und eine freundlichere Atmosphäre vorzuführen. Im Ellener<br />

Hof (ähnlich in einigen auswärtigen Heimen) wurden Mitte<br />

der 1960er Jahre am Tag des alle sechs Monate stattfindenden<br />

Heimaufsichtsbesuchs weiße Tischtücher aufgelegt, bei sonst<br />

eher schlechtem Essen etwas Besonders serviert und der Heimleiter<br />

»gab sich die Ehre mit uns im selben Saal zu essen« (G14<br />

1966 – 69). Im katholischen Franz-von-Sahles Heim, berichtet<br />

ein Gesprächspartner empört, wurde den Kindern etwas vorgesetzt,<br />

was sich deutlich vom Essen des Erziehungspersonals<br />

unterschied: »Für uns die Kohlsuppe, für die Nonnen die reichlich<br />

gedeckte und geschmückte Tafel« (G6, Mitte der 1950er Jahre). Ein<br />

anderer brachte zu St. Petri Ende der 1940er Jahre hervor: »Sogar<br />

der Hund des Heimleiters hatte es besser als wir. Er bekam immer<br />

Kekse, wir nie« (G24). Ein schon älteres Mädchen aus dem Waisenhaus<br />

Varel profitierte von der Ungleichbehandlung. Sie und<br />

ein weiteres Lieblingskind der Hausmutter durften immer mit<br />

ihr in einem Extrazimmer frühstücken, wo es dann auch die<br />

leckeren Sachen gab (G31, Mitte 70er Jahre).<br />

Freundlicher ging es beim Essen in den stadtbremischen Kinderwohnheimen<br />

und Jugendwohnheimen zu. Übereinstimmend<br />

berichteten ehemalige Bewohnerinnen und Bewohner dieser<br />

Heime, dass sich das Personal große Mühe gab, in den heimeigenen<br />

Küchen das im Rahmen des für Verpflegung vorgesehenen<br />

Satzes Mögliche für die Kinder herauszuholen und die Essensatmosphäre<br />

angenehm zu gestalten. In der Metzerstraße wurde<br />

für später aus der Schule kommende Kinder sogar immer noch<br />

mal ein Mittagstisch gedeckt, an den sich auch eine Erzieherin<br />

setzte (G12, JA Bremen, Mitte 60er Jahre).<br />

Überschattet wurde für viele Kinder das Essen aber vor allem<br />

durch Zwangsmaßnahmen. Über sie wird im Abschnitt »Erziehungsmethoden<br />

und Praktiken« berichtet (siehe Kapitel 3.3.6).<br />

3.3.4 Das Erziehungspersonal<br />

Von der direkten Nachkriegszeit bis in die 1960er Jahre hinein<br />

sahen sich die Heime mit einer desolaten Personalsituation<br />

konfrontiert: Sie waren chronisch unterbesetzt. Auf einen Erzieher<br />

beziehungsweise eine Erzieherin kamen je nach Heimtyp<br />

bis zu 40 Kinder. Vor allem in den Erziehungsheimen waren<br />

große Anteile des Personals nicht pädagogisch ausgebildet. Alle<br />

Erzieherinnen und Erzieher waren unterbezahlt und der Beruf<br />

des Erziehers / der Erzieherin war gesellschaftlich schlecht angesehen.<br />

Selbst unter einer sich ab dem Ende der 1950er Jahre<br />

langsam verbessernden Personalsituation (immer noch kamen<br />

bis zu 20 Kinder auf eine Erziehungskraft) blieben die Bedingungen<br />

des Erzieherberufes schwierig.<br />

Leidtragende der mangelnden Ausbildung sowie der Arbeitsbedingungen<br />

und der daraus resultierenden Überforderung<br />

waren die Kinder und Jugendlichen in den Heimen. Sie litten<br />

unter den häufig überlasteten und nicht ausgebildeten Kräften.<br />

Die Erfahrungen mit den Heimleitungen, Erziehern und Erzieherinnen<br />

unterscheiden sich allerdings wiederum von Heimtyp<br />

zu Heimtyp, zwischen den Trägern und zwischen den konkreten<br />

Heimen. Besonders schlecht bewertet wurden in aller Regel<br />

die Erzieherinnen und Erzieher in geschlossenen oder halbgeschlossenen<br />

Einrichtungen. In bezeichnender Weise skizziert<br />

und wie folgt geäußert wurde: »Die meisten unausgebildete<br />

Kommissleute« (zum Erziehungsheim Euskirchen, G 32, 1960);<br />

»nur männliche schlecht ausgebildete Kommisserzieher« (G40,<br />

1966 – 69 zum Jugendwohnheim Neuenkirchen), »gleich aus der<br />

Nazi-Zeit ins Heim« (G13, zum Ellener Hof Ende 1950er Jahre).<br />

Andere Charakterisierungen lauteten: »brutal«, »sadistisch«,<br />

»nur schrecklich«, »widerlicher Kerl«, »kalt und gefühllos«.<br />

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