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Gefahr wahrgenommene Interesse an Kino, Rundfunk und<br />

Schundliteratur. Als subjektiv verwahrlost galt dem gegenüber<br />

ein Kind oder Jugendlicher, wenn ihm die Abweichung von<br />

Normen persönlich, zum Beispiel wegen eines Mangels an<br />

Disziplin und Kontrolle, zugerechnet wurde. Festgemacht<br />

wurde sie unter anderem an Kriminalität, Aufsässigkeit und<br />

Trotz – dazu zählte auch das Schulschwänzen – und besonders<br />

bei jungen Frauen an sogenannter sexueller Triebhaftigkeit.<br />

Erst in den 1960er Jahren wurden die pädagogischen Ansätze<br />

in den Heimen zunehmend Gegenstand fachlicher Debatten<br />

und der öffentlichen Aufmerksamkeit. 86 Dabei stand bereits seit<br />

den 1950er Jahren insbesondere die Praxis der körperlichen<br />

Züchtigung in der Erziehung zur Diskussion. 87 In der Fachöffentlichkeit<br />

herrschte ein ambivalentes Bild. Die Meinungen reichten<br />

vom Standpunkt, dass an körperlicher Strafe als göttlichem<br />

Gebot der Liebe festgehalten werden müsse, über die Annahme,<br />

dass Strafe zwar notwendig, aber doch möglichst zu vermeiden<br />

sei, bis hin zur vollkommenen Ablehnung von Gewalt.<br />

Am Ende der 1960er schien die Debatte entschieden. Strafen,<br />

insbesondere die Körperstrafe, wurden vor dem Hintergrund<br />

veränderter gesellschaftlicher Rahmenbedingungen nicht mehr<br />

akzeptiert. Die sich wandelnde öffentliche und wissenschaftliche<br />

Haltung bedeutete allerdings nicht, dass Körperstrafen aus dem<br />

Heimalltag verschwanden. 88<br />

Zu einer positiven Entwicklung in den Heimen trug ab den<br />

1960er Jahren die Professionalisierung des Erziehungspersonals<br />

bei, das sich zunehmend aus speziell ausgebildeten Erzieher/innen<br />

und Pädagog/innen rekrutierte. Die neue Generation<br />

konnte die Strukturen in den Heimen, solange deren Leitung<br />

noch alten Erziehungsidealen und Methoden verhaftet blieb,<br />

zwar nicht grundlegend ändern, doch hielten eine neue Form<br />

des päda gogischen Anspruchs und neue Erziehungsziele Einzug.<br />

Über welche neuen Denkfiguren und Strukturen sie sich<br />

dann nach der Protestbewegung der 68er allmählich durchsetzten,<br />

wurde im Abschnitt 2.1.2 bereits ausgeführt.<br />

Festgehalten werden kann, dass in der Heimerziehung nach 1945<br />

Vorstellungen von Zweck und Methoden der Erziehung fortlebten,<br />

die bereits im Kaiserreich und in der Weimarer Republik<br />

entwickelt worden waren. Einige Aspekte, wie zum Beispiel der<br />

Strafcharakter in der Heimerziehung, hatten sich dazu während<br />

der Zeit des Nationalsozialismus radikalisiert. Von der Nachkriegszeit<br />

bis in die 1960er Jahre hinein orientierten sich die gesellschaftlichen<br />

Leitideen an traditionellen Werthaltungen. Zucht<br />

und Gehorsamstugenden standen in der Erziehung im Vordergrund.<br />

Die pädagogischen Instrumente, der sich die Heimerziehung<br />

bediente, basierten als Konsequenz auf Strafe und Unterordnung.<br />

Mit den sich wandelnden gesellschaftlichen Bedingungen<br />

in den 1960er Jahren änderten sich auch die Erziehungsziele<br />

und Methoden. Neue Konzepte setzten sich aber erst mit zeitlicher<br />

Verzögerung durch.<br />

2.3.2 Leitfiguren in der konfessionellen<br />

Heimerziehung<br />

Heimerziehung in den 1950er und 1960er Jahren war im Wesentlichen<br />

eine Aufgabe evangelischer und katholischer Verbände<br />

und ihrer Kirchen. Ihre Wertvorstellungen und Leitfiguren für<br />

die Heimerziehung sind darum von besonderem Interesse.<br />

Für die spezifisch protestantische Erziehung in den 1950er<br />

Jahren war charakteristisch, dass sie zumeist in Anlehnung an<br />

die Zwei-Reiche-Lehre interpretiert wurde. 89 Dieser theologischen<br />

Denkfigur entsprechend übernahm der Erzieher, als<br />

»Amtmann Gottes« (das erste Reich) im Rahmen des weltlichen<br />

Regimes (das zweite Reich) die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass<br />

das gesellschaftliche Zusammenleben nicht im Chaos versinkt.<br />

90 Die Gefahr wurde darin gesehen, dass dem Mensch aus<br />

seiner ererbten Sündhaftigkeit eine Tendenz zur Selbstherrlichkeit<br />

angeboren ist. Diese Selbstherrlichkeit wiederum stand im<br />

Kontrast zu einem gemeinschaftsförderlichen Leben. In der<br />

praktischen Ausformung der Heimerziehung begegnete man<br />

dieser Gefahr durch die Betonung der Leitideen, die eben die<br />

weltliche Ordnung unterstützten: Zucht, Gehorsam und Unterordnung.<br />

In der protestantischen Heimerziehung lebten darüber hinaus<br />

noch in den 1950er und 1960er Jahren die Traditionen des ›Rettungshausgedankens‹<br />

weiter. 91 Das sündig geborene Kind<br />

sollte erlöst werden und die eigene Sündhaftigkeit vor Gott<br />

erkennen, wozu Strafe und Demut als notwendig erachtet wurden.<br />

Auf der Ebene des geistlichen Regimes standen entsprechend<br />

das Wissen um Schuld und Vergebung, das heißt die<br />

Befreiung von der Schuld, im Vordergrund.<br />

Die Betonung des Gehorsams spielte aber nicht nur in der<br />

Heimerziehung, sondern im Protestantismus der 1950er Jahre<br />

in allen Lebensbereichen eine zentrale Rolle. Die freiwillige<br />

Unterordnung unter den Willen Gottes als höchste Autorität<br />

wurde in Erziehungsfragen auf den Gehorsam gegenüber<br />

Eltern und Erziehern übertragen.<br />

Theologisch entsprach dem ein autoritäres Gottesbild, nach<br />

dem der ohnmächtige und sündhafte Mensch Gott zu absolutem<br />

Gehorsam verpflichtet war. In der konfessionellen Heimerziehung<br />

hatte dies Konsequenzen für die Beziehung zwischen<br />

den Kindern und den Erziehenden. So wie alle Menschen<br />

Gott gegenüber zu Gehorsam verpflichtet sind, sollten dies<br />

auch Kinder gegenüber den das göttliche Gebot vertretenen<br />

Erzieher/innen sein. Missachtung des Gehorsams führte folglich<br />

unweigerlich zur Bestrafung. Die Strafe erschien als notwendiges<br />

Mittel der christlichen Erziehung hin zu Demut und zum<br />

Erkennen der eigenen Sünden. Zwar sollte so strafarm wie<br />

möglich gearbeitet werden, aber straffreie Erziehung galt als<br />

utopisch. Die Ausführung der Strafe sollte aus Barmherzigkeit<br />

und Liebe zu dem Erziehungsbedürftigen erfolgen und von<br />

Vergebung begleitet werden. 92<br />

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