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Beispiele:<br />
1. Das Kind wurde unehelich geboren, die Mutter war »fremd<br />
gegangen«. Sie starb an Krebs, als das Kind vier Jahre alt war.<br />
Ihr Ehemann war im Krieg und kam etwa zu der Zeit, als die<br />
Mutter starb, aus der Gefangenschaft. Der Junge blieb beim<br />
Stiefvater. Dieser heiratete bald wieder, und es gab dann<br />
insgesamt »vier oder fünf« Stiefgeschwister. Die Familie lebte<br />
in hygienisch verwahrlosten Verhältnissen. Die Stiefmutter<br />
war sadistisch und schlug die Kinder mit schweren Gegenständen.<br />
Es gab immer zu wenig zu essen und auf dem<br />
Schulbrot reichte es nur für Apfelmus, von Äpfeln, die er<br />
beim Bauern klauen musste. Seine Klassenkameraden aßen<br />
leckere Schinken- und Speckbrote. Statt Strümpfen trug er<br />
Wickellappen in den Gummistiefeln. Er hatte nicht einmal<br />
Unterhosen, was beim Schulsport besonders peinlich wurde.<br />
Es gab nichts Gutes in der Familie. Der Junge musste immer<br />
arbeiten, Schrott sammeln oder beim Bauern helfen. Das<br />
Geld behielt die Stiefmutter. Die Familie wurde halbjährlich<br />
von einer »schrecklichen Fürsorgerin« besucht, die immer mit<br />
dem Heim drohte. Als Neunjähriger wurde er dann, auch auf<br />
Wunsch der Stiefeltern, in ein Osnabrücker Waisenhaus eingeliefert.<br />
(G37, JA Buxtehude, 1952)<br />
2. Das unehelich geborene Mädchen lernte ihren Vater nie<br />
kennen. Sie lebte zunächst bei der Mutter mit einem älteren<br />
Bruder in einer Bremer Barackensiedlung. Die Mutter<br />
machte viele Männerbekanntschaften und kümmerte sich<br />
nicht um die Kinder. »Ich habe als Baby nur in der Ecke gelegen.«<br />
Anlass der Herausnahme aus der Familie war, dass ein<br />
Onkel dazu kam, als die Mutter den Bruder gerade in einer<br />
Regentonne ertränken wollte. Die beiden Kinder wurden<br />
sofort – das Mädchen knapp zwei Jahre alt – in ein Krankenhaus<br />
eingeliefert. Ihren damaligen Zustand schilderte die<br />
Gesprächspartnerin mit »ausgehungert und Hungerbauch,<br />
Krätze und Läuse.« Es kam dann wohl bei der ohnehin schon<br />
amtsbekannten Mutter zum Sorgerechtentzug. Die Kinder<br />
wurden aus dem Krankenhaus in die Metzerstraße entlassen.<br />
(G25, JA Bremen, 1950)<br />
Unerwünschte Kinder<br />
Die hier als ›unerwünscht‹ bezeichneten Kinder fanden in der<br />
Regel nach der Wiederheirat der Mutter oder des Vaters in der<br />
neuen Familie keinen Platz mehr und wurden von ihr abgegeben.<br />
Sie passten scheinbar nicht mehr in die neue Familie und<br />
beeinträchtigten den Familienfrieden. Die Kinder fühlten sich<br />
abgeschoben und im Stich gelassen.<br />
Beispiele:<br />
1. Der Junge wurde als Kriegskind geboren. Seine Mutter<br />
bekam »zehn bis zwölf« Kinder von verschiedenen Männern.<br />
Als sein Vater aus dem Krieg zurück kam, ließ er sich von der<br />
Mutter scheiden und heiratete erneut. Die neue Frau wollte<br />
die Kinder (ihn und seinen älteren Bruder) nicht aufnehmen.<br />
Der Fünfjährige wurde zunächst in das Kinderwohnheim<br />
Everinghausen eingewiesen und kam von hier aus dann<br />
bald in das St. Petri Waisenhaus. (G9, JA Bremen, 1943)<br />
2. Das Mädchen wurde bereits nach der Scheidung ihrer<br />
Eltern geboren. Ihr drittes Lebensjahr musste sie wegen<br />
einer Tuberkuloseerkrankung (TB) in einer Lungenheilstätte<br />
verbringen. Als sie zurückkehrte, hatte sich die Mutter neu<br />
gebunden und ein Kind geboren. Der neue Partner plante<br />
einen längeren Auslandsaufenthalt zu Arbeitszwecken.<br />
Wegen der TB gab es für das Mädchen keine Aufenthaltsgenehmigung.<br />
Das Paar fuhr ohne sie und ließ sie im Heim<br />
zurück. Auch nach ihrer Rückkehr kümmerte sich die Mutter<br />
nicht um ihr zunächst in das KWH Metzerstraße, dann in<br />
eine Pflegefamilie vermitteltes Kind. (G21, JA Bremen, 1959)<br />
Überforderte Eltern<br />
Die in dieser Rubrik zusammengefassten Gesprächspartner<br />
stammten aus Familien, in denen sich die Eltern oder alleinerziehenden<br />
Mütter alle Mühe gaben, ihre Familie zu versorgen.<br />
Sie versuchten, sich um die Kinder zu kümmern, taten alles<br />
Erdenkliche für sie, mussten aber eines Tages erleben, dass ihre<br />
Kräfte nicht ausreichen. Der Impuls, sich vom Kind zu trennen,<br />
ging in der Regel vom Jugendamt aus. Man bot ihnen Unterstützung<br />
an, um den Kindern die Familie längerfristig zu erhalten.<br />
Den betroffenen Kindern ebenso wie ihren Eltern fiel die<br />
Trennung schwer und verursachte Schuldgefühle auf beiden<br />
Seiten.<br />
Beispiele:<br />
1. Zu der Familie des Jungen gehörten neun Geschwister aus<br />
drei Ehen der Mutter. In der Nachkriegszeit konnte die Mutter<br />
nicht wieder Fuß fassen. Sie lebten in beengtesten Verhältnissen<br />
in einem schlechten Wohnumfeld. Obwohl viel<br />
Solidarität in der Familie herrschte, und alle zusammen hielten,<br />
konnte die Mutter ihre Kinder nicht versorgen. Zu ihrer<br />
Entlastung riet der zuständige Jugendamtsmitarbeiter der<br />
Mutter, sich zeitweise von dem Jungen zu trennen.<br />
Er kam in das St. Petri Kinderheim. (G24, JA Bremen, 1945)<br />
2. Der unehelich geborene Junge verlebte seine ersten<br />
Lebensjahre noch ohne größere Probleme bei der Mutter<br />
und ihrem neuen Partner, mit dem die Mutter ein weiteres<br />
Kind hatte. Mit acht Jahren tauchten bei dem Jungen<br />
er hebliche Erziehungsprobleme auf, die sich im schulischen<br />
Bereich (Bummeln, zu spät von der Schule nach Hause)<br />
äußerten. Nach einigen Kontakten zur Erziehungsberatungsstelle<br />
kam er zunächst in eine Schule für Erziehungsschwierige.<br />
Zwei Jahre später wurde der Mutter geraten, ihr Kind in<br />
ein Heim zu geben. Der Rat war mit der Drohung verbunden,<br />
ihr andernfalls das Sorgerecht zu entziehen. Der Junge<br />
kam in die Metzerstraße. (G40, JA Bremen, 1964)<br />
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